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Gemälde von Suresh Muthuklam

© Art & Soul Gallery

Mumbai Gallery Weekend: Krishna und die Bilderflut

Die indische Kunst boomt – und die Riesenmetropole Mumbai ist der flirrende Hotspot dafür. Jedes Jahr im Januar lädt die Stadt zum Gallery Weekend ein.

Es fließt überall Wasser in den Bildern des Künstlers Suresh Muthukulam. In seinen filigranen Zeichnungen auf Reispapier und Leinwand spielen die „Backwaters“ seiner Heimat Kerala eine zentrale Rolle sowie Krishna, der Lieblingsgott vieler Hindus. Muthukulam, der ein intensives Studium der traditionellen südindischen Wandmalerei absolviert hat, geht recht unorthodox mit Krishna, dem Beschützer der Schöpfung, um. Er malt ihn als normalen Mann, der Reis aussät und Waren übers Wasser transportiert. Krishna packt an, nach der schweren Flut. Hierzulande hat man von der Jahrhundert-Überschwemmung, die den Süden Indiens im vergangenen August heimsuchte, kaum etwas gehört. In der Megastadt Mumbai ist das Thema hingegen bekannt. Muthukulams Bilderserie in der Galerie Art & Soul ist Teil des Gallery Weekends. Vier Tage lang locken die hier ansässigen Galerien mit gemeinsamen Eröffnungen und einem exklusiven Abendessen für Sammler – ganz nach Berliner Vorbild, wo das Gallery Weekend im Frühjahr mittlerweile ein Highlight im Kunstkalender ist.

Auch in der ebenso schönen wie hässlichen Riesenmetropole an der indischen Westküste kämpfen die Galerien um Aufmerksamkeit. Mumbai ist die Finanzmetropole des Landes und das Zentrum der Filmindustrie. Die großen Themen sind hier: Geld, Bollywood und Cricket. Aber auch das Interesse für junge und zeitgenössische Kunst nimmt zu. Die 25-Millionen-Metropole hat nur drei Kunstmuseen, dafür wächst die Zahl der Galerien. Jedes Jahr gibt es Neuzugänge. Rund 25 professionelle Galerien sollen es im Moment sein. Sie haben sich vor allem in Colaba und Kala Ghoda angesiedelt, dem kolonialen Herz von Südmumbai. Aus einer schäbigen Hafengegend mit prächtigen alten Kolonialbauten ist in den letzten Jahren eine Art Little-Soho mit Galerien, teuren Restaurants und schicken Boutiquen geworden. Junge Kreative, wohlhabende Erben und alteingesessene Sammler ließen sich am vergangenen Januarwochenende vor den Galerien absetzen, die oft recht versteckt in ehemaligen Baumwolllagern und umgebauten Palästen untergebracht sind. Das man sich hier trifft, ist keine Selbstverständlichkeit. Das Leben in Mumbai, oder Bombay, wie viel immer noch sagen, ist streng getaktet. Alle sind mit Geldverdienen beschäftigt, die Wege sind weit, der Verkehr ist die Hölle. Man geht hier nach der Arbeit nicht mal kurz in eine Galerie. Allein der Hinweg kann zwei Stunden dauern.

Rechtsruck ist auch in Indien ein Thema

„Für uns stellte sich die Frage, wie wir mit einer neuen Generation von Kunstkäufern in Kontakt kommen. Denn das junge Bombay findet in den Suburbs statt“, sagt Mortimer Chatterjee. Er und seine Frau Tara Lal gründeten ihre Galerie Chatterjee & Lal vor 15 Jahren, sie gehören zu den Initiatoren des Galerienwochenendes, das 2012 startete. Die ersten Ausgaben fanden in einem Hotel im hippen Stadtteil Bandra statt, genau dort, wo die junge Kundschaft wohnt und arbeitet, umgeben von den Vielen, die sich in dieser Stadt kaum etwas leisten können, geschweige denn Kunst. Nun lockt das Gallery Weekend mit konzentriertem Programm wieder direkt in die Galerien. Bei geführten Art Walks können Kunstinteressierte mehrere Ausstellungen an einem Abend sehen, die Künstler sind anwesend und erklären ihre Arbeiten, es gibt Filmscreenings und Diskussionen.

Chatterjee & Lal, einige der wenigen, die in Mumbai auf Performance- und Videokunst spezialisiert sind, zeigen zum Gallery Weekend Gemälde und Skulpturen des 1988 geborenen Künstlers Sahej Rahal, der bereits mit Shows in Asien und Großbritannien auf sich aufmerksam machte. Seine Arbeiten sind ein gutes Beispiel für das, was in Bombay gerade Trend ist: Kunst, die alte indische Mythen mit Gegenwart und Zukunft zusammenbringt. Und die ist, wenn es nach Rahal geht, ungewiss und dystopisch. Mischwesen, halb Tier, halb Comicfigur, bevölkern seine Gemälde. In ihnen schlägt die DNA von Raubvögeln und Tigern ebenso durch wie die Spiritualität der Götter, die seit ewigen Zeiten die Geschicke der Menschen lenken. Wer weiß schon, ob diese Kreaturen ihre vorevolutionären Krallen und Schnäbeln für das Gute oder das Böse einsetzen. Auch der Künstler gibt darauf keine Antwort. Doch der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft, die zunehmende Intoleranz gegenüber Menschen anderer Klassen und Religionen ist auch in Indien ein Thema, und in Rahals Bilderkosmos schwingt das damit verbundene Unbehagen deutlich mit.

„Es sind gute Zeiten. Es gibt mehr Künstler und mehr Käufer.“

Während moderne und zeitgenössische Kunst aus Indien zwischen 2005 und 2008 einen enormen Boom erfuhr, zu dem auch internationale Überblicksausstellungen und westliche Sammler beitrugen, ließ das Interesse im Zuge der Finanzkrise 2008 nach. Die ohnehin überschaubare Sammlerbasis in Indien hatte erst einmal genug vom Investment in Kunst. Die Situation sei heute viel stabiler, heißt es aus den Galerien. Und auch die Fotokunstexpertin Niyati Shinde, die etliche indische Großsammler berät und ebenfalls beim Gallery Weekend unterwegs ist sagt: „Es sind gute Zeiten. Es gibt mehr Künstler und mehr Käufer.“

Bild von Sahej Rahal
Bild von Sahej Rahal

© Galerie Chatterjee & Lal

Die Preise für zeitgenössische, indische Kunst sind in Mumbai immer noch moderat. Man zahlt umgerechnet etwa 3000 Euro für eine von Rahels Zeichnungen und zirka 5600 Euro für die Skulpturen. Das ist erschwinglich für die Käufer und eine Herausforderung für jede Galerie. Denn die Kosten für Miete und den Betrieb eines Unternehmens sind enorm. Rahals wie antike Wappen gestaltete Wandobjekte sind aus Glasfasermaterial gegossen und mit gold-bronzener Farbe überzogen. „Indische Sammler lieben robuste, pflegeleichte Kunst“, sagt Mortimer Chatterjee. Der Verkauf von Kunst hat hier ohnehin viel damit zu tun, wie die potenziellen Käufer leben. Bombay ist ein teures Pflaster, selbst die gut Verdienenden leben in den neu aus dem Boden schießenden Apartmenthochhäusern auf engerem Raum. Kein Vergleich zu den üppigen, alten Kolonialvillen oder den großen Häusern in Neu Dehli. Jeder in Bombay klagt über Platzmangel. Deshalb verkaufen sich kleine und mittlere Kunstwerke am besten. Zum Gallery Weekend kamen in diesem Jahr fast ausschließlich Besucher aus Mumbai und den Vororten. Doch in Indiens größter Stadt sind die Galeristen durchaus froh, wenn sie die eigene Region irgendwie abdecken.

Fast nur Kunst aus Indien und dem südasiatischen Raum

Wie Chatterjee & Lal liegt auch die seit 30 Jahren existierende Galerie Sakshi im von arabischen Einwanderern geprägten Teil von Colaba, im zweiten Stock eines ehemaligen Baumwolllagers. Die Prostitution ist aus dem Viertel verschwunden, stattdessen prägen Tuchläden, Boutiquen, Juweliere und Teestuben das Straßenbild. Auch bei Sakshi sind Arbeiten eines aufstrebenden, progressiven Künstlers zu sehen. Der 1981 geborene Shine Shivan, der zu jedem Anlass in einem anderen exzentrischen Outfit erscheint, arbeitet mit unterschiedlichen Medien. In der neuen Show nutzt er Mythologie, Folklore, heilige Kühe und Gottheiten wie Mohini als Ausgangspunkt für recht persönliche Geschichten. Seine Zeichnungen und Installationen erzählen von Betrug, Sexualität und Masturbation im elterlichen Zuhause. Damit mutet er dem überwiegend indischen Publikum einiges zu. Ein großartiger Zeichner ist er in jedem Fall. Einige seiner delikaten Szenerien sind mit selbstgemachter Naturfarbe und einem Kaktusdorn ausgeführt.

Shine Shivan in der Sakshi Gallery
Shine Shivan in der Sakshi Gallery

© Sakshi Gallery

Fast alle Galerien in Mumbai konzentrieren sich auf Künstler aus Indien und dem südasiatischen Raum, so auch Sakshi. „Hiesige Sammler tun sich immer noch schwer, mit der Kunst aus dem Westen“, sagt die Inhaberin Geetha Mehra, die mehrere Dependancen im Ausland führte und eine Weile sogar Station in Berlin gemacht hat, bevor sie sich nun auf Mumbai konzentriert. Wer in Mumbai internationale Kunst sehen will, muss in die Galerie Isa. Ashwin Thadani ist angeblich der einzige Galerist der Stadt, der sich auf Kunst aus dem Westen konzentriert. In seiner Galerie zeigte er schon Malerei der Berliner Anselm Reyle, Jonas Burgert und Christian Achenbach. Zum Gallery Weekend hat Thadani in seinen schick hergerichteten Räumen im „Great Western Building“, einem in die Jahre gekommenen ehemaligen Gouverneurssitz und Hotel, eine Schau mit dem Titel „We contain multitudes“ zusammengestellt. Es geht um das Potenzial des Kleinen und der Vielen. Die indische Miniaturmalerei dient dabei mehr als gedankliches Sprungbrett, denn als visuelles Vorbild; auch wenn die Gemälde und Skulpturen der sechs Künstler aus Iran, USA und Frankreich durchaus mit kleinen Figuren, repetitiven Mustern und Details arbeiten. Das Wichtigste ist wohl, dass ihre Kunst es erlaubt, in Geschichten zu schwelgen. Denn die liebt man in Bombay.

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