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Comic auf Goldgrund: Immer wieder mal wird in "Meteora" die Liebesgeschichte zwischen Theodoros und Urania in gemalte Bilder gefasst.

© kairosfilm

„Meteora“ von Spiros Stathoulopoulos: Der irdische Freudenberg

Wenn Mönch und Nonne einander lieben: Der junge Regisseur Spiros Stathoulopoulos schafft mit "Meteora" ein Hohelied auf die irdische Liebe.

Meteora. Das Wort leitet sich ab vom griechischen „In die Höhe heben“. Die schroffen, fast unzugänglichen Sandsteinfelsen Thessaliens sind der ideale Aufenthaltsort für Menschen eher vertikaler Gemütslage. Vor tausend Jahren trafen die ersten Mönche hier ein, um Erdanziehungen aller Art zu entkommen. Sie haben ihre Klöster geradewegs in die Wolken gebaut – bei Nebel, wenn nur noch die Dächer herausschauen, weiß man es wieder. Was für ein Dauerschweben zwischen Gott und Welt!

Der junge Regisseur Spiros Stathoulopoulos hat in seinem zweiten Spielfilm die heiligen Sandsteine von Meteora zu seinen Hauptdarstellern gemacht, zumindest drei von ihnen. Einer links, einer rechts. In der Mitte ein kleinerer, mit Baum obendrauf. Der Baum des Lebens?

Auf dem linken Felsen wohnt der griechische Mönch Theodoros, ein Praktikant Gottes, auf dem rechten die russische Nonne Urania. Zwischen ihnen liegt der Abgrund, so tief, wie er sein sollte zwischen zweien, die sich vorgenommen haben, aus dem Kreislauf kreatürlicher Anziehungen zu emigrieren. So weit die Idee, die optische Eingebung. Und jetzt kommt das Wunder: Es gelingt. Und man weiß anfangs nicht recht, wie.

Niemand hat uns vermisst

„Meteora“ ist eine Liebeserklärung an die Welt, wie sie war, bevor wir kamen. Niemand hat uns vermisst, sagen die Bilder dieses Films. Berge und Licht und das ewige Lied der Zikaden, alles war vollständig und war sich genug. „Meteora“ ist weiterhin ein Hohelied auf die irdische Liebe. Und eins auf die himmlische Liebe. Das ist sein Dreiklang. Denn was ist all die Schönheit, ohne die Augen des Menschen, sie zu sehen? Ohne Spiros Stathoulopoulos’ Kamera also, gleichsam als Auge Gottes.

Wahrscheinlich besteht ein Film nicht zuletzt aus dem, was er weglässt. So scheinen Theodoros (Theo Alexander) und Urania (Tamila Koulieva) fast allein auf ihren Felsen zu wohnen. Wie die beiden dort hochgekommen sind und warum, erfahren wir nicht. Nicht einmal, wo sie sich zum ersten Mal trafen. Ihre Mitmönche und Mitnonnen geraten allenfalls beiläufig ins Bild, gefangen in ihrem ewig gleichen heilig-unheiligen Alltag. Sollte man gar von einem Vegetieren in Gott sprechen dürfen?

Oder liegt es daran, dass Theodoros und Urania jene Überwachheit, Überempfänglichkeit aller Sinne besitzen, wie dies nur Liebenden geschieht, so dass die ganze Welt zur Kulisse ihrer Beseelung wird? Und zugleich scheint sie erst von ihnen, den Überreichen, ihre Farben und ihren Duft zu empfangen.

Blasphemie ohne Blasphemie

Es ist offenkundig: Gott teilt seine Hauptbegabungen mit den Liebenden. Beide geben ab von ihrem Überfluss, beide beseelen die Welt. Und ist es denn Zufall, dass die erotischen Wortmeldungen sich gleichen – ob sie die Liebe zu Gott oder die zu einem anderen Menschen formulieren wollen, zwei Tatbeständen am Rande der Sprachlosigkeit?

Man kann das alles recht gut erklären. Ein Film aber, der zu erklären beginnt, ist verloren. Wahrscheinlich ist das der Kniff des Spiros Stathoulopoulos, 1978 in Griechenland geboren, aufgewachsen in Kolumbien: Seine Regie ist auf wunderbar sparsame Weise blasphemisch, ohne blasphemisch zu sein. Er spielt mit dem Goldgrund der Ikonen und mit dem Lichtstrahl des heiligen Geistes.

Man sieht Theodoros sich bekreuzigen, so inständig, dass es bald wie ein etwas aus der Art geschlagenes Fitnesstraining aussieht, jedes einzelne Kreuz eine neue Austreibung Uranias. Dann überprüft er kurz den Effekt, küsst einen goldglänzenden Jesus mitten auf den Mund und hält die Ikone als Brennspiegel in Richtung von Uranias Fenster gegenüber. Der Lichtstrahl Gottes wird zum Botschafter der Liebe, über jeden Abgrund hinweg. Einmal jedoch wird Urania einfach ihren schwarzen Umhang vors Fenster hängen, zum Zeichen ihres Missvergnügens. Es geschieht nach beider erstem heimlichen Abendmahl im Freien, als das Bodenpersonal Gottes alle Grenzen überschreitet.

Nimm mich, ich bin dein Becher!

Verzweiflung ist die einzige Sünde, die nicht vergeben werden kann, weiß Urania. Sie denken gemeinsam über diesen Satz nach und sind sich nicht sicher. Er will ihr Haar sehen, sie sagt, das gehe ihn nichts an. Sie lachen über das russische Wort für Freiheit: Swoboda. Sie lachen überhaupt viel. Sie hält ihm den leeren Weinbecher hin, er füllt ihn und trinkt ihn selber. Füllt ihn noch einmal, trinkt ihn wieder. Ihr Befremden. Sein provokanter Blick: Nimm mich, ich bin dein Becher! Muss man erst einen Quasi-Klosterfilm sehen, um einem Sachverständigen für erotisches Kino zu begegnen?

Und hier beginnen sogar die Ikonen zu leben: Immer wieder wird „Meteora“ zugleich in Animationsszenen weitererzählt, und dieser Comic auf Goldgrund ist nie störend, nie trivial. Stathoulopoulos sagt, in seinem Film gehe es um den unaufhebbaren Widerspruch von Körper und Geist. Aber wären der entgeistete Körper und der körperlose Geist wirklich zu wünschen? „Meteora“ ist ein Plädoyer für die Mischung.
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