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Belgraderin in Berlin. Die Schauspielerin Mirjana Karanović.

© Thilo Rückeis

Mirjana Karanović im Porträt: Auf der Seite der Mütter

Mirjana Karanović ist eine der bedeutendsten Schauspielerinnen des Balkans. Das Panorama zeigt ihre neue Tragikomödie „Rekvijem za Gospodju J.“ - eine Begegnung.

Ein gutes monochromes Bild zu malen, ist schwerer, als man denkt. Es braucht Mut und Könnerschaft, um die Betrachterinnen und Betrachter für eine einfarbige Fläche zu begeistern. Mindestens ebenso anspruchsvoll ist es, sein eigenes Gesicht in ein monochromes Gemälde zu verwandeln. Und es braucht schon eine Meisterin wie Mirjana Karanović, damit man es tatsächlich 90 Minuten lang gebannt anschaut.

Grau und nahezu ausdruckslos sind die Züge der von ihr gespielten Jelena in „Rekvijem za Gospodju J.“ („Requiem for Mrs. J.“). Die Witwe lebt mit ihrer erwachsenen und ihrer etwa zehnjährigen Tochter in einem Belgrader Plattenbau. Sie hat ihre Arbeit verloren und ihren Lebenswillen. In der ersten Szene baut sie eine Pistole zusammen – sie will sich umbringen.

Wie es war, diese depressive Frau fast ohne jede Regung zu spielen? Mirjana Karanović lacht auf: „Furchtbar!“ Sie habe noch nie eine derart passive Figur verkörpert. „Ich habe mich sehr gehemmt gefühlt, als sei ich eingeschnürt“, sagt sie beim Gespräch im Berlinale Palast.

Serbien als Wartezimmer

Immer wenn sie versucht habe, doch ein bisschen was rüberzubringen, habe Regisseur Bojan Vuletić das nicht erlaubt. Sie hat ihm vertraut – und er ihr. Weshalb „Requiem for Mrs. J.“ ein feiner, leiser Film geworden ist, der nicht nur von einer lebensmüden Frau erzählt, sondern eine ganzen, von Erschöpfung niedergedrückten Gesellschaft in den Blick nimmt.

Ein wiederkehrendes Motiv sind volle Warteräume. Die dort aufgereihten Menschen wirken wie lebendige Installationen. In den Amtsstuben und an den Schaltern geht es umständlich bis gar nicht voran. Ein Land im Wartestand. „So leben wir schon seit Jahrzehnten“, sagt Mirjana Karanović. Es sei mehr ein Überleben als ein Leben. Man höre ständig Sätze wie: Lass uns nur diese Woche überstehen. Oder: Möge dieses Jahr doch endlich vorbei sein. Für den Gemütszustand ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger findet die serbische Schauspielerin ein treffendes Bild: „Alle Lebensfunktionen und Gefühle werden auf das niedrigste Niveau heruntergefahren. Wie bei diesem Bär, wenn er Winterschlaf hält“, sagt sie und zeigt auf ein Berlinale-Plakat.

Mirjana Karanović im Film "Rekvijem za gospodju J." ("Requiem for Mrs. J.").
Mirjana Karanović im Film "Rekvijem za gospodju J." ("Requiem for Mrs. J.").

© Berlinale

Sie schätzt sich glücklich, dass sie dieser Atmosphäre durch ihren Beruf immer wieder entkommen kann. Die 60-Jährige, die in ihrer Geburtstadt Belgrad lebt und an der dortigen Akademie seit 1998 Schauspiel unterrichtet, ist eine vielbeschäftigte Frau. Allein im letzten Jahr wirkte sie in zwei Spielfilmen, einem Kurzfilm und zwei Fernsehserien mit. Ihre Filmografie umfasst über 80 Produktionen. In den ex-jugoslawischen Ländern ist sie eines der bekanntesten Leinwandgesichter, eine resolute, vielfach preisgekrönte Diva.

Bekannt wird sie 1985 mit Emir Kusturicas „Papa ist auf Dienstreise“. Angesiedelt im Sarajevo der Fünfziger, spielt sie eine Mutter, die ihren Söhnen vormacht, dass der von Miki Manojlovik verkörperte Vater geschäftlich unterwegs ist. Dabei schuftet er in einem Arbeitslager.

Karanović spielte die Hauptrolle im Bären-Gewinner "Grbavica"

Mehr als 20 Jahre später verkörpert Karanović noch einmal eine Mutter aus Sarajevo, die ihrem Kind nicht die Wahrheit sagt: In „Grbavica – Esmas Geheimnis“ spielt sie eine Frau, die von Serben vergewaltigt wurde, eine Tochter bekam und diese im Glauben lässt, ihr Vater sei als Held gefallen.

Das intensive Drama von Jasmila Žbanić gewinnt 2006 den Goldenen Bären, woran sich Mirjana Karanović gern erinnert: „Es war schon ein Erfolg, dass er überhaupt im Wettbewerb lief“, sagt sie. Der Hauptpreis sei wie mehrere Preise in einem gewesen. „,Grbavica’ war aber vor allem deshalb erfolgreich, weil der Film dazu beigetragen hat, dass vergewaltigte Frauen in Bosnien den Status von Kriegsopfern erhielten und damit eine kleine Pension“, sagt Karanović. Über die serbische Reaktion auf das Werk ist sie hingegen immer noch aufgebracht. „Grbavica“ hatte nie einen Kinostart in ihrer Heimat, denn er sei „als Attacke auf das serbische Volk“ verstanden worden. Dabei erzähle er eine sehr persönliche, menschliche Geschichte, darüber, wie man mit den Wunden der Vergangenheit umgehen könne.

Als erste Serbin spielte sie nach dem Krieg in einem kroatischen Film mit

Die Folgen der jugoslawischen Zerfallskriege sind ein wichtiges Thema für Mirjana Karanović, die sich in den Neunzigern klar gegen Miloševićs Aggessionspolitik positioniert hatte. So spielt sie 2003 als erste Serbin nach dem Krieg in einem kroatischen Film mit: „Svejdoci“ („Die Zeugen“) läuft ebenfalls im Berlinale Wettbewerb und handelt von der Vertuschung eines Verbrechens während des serbisch-kroatischen Krieges. In der Rolle der Mutter eines Täters hat Karanović dabei eine zentrale Rolle. „Es gab damals ein paar negative Reaktionen, dass eine Serbin eine Kroatin spielt. Aber sowas schiebe ich beiseite“, erinnert sich die Schauspielerin, die schon unzählige Male nationalistischen Fanatikern bedroht und beschimpft worden ist.

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Relativ ruhig wurde in Serbien ihre erste eigene Regiearbeit „Dobra Žena“ aus dem letzten Jahr aufgenommen. Was allerdings auch daran liegen kann, so vermutet Karanović, dass der Film bisher dort nicht von einem Massenpublikum gesehen wurde. Er lief nach der Locarno-Premiere auf Festivals und in den serbischen Kinos. Karanović möchte vor allem, dass „Dobra Žena“ im nationalen serbischen Fernsehen gezeigt wird. Bisher hat sie noch keine Zusage, was vermutlich am Thema des Werkes liegt: Die titelgebende, von Karanović gespielte „gute Ehefrau“ hat zwei erwachsene Kinder, ein schönes Haus und einen treusorgenden Mann. Als sie entdeckt, dass dieser im Bosnienkrieg an der Erschießung Unschuldiger beteiligt war, stürzt sie das in eine moralische Krise.

Zwei jüngere Kolleginnen haben sie ermutigt

Warum dieser Film? „Ich dachte, dass wir nach den Kriegen und Milošević in eine neue Phase eintreten, dass wir anfangen, Dinge aufzuarbeiten. Ich hoffte, wir würden offener darüber sprechen, was geschehen ist und wie es dazu kam. Doch nichts davon ist passiert“, erklärt Karanović. Sie sei zu optimistisch gewesen, statt Aufarbeitung dominiere weiterhin eine feindselige Rhetorik. „Es gibt auf dem ganzen Gebiet des Balkans diese Unterscheidung in ,unsere’ und ,deren’ Verbrechen. Sind Verbrechen an ,unseren’ Leuten begangen worden, ist das schrecklich und muss gehört werden. Waren die ,anderen’ Opfer, war die Gewalt gerechtfertigt, es musste einfachsein.“ Gegen diese Doppelmoral habe sie etwas sagen wollen.

Ein weiterer wichtiger Faktor bei ihrem Regiedebüt war die Ermutigung durch zwei jüngere Kolleginnen, mit denen sie jeweils zwei Filme gedreht hat: die Bosnierin Jasmila Žbanić und die Schweizerin Andrea Štaka. „Es hat mir imponiert, wie die beiden eine Gruppe führen, ihre Ziele durchsetzen“, sagt Mirjana Karanović. Also dachte sie, das könnte sie vielleicht auch. Konnte sie. Praktischer Nebeneffekt des Selbst-Regieführens bei gleichzeitigem Hauptrollen-Einsatz: Niemand außer ihr selbst kontrolliert ihr Gesicht.

14.2., 9.30 Uhr, (Cinemaxx 7), 15.2. 14.30 Uhr (Cubix 9)

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