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Kultur: Mehr Milch!

Zu den humoristischen Glanzlichtern des völlig saurierfreien Films "Der dritte Mann" gehörte die Verhaftung einer Frau durch einen Trupp alliierter Polizei.Dem Regisseur Carol Reed und dem Autor Graham Greene bot die im Nachkriegs-Wien nicht ungewöhnliche Szene Gelegenheit zu einem winzigen Exkurs über nationale Eigenheiten.

Zu den humoristischen Glanzlichtern des völlig saurierfreien Films "Der dritte Mann" gehörte die Verhaftung einer Frau durch einen Trupp alliierter Polizei.Dem Regisseur Carol Reed und dem Autor Graham Greene bot die im Nachkriegs-Wien nicht ungewöhnliche Szene Gelegenheit zu einem winzigen Exkurs über nationale Eigenheiten.Besonders eindrucksvoll geriet ihnen der Franzose, ein ebenso praktisch veranlagter wie galanter Mann: "Ihr Lippenstift, Madame!"

Auch in Roland Emmerichs Film "Godzilla" spielen Franzosen eine Rolle, was erneut Anlaß zur Nationalminiatur gibt, doch sollte man die beiläufig-augenzwinkernde Lippenstift-Episode schnell wieder vergessen: Der Vergleich fällt allzu ernüchternd aus.Jean Reno, spätestens seit "Mission: Impossible" in Hollywood etabliert, will auch als Frenchman in New York nicht aufs Croissant verzichten, kann aber nur resigniert in einen Bagel beißen und erträgt selbst Kaffee der Marke "French Rose" allenfalls mit "Mehr Milch!" - ein Patriot ganz und gar, woraus Emmerich fast so etwas wie einen running gag bezieht.

Der frankophile Verriß amerikanischer Frühstückssitten ist nur scheinbar ein abseitiges Detail.Zum einen ist er typisch für Emmerichs pastosen Farbauftrag.Zum anderen kommt ihm und anderen Humorbemühungen die Funktion zu, der Katastrophenstory doch noch so etwas wie Leben einzuhauchen, dem kalten, aseptischen Schrecken der computergenerierten Bestie glaubwürdige, zur Identifikation einladende Menschen entgegenzusetzen.Ein gescheiterter Versuch: "Aber wo bleibt das Vergnügen?" fällt einer Figur auf die Mitteilung, Godzilla pflanze sich asexuell fort, lediglich ein, und dies muß man schon als Spitze des Dialogwitzes hinnehmen, dicht gefolgt von der Erklärung eines französischen, an seine Kollegen Kaugummis verteilenden Geheimagenten, damit sähen sie amerikanischer aus.

So bleibt - neben stereotypem Personal und weitgehend blutleerem Agieren seiner Darsteller von Matthew Broderick über Jean Reno bis hin zum Blondchen Maria Pitillo - das Hauptproblem des Films sein völlig absehbarer, darin durch keinerlei überraschende Ironiesplitter gemilderter Verlauf.Eigentlich ein cineastisches Paradoxon, geht es doch um ein unberechenbares Monster, ein durch französische A-Waffentests mutiertes, Manhattan niedertrampelndes Reptil.Eine uralte Geschichte, zusammengebraut aus angejahrten, nur noch mit nostalgisch verklärtem Lächeln konsumierbaren Kinomythen.Der Ur-"Godzilla" von 1954, von dem Regisseur Inoshiro Honda in den japanischen Toho-Studios erschaffen und Vorbild für gut 20 weitere Monstrositäten des Nippon-Kinos, war nur eine der Quellen, aus denen Emmerich schöpfte.So kann er guten Gewissens behaupten, es handele sich nicht um ein Remake.Eher greift sein Hollywood-"Godzilla" die 1953 gedrehte, landeseigene Billigproduktion "The Beast from 20 000 Fanthoms" auf, in der ein Saurier atomar aus seinem Tiefschlaf geweckt wird und aufgebracht New York plattmacht.Ihr weltweit immenser Erfolg - Warner Bros.hatte das Filmchen für 450 000 Dollar gekauft und Millionen eingenommen - löste eine Flut ähnlicher Werke aus.Einer der ersten war der Toho-"Godzilla", der vorerst letzte ist die Bestie Roland Emmerichs, der selbst den Einfall zu Godzillas Ende aus "The Beast" bezog.Dort verhedderte sich der Saurier auf Coney Island in einer Achterbahn, diesmal wird er von den Stahlseilen der Brooklyn Bridge gestoppt.Auch die Nestsuche des trächtigen Godzilla ist entliehen, Vorbild war offenbar der Spinnenfilm "Tarantula" von 1955.

So bleibt als Sehreiz allenfalls das Technische, die Perfektionierung der Illusion.Zugegeben, Emmerich und Co.beherrschen ihre Computer nicht schlechter als die Spielberg-Truppe und lassen vergessen, daß die Saurierbilder nur virtuell sind.Aber die Kraft, den Mythos glaubwürdig zu reanimieren, besitzen sie nicht, suchen ihr Heil statt dessen in Godzillas endlos sich austobender Zerstörungswut.Das provoziert zunehmend Langeweile, zumal der Kalte Krieg - der politische Hintergrund, den Godzilla und seine Kumpane einmal besaßen - historisch überwunden ist.Da mag Emmerich alles versuchen, um seinen Saurier den atomtestenden Franzosen in die Schuhe zu schieben und damit zu aktualisieren, es bleibt doch eine seelenlose Echse, als Inkarnation der Bombe nicht mehr akzeptabel.

Ihre Finanziers muß das nicht irritieren, erwies sich Godzilla doch mittlerweile als Goldesel: Den ernüchternden US-Filmstart - 74 Millionen Dollar Einspielung am langen Memorial-Day-Wochenende, gegenüber 130 Millionen Dollar für die Produktion und noch einmal 50 Millionen für Werbung - hat das Trampeltier längst wettgemacht.Rund 140 Millionen Dollar allein in den USA wurden bislang eingespielt, und in Spanien beispielsweise wird das Ergebnis nur von einem Film übertroffen: Emmerichs "Independence Day".

Und auch dies muß man als positiv bilanzieren: Ergonomisch stellt "Godzilla" eindeutig einen Fortschritt dar.Bei den Saurierbabys bemühte Emmerich zwar noch immer kostümierte Darsteller, sein Titelmonster aber schufen Mitarbeiter, die stundenlang nur tastendrückend in gewiß klimatisierten Räumen saßen.Ihre japanischen Vorgänger in den fünfziger Jahren dagegen hielten es in ihren Gummianzügen nur Minuten aus, dann kippten sie von selber um.

In 22 Berliner Kinos, OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und in der Kurbel

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