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Ein Gondoliere auf dem Bodensee? Eine der Postkarten, die Cornelia Schleime für das „Traumbuch“ von Martin Walser neu inszeniert hat.

© Cornelia Schleime - Das Traumbuch

Martin Walsers Traumbuch: Mehr Licht, weniger Sex

Zu seinem 95. Geburtstag hat Martin Walser Träume aus fünfundzwanzig Jahren festgehalten – und Cornelia Schleime sie ihm auf Postkarten gemalt.

Auf der 20. und letzten dieser „Postkarten aus dem Schlaf“ erzählt Martin Walser davon, wie ihm sein Verleger Siegfried Unseld den Probedruck eines neuen Romans bringt, in schwarzes Leder gebunden, auf den Seiten Zeichnungen, dazu Zwischenüberschriften aus Gold. Und Unseld sagt zu ihm: „Das ist das schönste Buch, das wir je gemacht haben.“

Dieser Satz dürfte nicht ganz zufällig der letzte in diesem „Traumbuch“ sein, das sich Martin Walser zum 95. Geburtstag geschenkt hat.

Oder besser: hat schenken lassen, von seinem Verlag und vor allem von der Künstlerin Cornelia Schleime, die hier gewissermaßen die Vorderseiten der Postkarten gestaltete, nämlich in dem sie diese übermalt hat.

„Das Traumbuch“ ist tatsächlich ein schönes Buch geworden, (Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 144 S., 24 €.) von der Aufmachung her sicher das schönste dieses Schriftstellers seit langer Zeit.

Walser hält darin seine von Schleime surreal bebilderten Träume fest. Die stammen aus fünfundzwanzig Jahren und sind ihm nicht gleich nach dem Aufwachen entfallen, sondern haben sich ihm eingeprägt; vermutlich hat er sie auch gleich notiert, sind sie nicht jetzt erst geschrieben worden.

Natürlich ist Marcel Reich-Ranicki dabei

Bevölkert werden Walsers Träume von guten alten Bekannten, Freunden und Wegbegleitern, sowie von dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, nach dessen Tod und dem Roman „Tod eines Kritikers“ Walser mit Aplomb zum Rowohlt Verlag nach Hamburg wechselte.

Uwe Johnson, Max Frisch, Jürgen Habermas, Günter Grass oder Bernt Engelmann tauchen auf, natürlich auch Marcel Reich-Ranicki. Mit dem und dazu Michel Friedman schlägt er sich im Traum, es gibt „ein kurzes Gefecht mit den Stöckchen. Ich verliere irgendwie.“

Warum in der gleich darauf folgenden Sentenz der Schriftsteller und Walser-Getreue Arnold Stadler kommt, sich auf Walser legt und „Du miesepetriges Weib“ zu ihm sagt, darf unklar bleiben.

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Aber Walser behauptet ja auch, mit der Psychoanalyse, mit Sigmund Freud nichts anfangen zu können, Träume zu deuten sei für ihn eine Absurdität: „Träume müssen nicht gedeutet oder gar nach den billigsten Schlüsseln übersetzt werden, sie sind mir lieb und wert, so wie sie vorkommen.“

Tja, wenn das so einfach wäre, Walser sich da mal nicht täuscht, zumal bei seinem Prominenzgrad und überdies in einem Buch präsentiert. Seine Träume sind jedenfalls feucht und voller sexueller Anspielungen, Erleuchtungen und Zumutungen.

Das mag im Alter vielleicht so sein, doch Walser hatte auch in seiner fiktiven Roman- und Tagebuchwelt nie eine Scheu davor (zumal es ja ausdrücklich nicht die Träume eines 95-jährigen sind, sondern die aus dem letzten Vierteljahrhundert).

Wasserburg am Bodensee ist das Zentrum

Auffällig auch, dass der Kindheitsort immer wieder eine Rolle spielt, Wasserburg am Bodensee. Hier wurde Martin Walser 1927 geboren, und diesen Ort hat er in seinem Kindheitsroman „Ein springender Brunnen“ zu einem literarischen gemacht.

Mehrmals träumt er, aus Städten wie München oder Berlin nicht rechtzeitig mit dem Zug nach Wasserburg zu kommen: „Der Traum hat, wenn er einen Bahnhof braucht, eben nur den Wasserburger Bahnhof zur Verfügung. Der Traum kann nur mit den gegebenen Elementen arbeiten. Und es gibt, wie in der Chemie, so auch im Leben nur ein recht beschränkte Zahl von Elementen. Und die sind alle in Wasserburg beheimatet.“

Am animiertesten sind hier die Träume, in denen sich die Gegebenheit der Elemente nicht zurückverfolgen lässt, zumindest von außen: Wenn es um gefiederte Hunde geht, um den Selbstkostenpreis Gottes, um Kinder, die mit Krawatten zur Welt kommen. Oder wenn Walser wieder zum Traumexperten wird und schreibt, dass es nie genug Licht gebe, seine Träume nicht besser erleuchtet seien als das 18. oder 19. Jahrhundert. Also, nochmal: ein schönes Geburtstagbuch. Mehr Spaß als beim Lesen hat man jedoch beim Blättern und Anschauen.

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