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Einsamkeit. Der Körper im Training, der Kopf in der virtuellen Realität.

© Arsenal Institut

Essayfilm „A Skin So Soft“: Männer, die sich ihren Muskeln widmen

Stereotypen zersägen: Im Essayfilm „A Skin So Soft“ beobachtet der kanadische Regisseur Denis Côté Männer beim Bodybuilding.

Sein Bizeps hat den Umfang einer Wassermelone. Cédric sitzt am Frühstückstisch und schmeißt zwei Handvoll Tabletten ein. Dann schaut er ein Video auf seinem Laptop und sticht schnaubend in den Avocadosalat. Nach dem vierten Bissen ist sein Gesicht schmerzverzerrt. Beim fünften kommen ihm die Tränen.

Gleich zu Beginn macht „A Skin So Soft“ sein Ziel offenbar: die Stereotypen des Bodybuildings zersägen. Denis Côté folgt in seiner essayistischen Studie dem Alltag von sechs Männern, die ihr Leben ihren Muskeln widmen. So wie Ronald, der durch sein Training das Aufwachsen seines Sohnes verpasst. Oder Maxim, der sich als Kleinstadt-Wrestler verdingt und riesige Trucks mit seiner Muskelkraft bewegt. Oder Alexis, der im Keller seiner Eltern auf der Hantelbank liegt, während seine Mutter vor dem Fenster das Blumenbeet jätet.

Der Kanadier Denis Côté, der sich vom Filmkritiker zum Autorenfilmer entwickelte, ist bekannt für seine experimentellen Essayfilme wie „Bestiaire“, in dem er sich dem Blickverhältnis von Menschen und Zootieren widmet. Für seinen Spielfilm „Vic and Flo Saw a Bear“ über zwei Frauen, die sich im Gefängnis lieben lernen, erhielt er 2013 auf der Berlinale den Alfred-Bauer-Preis.

Schnipsel des Alltags, aus denen sich elliptische Psychogramme formen

In „A Skin So Soft“ verzichtet Côté nun genauso auf einen Erzählbogen wie auf Kommentare oder Interviews. Distanziert beobachtet die Kamera die Marotten der Männer – meist in der Dunkelheit ihrer Wohnungen –, doch manchmal ist sie ganz nah an ihren Körpern, so nah, dass die Körper fragmentiert wirken und die Muskeln zu abstrakten Formgebilden werden. Sie, die Muskeln samt ihres Trainings, interessieren Côté jedoch am wenigsten. Am meisten dagegen die Köpfe ihrer Besitzer. Er will Schnipsel des Alltags erwischen, aus denen sich so etwas wie elliptische Psychogramme formen.

Wenn es neben der Fetischisierung des eigenen Körpers etwas gibt, was diese Männer eint, dann ihre Einsamkeit. Und die verdichtet Côté in unglaublichen Einstellungen. Einmal folgt er Ronald in das Gerümpel seiner Garage, trübes Licht fällt durch das Tor, und Ronald montiert sein Smartphone mit gelbem Klebeband an einem Seil, das von der Decke hängt. Dann posiert er für die Handykamera. Das Ganze sieht so furchtbar traurig aus, dass man ihn fast in den Arm nehmen möchte.

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Überhaupt ist der Film ganz nebenbei eine Studie der Vereinzelung durch die Omnipräsenz von Technik. Am deutlichsten wird das am jungen Alexis, der nicht nur sich selbst trainiert, sondern auch seine Freundin coacht und so ihre Beziehung zermürbt. Einmal gehen die beiden zusammen in die Bibliothek. Während sie am Fenster Selfies schießt, sitzt er mit einer Virtual-Reality-Brille am Schreibtisch. Körperlich sind sich die beiden nah, doch innerlich befinden sie sich auf völlig verschiedenen Umlaufbahnen.

Das zentrale Motiv ist der Wunsch nach Anerkennung

Man fragt sich natürlich, was diese Männer dazu antreibt, ihre gesamte Existenz auf die Form ihres Körpers auszurichten. Eine Obsession, klar, der Drang nach Perfektion. Aber wieso gerade im Bodybuilding? Côté suggeriert das zentrale Motiv: der Wunsch nach Anerkennung. Es ist der Moment des Angeblickt-Werdens, auf den diese Männer hinarbeiten, der sie in den Augen des Gegenübers erst zum Subjekt werden lässt. Im Bodybuilding verschmelzen die Anerkennung der Arbeit und ihres Schöpfers, Ergebnis und Erzeuger werden identisch. Côté inszeniert das auf beeindruckende Weise. Cédric etwa steht Modell für einen Zeichenkurs, die Kamera umkreist seinen Körper, und der Zeichenlehrer ermahnt die Schüler, dass sie die Proportionen nicht aus den Augen verlieren sollen. Auf Cédrics Gesicht liegt eine Selbstsicherheit, die sonst nie zu sehen ist.

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Und so porträtiert Denis Côté in seiner intimen Studie der Einsamkeiten im Grunde tief verunsicherter Männer. Ihre Gesichter, sanft, nachdenklich, unsicher, sprechen eine ganz andere Sprache als der Rest ihrer definierten Körper. Man mag darin nun eine Dekonstruktion von Männlichkeit sehen – oder die Protagonisten für muskelbepackte Paradoxe halten. Aber der Glaube, das vermeintlich „harte“ und „weiche“ Eigenschaften unvereinbar sind, ist gerade der große Irrtum, genauso wie ihre Konnotationen. Ganz in diesem Sinne fahren die Männer am Ende des Films gemeinsam in die Einöde. Nachmittags schwimmen sie im See, sonnen sich im Gras und präsentieren einander ihre Muskeln. Abends gibt es ein Lagerfeuer und Jean-François schrammelt auf seiner Gitarre.

In den Berliner Kinos fsk und Wolf (beide OmU)

Jonas Lages

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