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André Siegers hat für den Film 400 Videos eines Egomanen gesichtet.

© Thilo Rückeis

Mockumentary: "Souvenir": Der Mann, der sich selber filmte

Das ist natürlich mehr als nur ein "Souvenir": 400 selbstgedrehte Videokassetten seines Protagonisten hat Regisseur André Siegers gesichtet. Entstanden ist eine Mockumentary, die sich mit Narzissmus und Ich-Konstruktion beschäftigt. Oder ist es ganz anders? Der Protagonist hat auf jeden Fall viel erlebt.

Kennengelernt haben sie sich in Tirana, der Regisseur André Siegers und der Demokratieexporteur Alfred Diebold. Ungefähr 2008. Siegers zeigte eine Installation in der albanischen Nationalgalerie, Diebold war Direktor der Dependance der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine mit beiden bekannte Galeristin brachte sie zusammen. „Da hat Alfred mir von seinem Material erzählt“, sagt Siegers. Ein Begriff, der bei dem manischen Selbstfilmer Alfred D., wie er im Dokumentarfilm „Souvenir“ heißt, krass untertrieben ist. 400 Videokassetten hat er gefüllt, viele hundert Stunden Filmmaterial gesichtet, erzählt André Siegers.

Vor zwei Jahren ist er eigens wegen des Films nach Berlin-Kreuzberg gezogen – weil seine Cutterin hier wohnt. Vorher lebte der 35-jährige Filmemacher in Hamburg, wo er einen Masterstudiengang bei Pepe Danquart absolviert. „Souvenir“ ist sein zweiter Film: Davor hat er für Arte die Fernsehdokumentation „Der Feierabendclub“ über sechs Nachbarn in einem Lichtenberger Plattenbau gedreht. Mit „Souvenir“ wagt er sich stilistisch jetzt deutlich weiter vor. Das ist schon an der im Schelmengestus eines fiktiven Erzählers mit polnischem Akzent inszenierten Rahmenhandlung abzulesen. Mit dem Begriff „Mockumentary“, also Dokumentarfilmparodie, mag sich André Siegers aber trotzdem nicht identifizieren. „Wenn schon, dann umgekehrte Mockumentary, weil der Film mit realen Dokumenten arbeitet, die er fiktionalisiert.“ Überhaupt habe es ihn nie interessiert, Alfred Diebolds Leben nachzuerzählen. Was ihn an dessen Aufnahmen fasziniert, ist vielmehr die Frage nach dem Konstrukt menschlicher Identität – und Diebolds spielerischem Umgang damit. Dessen Haltung sei ihm ziemlich nah, sagt Siegers. Er mag darin keinen übersteigerten Narzissmus oder Exibitionismus erkennen: „Jeder von uns inszeniert sich doch.“

Diebold, der heute nicht mehr überall in Europa Demokratie im Auftrag politischer Stiftungen lehrt, sondern an einer Universität in Kasachstan unterrichtet, hat sich mehr als 20 Jahre lang gefilmt. Privat und geschäftlich. Beim Baden, auf Reisen, mit seiner unheilbar an Krebs erkrankten Freundin, am Bett der reglosen Mutter im Pflegeheimbett und im Gespräch mit Politikern, die das SPD-Mitglied für seine Demokratisierungskampagnen in ehemaligen GUS-Staaten interviewte. Diebold hat TV-Lehrfilme über Marktwirtschaft und Demokratie gemacht. Einige Schnipsel davon sind im Film gelandet und werfen ein Schlaglicht auf Politikersprech und europäische Umbrüche. Auch das von Siegers Kamerafrau Tanja Häring gedrehte Material, das Diebold bei seiner Kandidatur für die Europawahl 2009 zeigt. Trotz dieser Brancheneinblicke ist „Souvenir“ kein dezidiert politscher Film, sondern eher ein egozentrisches, auch selbstironisches und vor allem kauziges Bildergespinst.

Mal nervt der Selbstbezeugungsdrang des Bilderarchivars, mal erstaunt sein Mut zur Entblößung, mal findet der Amateurfilmer für sein Dasein poetische Bilder. Etwa, wenn er als roter Punkt über gleißende arktische Schneehügel und Eisflächen langsam auf die Kamera zuwandert. „Am liebsten filmt Alfred das Polarmeer“, sagt der Erzähler, der von überallher Briefe von D. erhält. Das ewige Weiß ist es schließlich auch, das den Bildersammler am Ende verschluckt.

Im Eis verschwinden? Das Motiv erinnert an Christoph Ransmayrs Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“. Siegers lächelt und nickt. „Das ist ein Roman, den Alfred Diebold sehr liebt.“ Und auch eine narrative Konstruktion in mehreren Ebenen, in der die Figuren ihre Geschichte mitschreiben. Mag D. auch am Pol verschwinden. Alfred Diebold soll, wie man hört, bei der Berlinale gesichtet worden sein. Gunda Bartels

14.2., 22 Uhr (Cinemaxx 4), 15.2., 15 Uhr (Cubix)

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