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Kultur: Mensch denkt, Hamster lenkt

Comeback I: Peter Gabriel zelebriert im Berliner Velodrom sein Traumtheater

Bamp, bamp, bamp macht es, als Peter Gabriel in einem riesigen, kristall-glitzernden Gummiball über die Bühne hüpft. Hören kann man das natürlich nicht, weil die Band ein Grummeln und Wummern durch das Oval der Halle schickt, dass es einem in den Ohren dröhnt. Trotzdem: bamp – so stellt man sich die Wucht vor, mit der Gabriel seinen fülligen und im Studio etwas hüftsteif gewordenen Körper gegen die Innenwände der Kunstblase wirft. Es ist ein grandioser, vielleicht der schönste Moment des zweieinhalbstündigen Konzerts, mit dem sich der britische Musiker und einstige Genesis- Frontmann nach zehn Jahren erstmals wieder auf einer Rockbühne zeigt. Und wenn sich bei den 12 000 Zuschauern im Berliner Velodrom zuvor leise Zweifel breit gemacht haben sollten, ob der 53-Jährige es nach all den Jahren noch einmal würde herausreißen können, dann wurden sie in diesem Augenblick zerstreut. Bamp, bamp, bamp.

Dabei fing es alles andere als wuchtig an: Gabriel, mit weißem Borstenschädel und in eine Art asiatischen Kampfanzug gekleidet, schreitet gemächlich an sein Synthesizer- Modul, in der Hand ein paar Zettel, von denen er in den nächsten Stunden immer wieder kurze Erläuterungen ablesen wird – in rührendem, sehr vornehm formuliertem Deutsch. Er will eben unbedingt verstanden werden, auch wenn er Sätze sagt wie „Gott könnte auch ein Hamster sein“. Woher seine Zuneigung zu dieser kantigen Zungenbrechersprache wohl rührt?

Schon früher hat er sie mehrfach durch eigens ins Deutsche übertragene Album-Versionen bekundet. Und nun singt er mit „Hier kommt die Flut“ zum Auftakt eine Untergeher-Ballade, deren brüchige Weltschmerzverzweiflung nicht zufällig an die schwarze Romantik deutscher Lyriker erinnert. Hat Gabriel für seine Innerlichkeitsdramen doch stets nach Bildern gesucht, in denen er seine Ängste mit metaphysischen Zweifeln aufladen konnte. Meist geht es um Dämme, die unter der Last eines übermächtigen Ansturms brechen, um die Einsamkeit eines Verlassenen und die Unfähigkeit, einfachste Gefühle zuzulassen. Dass sein Interesse für tiefenpsychologische Fragen trotz Therapie, Scheidung und einer neuerlichen späten Vaterschaft nicht abgenommen hat, zeigt die Blut-Orgie „Red Rain“, mit der er den Abend in ein Theater des Imaginären verwandelt.

Auf der mitten im Menschenmeer wie eine Insel errichteten Rundbühne stehen Gabriel und seine sechs Begleitmusiker einander zugewandt, mit dem Rücken zum Publikum. Sie sind Akteure eines Traumtheaters, das als Bewusstseinstrom unablässig geisterhafte Bilder ausstößt – Gabriel hat die Show zusammen mit dem kanadischen Regisseur Robert Lepage entworfen. Ein gigantischer Tropfen wölbt sich aus der Decke, wird zur Tulpenblüte, um sich dann in den Mond zu verwandeln, derweil der Meister von seiner Hoffnung singt, dass das Leben aus mehr als nur irdischen Genüssen besteht („there must be more than this“). Bei „Downside Up“ hebt er die Welt aus den Angeln der Schwerkraft und hängt mit seiner Tochter und Backgroundsängerin Melanie minutenlang kopfüber von einer Stahlkonstruktion: Das Hirn als Illusionsmaschine, die sich den Himmel als Boden denkt.

Darüber gewinnt der Abend nur allmählich an Fahrt. Immer wieder unterbrechen Umbaupausen, in denen orangefarbene Männchen wie Arbeitszwerge aus dem Untergrund emporklettern, den Klangfluss. Und so liebevoll Gabriels Erläuterungen auch gedacht sind, sie wirken bald wie bleierne Auszeiten, weil aus den pulsierend-pathetischen Songgemälden das Feuer einfach nicht herausschlagen will. Auch „Diggin’ In The Dirt“ entfaltet nicht die hypnotische Gravität, die es gewinnen kann – wir erinnern uns. Erst als Gabriel mit „Solsbury Hill“ und „Sledgehammer“ seine größten Hits hintereinander spielt, ist es da, das knallige Donnergrollen, das seine beiden ewigen Sidemen David Rhodes (Gitarre) und Tony Levin (Bass) unnachahmlich macht. Dinge können so einfach sein, wenn sie nur funky sind.

So werden Bilder in Erinnerung bleiben: Wie sich der Traumtänzer zur TV-Satire „Barry Williams Show“ mit einer Kamera aus nächster Nähe selbst aufs Korn nimmt. Oder wie seine Tochter zu „Mercy Street“, dem nach wie vor schönsten Gabriel-Song, in einem Ruderboot um die Bühne kreist („Anne with her father is out in the boat/ riding the water/riding the waves of the sea“). Vor allem aber das eine Bild ist unvergesslich, das er sich für „Growing Up“ ausgedacht hat: im hohlen Kern einer Pusteblume rollt er um den Bühnenrand und sieht sich als verpupptes Wesen, das davon träumt, als Schmetterling wieder geboren zu werden.

Warum nicht? Vielleicht hat Gott, der Hamster, ein Einsehen.

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