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Künstler Timm Ulrichs: Mein Werk bin ich

Der Künstler Timm Ulrichs erhält den Käthe-Kollwitz-Preis für sein Lebenswerk. Die Akademie der Künste zeigt seine Arbeiten.

Timm Ulrichs macht es niemandem leicht, am wenigsten sich selbst. Seine Kunst ist anspruchsvoll und widerständig: eine fortwährende Provokation, verantwortlich für absurde Momente. 1965 wurde sein Beitrag für eine explizit juryfreie Ausstellung in Berlin aussortiert. Dabei hatte Ulrichs weder „Merda d’artista“ produziert wie Piero Manzoni, der vier Jahre zuvor seine Fäkalien in Dosen abfüllte, noch wollte er sich ausziehen oder vor Publikum malträtieren. Es ging lediglich um ein paar Spiegel – und die Teilnahme als „erstes lebendes Kunstwerk“, eine Exposition des Künstlers in einer Vitrine. Den Zuständigen der Schau unterm Funkturm erschien dies zu radikal. Ulrichs realisierte sein Projekt erst 1966 in einer Galerie; also ausgerechnet dort, wo die meisten vor allem kommerzielle Interessen vermuten. Doch wer kauft schon einen Künstler hinter Glas?

Enfant terrible des Kunstbetriebs

Nun hat es noch einmal sechs Jahrzehnte gebraucht, bis eine Jury entschied: Timm Ulrichs, der im März seinen 80. Geburtstag feiert, verdient den Käthe-Kollwitz-Preis für sein Lebenswerk. Am heutigen Donnerstagabend wird ihm die Auszeichnung in der Akademie der Künste überreicht, die Laudatio hält Peter Weibel, zu den Juroren zählten unter anderem Kurator Wulf Herzogenrath und der Künstler Gregor Schneider.

In der begleitenden Ausstellung bekommt man ein Bild von jenen Arbeiten, die den Künstler zum enfant terrible eines Betriebs machen, der sich ungern vorführen lässt. Dass einer sich selbst zum Werk erklärt und dem Publikum den Spiegel vorhält, wirkt wie ein Reflex auf den latenten Narzissmus der Branche. Ulrichs denkt jedoch komplexer und erkennt allein im Begriff des Bildes enormes interpretatorisches Potenzial. So steht er auf einer Fotografie von 1970 im schwarzen Anzug zwischen zwei auf die Wand gemalten Rechtecken, die weiße Flächen und in kleiner Schrift jeweils das Wort „Bild“ rahmen. Ein Bild ist ein Bild ist die Idee eines Bildes, könnte man sagen. Und Ideen sind Ulrichs’ kreativer Schatz.

Beschäftigung mit Kunst und Sprache

Vielleicht deutet die Schau in der Akademie der Künste doch mehr an, mit welchem Witz und gleichzeitigem Ernst der Künstler ans Werk geht. Eine Projektion auf der Wand wechselt zwischen den Worten „Kino“ und „Ikon“, schwarze Bänder alter Schreibmaschinen präsentieren „Das literarische Gesamtwerk“ (1968), das natürlich verloren ist, weil Ulrich aus den Bändern Buchstabensalat gemacht hat.

Andere Arbeiten dokumentieren seine Beschäftigung mit Kunst und Sprache. „The End“ steht etwa auf seinem Augenlid, von dem es eine große schwarz-weiße Fotografie gibt – und einen Film zur vorangegangenen Tätowierung (1970/ 16.5.1981), von der man nicht wissen möchte, wie weh sie Ulrichs getan haben muss. Seitdem wird jedes Mal „Das Ende“ sichtbar, sobald er die Augen schließt.

Man kann das Tattoo als Vanitas-Symbol deuten. Oder es mit einer Performance von 1975 vergleichen, für die er mit dunkler Brille, Stock und gelber Armbinde über die Kölner Kunstmesse stakste. „Ich kann keine Kunst mehr sehen“ stand auf einem Schild um seinen Hals. Ähnlich mehrdeutig funktioniert „The End“: Mit geschlossenen Augen kann oder muss man nicht mehr sehen, was die Kollegen fabrizieren. Ulrichs, der nicht länger hinschaut, konzentriert sich lieber auf das, was in seinem Kopf abläuft. Totale Konzeptkunst.

Timm Ulrichs gilt als schwierig

Sein Leben ist ein „Totalkunstwerk“, voller Fotos, Videos, Zeichnungen, Performances und Widersprüche. Als Autodidakt hat er über 30 Jahre lang an der Akademie in Münster als Professor gewirkt und parallel dazu ein reiches Werk geschaffen, das ab März in einer zweiten Ausstellung im Haus am Lützowplatz (HAL) zu sehen ist: „Timm Ulrichs: Ich, Gott und die Welt“ wird 100 Tage lang um je eine Arbeit wachsen und am Ende einen wirklichen Überblick vermitteln.

Der Künstler gilt als schwierig und empfindlich, vor allem wenn er seine Ideen in den Arbeiten jüngerer Kollegen wieder auftauchen sieht – was nicht allzu schwierig ist, denn Ulrichs hat sich selten tief in ein Thema gebohrt. Lieber streift er es auf dem Weg zum nächsten Projekt und deckt auf diese Weise seit den sechziger Jahren vieles ab, was andere Künstler dann weiterentwickeln. Ulrichs sorgte auch während der Pressekonferenz für ungläubige Blicke, als er von seinem Unwillen zur Wiederholung sprach. Nicht einmal Schuhe könne er regelmäßig putzen, das fiele klassischerweise in den Bereich der „Hausfrau“.

Ulrichs fällt es offenbar nicht schwer, sich unbeliebt zu machen. Dennoch ist die Entscheidung der Jury mit Blick auf den Avantgardisten und sein radikales Werk vollkommen richtig. Den Käthe-Kollwitz-Preis gibt es bereits seit 1960, und Künstler wie Max Uhlig oder Sabina Grzimek, die aus derselben Generation wie Ulrichs kommen, haben ihn schon in den achtziger Jahren erhalten. Die Zeit war offenbar nicht reif für ein Werk, das den Künstler ins Zentrum rückt; gar nicht so sehr aus Selbstliebe, sondern als Konsequenz eines konzeptuell geprägten Werks. Wenn Denken zur Basis künstlerischer Arbeit wird, ist es nur konsequent, dass Ulrichs den Ursprung seiner Ideen exponiert: sich selbst.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 1.3., Di-So 11-19 Uhr. Die Ausstellung im Haus am Lützowplatz eröffnet am 6.3. um 19 Uhr und dauert bis zum 14.6

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