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Kultur: Mit dem Kopf gegen die Wand

Es ist eine harte Zeit. Arbeiter werden als Ware und Arbeitsinstrumente behandelt, Privatunternehmer regieren gottähnlich.

Es ist eine harte Zeit. Arbeiter werden als Ware und Arbeitsinstrumente behandelt, Privatunternehmer regieren gottähnlich. Wäre es nicht ehrlicher, gleich wieder die Sklaverei einzuführen? Wir schreiben das Jahr 1932. Die kritischen Zeilen entstammen der Feder des undogmatischen Sozialisten und großen Verhinderten Franz Jung (1888-1963), der frei nach Karl Marx für einen Bellizismus des "Krieges an sich" plädiert.Mehr als neunzig Jahre danach findet im Tacheles in der Oranienburger Straße eine illustre Runde zusammen. Man will irgendetwas gründen an jenem Dezember-Abend im Jahre 1994, keiner weiß genau, was. Aber über alledem schwebt der Geist von Franz Jung. Thomas Kapielski und Jes Petersen, als Agit-Prop-Redner engagiert, diskutieren besoffen mit dem Publikum, als plötzlich Biergläser fliegen. Das Chaos ist perfekt, immerhin aber gibt es nun eine Zeitschrift. Titel: "Sklaven". Darin findet sich Jungs programatischer Text "Für die Wiedereinführung der Sklaverei". Angesichts der "Kolonisation des Ostens durch den Westen", so die Botschaft, sei das ironische Plädoyer für die Sklaverei wieder höchst aktuell.Prenzlauer Berg, Schliemann Straße, mittlerweile schreiben wir das Jahr 1999. Bert Papenfuß, ehemals Bausoldat und Beleuchter, heute Poet und Sklaven-Mitbegründer, sitzt mit seinen Kampfgefährten Stefan Ret und Andreas Hansen in der Redaktion von Basis-Druck. Die Sklaven-Arbeiter machen gerade das einundfünfzigste Heft, es soll das letzte sein. Papenfuß, im obligatorischen Schwarzmeerflotte-Ringel-T-Shirt mit Doppeladlerkoppel, schwarzem Stern auf schwarzer Glattlederweste, denkt über eine Begründung für den Bruch nach: "Es war Zeit für einen Schlußstrich." "Es ging so nicht weiter", assistiert der studierte Geisteswissenschaftler Hansen, der als Wessi zum inneren Sklaven-Kreis gehört.Die Aktivisten vom Prenzlauer Berg blicken auf wechselhafte Zeiten zurück. Da waren die Abende in Stefan Görings nach dem Arbeitstitel der Autobiographie von Franz Jung benannten "Torpedokäfer" in der Dunckerstraße. Über der eigentlich recht normalen Destille schwebte stets ein Mythos. Alles konnte hier passieren, wenn die Sklaven konspirierten: Abstürze, spontane Manifeste, Entgleisungen jeder Art. Vor allem aber Literatur. Denn die sollte eigentlich im Zentrum stehen, auch heute noch, wenn man sich im "Siemeck" in der Lychener Straße trifft. "Sozialengagierte Literatur" benennt Stefan Ret den unmodischen Anspruch. "Das Marktschreierische interessiert nicht." Stattdessen entstehen Texte jenseits des Zeitgeistes, vom utopischen Manifest über die linke Kulturkritik bis zur Hinterhof-Lyrik. Der Hipness-Faktor tendiert gegen Null, schon äußerlich, aber auch das ist Konzept. Das spartanische Layout orientiert sich an einem Entwurf Franz Jungs, der bereits 1927 plante, eine Zeitschrift "Sklaven" herauszugeben. Das Inhaltsverzeichnis unter dem in Rodschenkoscher Dynamik diagonal aufsteigenden Titelschriftzug nennt stets alle Autoren, auf biographische Angaben wird verzichtet. Da finden sich Uwe Timm, Wolfram Kempe, Peter Wawerzinek, Falko Hennig, Katja Winkler. Nicht wenige debütierten hier. Einigen ist mittlerweile der Sprung aus der Off-off-Literatur gelungen, Annett Gröschners Prosa erscheint mittlerweile im Rowohlt-Verlag. Mit den Archiv-Beiträgen wurde auch inhaltlich eine Brücke in die erste Hälfte des Säkulums geschlagen: Texte von Max Stirner und Erich Mühsam, Nachdrucke aus der "Roten Fahne" und Unveröffentlichtes aus dem Nachlaß von Franz Jung ziehen sich als roter Faden durch die Jahrgänge. Die meisten Abonnenten wohnen übrigens im Westen.Soziale Bewegungen beziehen ihre Dynamik aus der Spaltung, und dieser Gesetzmäßigkeit sind auch die Sklaven unterworfen. Denn wo "ganz normale Kulturinteressierte auf Trotzkisten, Hardcore-Anarchisten und Linksradikale auf Bürgerbewegte treffen", wie Papenfuß das disparate Spektrum beschreibt, ist der Programmstreit absehbar. Im Januar vergangenen Jahres hatten Auseinandersetzungen um das wöchentliche Plenum, den "Sklaven Markt" im Torpedokäfer, zur Spaltung getrieben. Pamphlete mit persönlichen Attacken kursierten, und als nichts mehr ging, trennte man sich. Nach nervenaufreibenden Auseinandersetzungen auferstand aus den Ruinen eine neue Zeitschrift: der "Sklaven Aufstand", mittlerweile ist auch sie an chronischem Geldmangel eingegangen. Die alten "Sklaven" erschienen mit Trabbi-blauem Cover weiterhin parallel.Inzwischen hat man sich fraktionsübergreifend zumindest teilweise wieder zusammengerauft, und auf dem Sperrholztisch der Redaktion liegt schon wieder ein Manifest. In altem Kampfgeist wird darin eine Breitseite gegen "den Körperfresser Staat", gegen Volksbühne und KitKat-Club, "Fettlebe und Bulimie der herrschenden Literatur" abgefeuert. Nach jahrelangem Sklavendasein zu neuem Selbstbewußtsein gereift, soll nun ein neues Blatt entstehen: der "Gegner". Vorbild ist die Anfang der dreißiger Jahre von - natürlich - Franz Jung herausgegebene gleichnamige Zeitschrift. Trotz aller Probleme scheint der Widerstandsgeist ungebrochen. Aber wie hatte Jung den von ihm erfundenen Torpedokäfer beschrieben? Als ein Insekt, das mit großer Kraft ein Ziel ansteuert, "mit dem Kopf anrennt, zu Boden geht und langsam sich wieder erholt, um wieder neu zu starten".

Sklaven, Heft 50, 63 Seiten, zehn Mark. (Basisdruck, Schliemannstraße 23, 10437 Berlin). Sklaven Markt: montags um 21 Uhr im "Siemeck" (Rykestraße 45). Im Internet: http://www.txt.de/sklaven

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