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Panorama: Manuela: Kult war nur der Bossa Nova

Wenn man immer von der schönen, heilen, der goldenen Welt singt, dann glaubt man am Ende vielleicht, dass das Leben selber auch so sein müsste. Das Leben aber schreibt andere Refrains.

Wenn man immer von der schönen, heilen, der goldenen Welt singt, dann glaubt man am Ende vielleicht, dass das Leben selber auch so sein müsste. Das Leben aber schreibt andere Refrains. Manulea hat immer die Zähne zusammengebissen und ihren Glauben nicht aufgegeben. Und wenn doch, hat sie nicht darüber gesprochen.

Am Anfang glich ihr Leben wirklich einem Schlagertext. "Schuld war nur der Bossa Nova", das war Manuelas größter Hit. Mit diesem Song schaffte sie 1963 den Aufstieg vom armen Arbeitermädchen in die Welt der großen Schlagerstars. Aber das große Glück, von dem sie so schön singen konnte, die "Liebe im Mondenschein" hat sie selber nie gefunden. Nicht in der Hitparade und auch nicht in Las Vegas. Vor zwei Jahren kehrte sie endgültig aus Amerika zurück und schuf sich in einem bescheidenen Häuschen in Spandau ein eigenes Zuhause. Mit vielen bunten Möbeln war es eingerichtet wie ein Nest, sprach weitaus deutlicher als die Hausherrin von dieser ewig ungestillten Sehnsucht nach Geborgenheit: Kuscheltiere auf dem Sofa, Puppen auf der Anrichte, Madonnen im Regal. Überall Trophäen aus ihrer großen Zeit: der Löwe von Radio Luxemburg, die goldene Schallplatte, Otto-Figuren, die daran erinnerten, dass sie acht Mal in Folge von Bravo-Lesern zur beliebtesten Sängerin gewählt wurde, Autogrammkarten, Cover-Fotos. Erinnerungsfotos an der Wand zeigten sie mit Jonny Cash, Lorne Greene und Cary Grant.

Das Musikzimmer, klein wie ein Kinderzimmer, dominierte ein weißer Flügel, auf dem goldene Kerzen und glitzernde Kunstrosen standen. Um den Flügel herum hatte sie alte LP-Cover aufgehängt, deren Titel Einblicke gaben in die Gedankenwelt der Schlagersängerin: "Wenn Du in meinen Träumen bist", "Rendezvous", "Hey, look at me now". Nächtelang saß sie an diesem Flügel und komponierte Stücke für ein Soul-Album, versuchte sich auch an klassischen Arrangements, die sie selbst dirigieren wollte.

Mit Mitte Fünfzig wollte, brauchte sie ein Comeback. Schattenseiten des Business: 17 Millionen Platten verkauft und trotzdem am Ende. Beginn einer neuen Existenz: Darüber, wie sie ausgebeutet und unterdrückt wurde, erging sie sich nur in dunklen Andeutungen. Schließlich wollte sie auch noch ihre Autobiografie schreiben.

Das Mädchen Manuela wuchs auf in einer ziemlich armen Familie in Wedding. Der Vater war kriegsversehrt, die Mutter kümmerte sich um den Acht-Personen-Haushalt. Nach der Schule arbeitete Doris Inge Wegener, wie sie eigentlich hieß, in der Fabrik und lötete Radiokondensatoren. Vom selbstverdienten Geld durfte sie fünzig Mark im Monat behalten. Davon kaufte sie sich ihre erste Gitarre. In den Pausen zwischen der Akkordarbeit am Fließband schrieb sie ihre ersten Lieder. Im "Ufer-Eck", einer Kneipe in Wedding, wurde sie von ihrem späteren Manager entdeckt. Dort sang sie für 15 Mark die Stunde.

Ein Jahr später war der Bossa Nova Schuld am großen Erfolg. In der ZDF-Hitparade wurde sie Stammgast. Sie war der Typ nettes Mädchen von nebenan, hübsch, sauber und ein bisschen naiv. Das muss sie im wirklichen Leben auch gewesen sein. Dass sie das Glück, die goldene Zeit, die Küsse unterm Regenbogen nie gefunden hat, lag auch daran, dass sie nichts durfte, wie sie später erzählte. Nicht einmal sich verlieben. Sie sei so scheu gewesen, sagte sie. Und fügte hinzu: "Der Schuft, der mich missbraucht hat, weiß schon, dass er gemeint ist."

Als sie öffentlich einen Redakteur bezichtigte, Schmiergelder für einen Fernsehauftritt verlangt zu haben, gab ihr das Gericht in erster Instanz zwar Recht, am Ende verlor sie den Prozess aber in der Revision. Die Folge war ein massiver Medienboykott. In den USA fand sie die Kollegen freundlicher als hier: "Die gaben mir Zuspruch." Sie machte Platten im Country- und Soul-Stil, trat auf in großen Hotels in Las Vegas. Aber die goldene Zeit hat sie dort auch nicht gefunden.

"Jetzt will ich heiraten" sagte sie in einem Tagesspiegel-Interview vor anderthalb Jahren. "Jetzt suche ich eine Schulter zum Anlehnen, auf die auch mal eine Träne fließen kann." Der Traumprinz war indes noch nicht gefunden. Die Konfrontation mit der eigenen Jugend scheute sie nicht. "Schauen Sie", sagte sie und hielt ein Bild des jungen Mädchens neben ein aktuelles Foto: "Die Gesichtszüge sind doch noch weich".

Immer wieder aufstehen, diese Fähigkeit hat das Weddinger Arbeitermädchen nie verlernt. Über alles liebte sie ihre alten Eltern, die einzigen Menschen, denen sie außer ihrem Bruder vertraute. Sie waren auf dem größten Bild in ihrem Wohnzimmer abgebildet. "Sie sollen hundert Jahre alt werden", sagte sie, musste aber bald darauf erleben, dass auch dieser Wunsch nicht erfüllt wurde.

"Es ist zum Weinen", dieser Titel gehörte einst zu ihrem Repertoire. Wie eine Schicksalsbeschwörerin wiederholte sie diese beiden Sätze: "Ich will keinem was Böses, also will mir keiner was Böses. Ich bin gut zu allen, also sind alle auch gut zu mir." Es war eine seltsame Mischung aus natürlicher Vertrauensseligkeit und erworbenem Misstrauen, die sie inzwischen prägte. Sie wäre so gern "Das glücklichste Mädchen" gewesen und war auch bereit, gut zu sein, um das zu erreichen. Aber gut sein, reicht schon im wirklichen Leben eben nicht aus. Im Schlagergeschäft muss man zusätzlich clever sein und knallhart und sehr, sehr erwachsen. "Alles und noch viel mehr" fällt einem nicht in den Schoß, auch nicht, wenn man singt: "Sei wieder gut".

Voller Dankbarkeit sprach sie von der neuen Plattenfirma Eastwest, die ihr eine neue Chance gab. Die wollte sie unbedingt nutzen. "Wir haben das Leben nicht gemietet", sagte sie vor anderthalb Jahren. "Jederzeit kann Schluss sein."

Vielleicht steckte die Krankheit schon wie eine Ahnung in ihr. Zweimal musste sie einen Fernsehauftritt in der NDR-Talkshow III nach 9, verschieben, weil sie Probleme mit dem Hals hatte. Dies, nachdem sie sich endlich abgenabelt hatte und allein durchstarten wollte und sich bei der Arbeit pudelwohl fühlte. Immer wieder ließ sie im Musikzimmer Demobänder laufen, abwechselnd mit den alten Platten. Ein Krebs am Gaumen hat sie schließlich besiegt. Am Dienstag abend starb sie im Alter von 58 Jahren. Die goldene Zeit, deren Herold sie ein Leben lang war, sie hat sie nicht mehr eingeholt.

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