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Die kanadische Autorin Margaret Atwood (Archiv).

© REUTERS/Mark Blinch

Margaret Atwood wird 80: Ihre Romane inspirieren Frauen weltweit zum Protest

Margaret Atwood gilt als Ikone des literarischen Feminismus. Zum 80. Geburtstag erscheint ein Gesprächsband mit der Schriftstellerin.

Man wüsste zu gerne, wie knapp Margaret Atwood, eine der Ikonen des literarischen Feminismus und umtriebige Aktivistin in Sachen Klimawandel, in diesem Jahr der Nobelpreis für Literatur entgangen ist. Die Buchmacher hatten ihr immerhin doppelt so gute Chancen ausgerechnet wie Peter Handke.

Obwohl Atwood in ihrer ein halbes Jahrhundert umspannenden Karriere mehr als 70 Bücher geschrieben hat, war sie über die Jahrzehnte zwar immer präsent, stand aber nicht gerade im Fokus der Öffentlichkeit. Das änderte sich schlagartig Ende 2016 mit der so überraschenden wie verstörenden Wahl eines mit seiner Misogynie öffentlich prahlenden Wüterichs zum US-Präsidenten.

Die aus Donald Trumps Amtsantritt resultierende Verunsicherung ließ ihren dystopischen Klassiker „Der Report der Magd“ ein zweites Mal zum Bestseller werden, 35 Jahre, nachdem die düstere Vision eines vor allem frauenfeindlichen, totalitären Staats auf amerikanischem Boden erschienen war.

Fortan genossen Atwood und die von ihr erfundenen leuchtend roten Kostüme der Mägde mit den weißen, das Gesicht verbergenden Hauben Kultstatus, nicht zuletzt dank der erfolgreichen Serien-Adaption unter dem Originaltitel „The Handmaid's Tale“.

Überall auf der Welt wurden sie zum wortlosen, aber visuell bildstarken Protest gegen die Verletzung von Frauen- und Menschenrechten.

Status als Ikone lehnt sie ab

Über ihren Roman sagt die Kanadierin dem pünktlich zu ihrem 80. Geburtstag erschienenen Gesprächsband von Caspar Shaller, dass er ihr heute „auf unheimliche Weise zutreffend“ erscheine. Ihren Status als Ikone lehnt sie zwar als „Blödsinn“ ab, aber dass ihr Schreckensszenario als Mahnung auf den Plakaten der weltweiten Gegenbewegungen firmiert, erfüllt sie mit einem gewissen Stolz. Ihr liebstes sei eines, auf dem in Anspielung an Trumps Slogan „Make America Great Again“ steht: „Make Margaret Atwood Fiction Again“.

Shaller, Jahrgang 1989 und selbst ein Vertreter jener jungen Generation, die Atwood gerade erst für sich entdeckt hat, lässt sie in diesem knappen, anregenden Gesprächsband ihr Leben und Schreiben Revue passieren. Als „unfreiwillige Prophetin“ sieht sie sich aber nicht.

Vielmehr sei es so, dass sie sich von Anthropologie und Evolutionspsychologie bis Ökologie und Technologie für alles Mögliche interessiere, um dann mit einem sehr genauen Blick auf die Gegenwart und auf das, was heute technisch möglich ist, etwas zu „extrapolieren“.

Beobachterin unserer Zeit

Dies verdichte sie dann zu einer Zukunftsvision. Deshalb beschreibt Atwood ihre Literatur auch nicht als Science Fiction, sondern als „Speculative Fiction“. Sie erfinde eben nichts, sondern amalgamiere das, woran geforscht werde, zu neuen und erschreckend aktuell wirkenden Szenarien.

Atwood präsentiert sich in dem Band aus der Reihe der Salon-Gespräche des Zürcher Kampa Verlags einmal mehr als genaue Beobachterin unserer Zeit.

[Margaret Atwood: Aus dem Wald hinausfinden. Ein Gespräch mit Caspar Shaller. Kampa, Zürich 2019. 160 S., 20 €]

Die oft glasklaren, pointierten Formulierungen, ob zum Klimawandel, zur Post-Truth-Ära, zur MeToo-Debatte, zum wiedererstarkenden Faschismus oder zum religiösen Fanatismus liest man selbst da noch mit Gewinn, wo man ihr nicht zustimmen mag.

Atwood macht gelegentlich große Sprünge, ufert aus oder verliert den Faden: Von Altersmilde findet sich bei dieser „Interview-Veteranin“, als die Shaller sie beschreibt, keine Spur. So fährt sie ihn einmal an: „Nerven Sie mich nicht, junger Mann, ich bin zu alt, um Ihre Probleme zu lösen!“

Recht hat sie, es bleibt viel zu tun in der Welt. An diesem Montag, ihrem 80. Geburtstag, kann sie sich hoffentlich auch mal zurücklehnen.

Bastian Reinert

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