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© dpa

Museumsinsel: Neues Museum: Sieg der Architektur

Chipperfield und die Spuren der Geschichte: Nächste Woche wird das Neue Museum auf der Museumsinsel übergeben.

Eine „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ wollte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. auf dem Areal der Spreeinsel nördlich von Schinkels Museum geschaffen wissen. Der Architekt Friedrich August Stüler, der nach Schinkels allzu frühem Tod 1841 die königlichen Wünsche auszuführen bestimmt war, sah in dem von ihm entworfenen und 1855 eingeweihten Neuen Museum „einen Mittelpunkt für die höchsten geistigen Interessen des Volkes“.

Keine geringen Ansprüche also, die sich auf die Museumsinsel richteten. Doch vollendet und zu Ende gebaut war sie nur für kurze Zeit: für die neun Jahre zwischen der Eröffnung des Pergamonmuseums 1930 und der Schließung aller Museen mit dem Kriegsbeginn 1939. Das Neue Museum, am schwersten von Fliegerbomben und Artilleriebeschuss verwundet, wurde nie mehr eröffnet.

Doch auch dieses Interim geht jetzt vorbei. Am 5. März wird der nach den Plänen des Londoner Architekten David Chipperfield wiederhergestellte Bau an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Einrichtung übergeben; drei Tage lang hat die Öffentlichkeit dann die Möglichkeit, das Werk in Augenschein zu nehmen. Es ist, nach den glanzvollen Restaurierungen von Alter Nationalgalerie und Bodemuseum, die dritte umfassende Sanierungsmaßnahme auf der Insel. Und die erste, die einen vollständig aus dem Bewusstsein gefallenen Bau erneut ins Leben holt.

Die 233 Millionen Euro teure Unternehmung wird ein vehementes Echo finden. Denn anders als die Restaurierungen der beiden anderen Insel-Museen suggerieren, knüpft das Neue Museum nicht an eine heile Vorkriegsgeschichte an. Im Gegenteil: Nackt und bloß stellt es aus, was der Krieg aus ihm gemacht hat. Ein gewaltiges Treppenhaus ohne den vollständig verbrannten Freskenschmuck, Gewölbe ohne klassischen Zierrat, Wände ohne glättenden Putz. So jedenfalls werden es die Verächter des Chipperfield’schen Konzepts sehen, die in den sorgsam bewahrten Spuren der Geschichte nichts als Ruinennostalgie erblicken.

Ein erster Rundgang durch das Gebäude zeigt in der Tat nur mehr Spuren von jenem überbordenden Reichtum an Schmuck, der das Gebäudeinnere einst geziert hat. Aber er offenbart auch etwas anderes: Was das von David Chipperfield und seinem Denkmal-Berater Julian Harrap entwickelte Konzept der „ergänzenden Wiederherstellung“ vor Augen stellt, sind eben nicht gefällig verkleidete Räume, sondern die Architektur selbst – und zwar in einer geradezu umwerfenden Fülle ihrer Ausdrucksmöglichkeiten.

Stüler hatte kein bloßes Gehäuse hingebaut, das im Gewand ägyptisierender, hellenistischer oder schlicht altertümelnder Dekorationen ausgeschmückt wurde, um anschließend mit Statuen und Vitrinen vollgestellt zu werden; in einer Weise nebenbei, wie es auch die Anhänger des einstigen Aussehens heute kaum mehr begrüßen würden. Der Schinkel-Schüler war, weit mehr als der frühere Bau je ahnen ließ, ein großer Experimentierer und Erneuerer, der für beinahe jede Raumaufgabe eine neue Form ersann. Dies allerdings auch, weil die technischen Schwierigkeiten des gewaltigen Bauwerks auf wenig tragfähigem Untergrund Lösungen erzwangen, die über den Horizont des damals Bekannten hinausgingen. Und zwar so weit, dass selbst die jetzige Wiederherstellung einzelner Konstruktionen von keiner Norm erfasst werden konnte, sondern von Statikern vor Ort auf ihre Haltbarkeit überprüft werden musste.

Die Vielfalt der Raumformen ist es auch jetzt, und jetzt erst recht, die ins Auge fällt. Denn so symmetrisch und durchaus gleichförmig das Gebäude von außen erscheint, zumal von der Kupfergrabenseite, die zu Stülers Zeiten noch hinter Getriebebauten halb versteckt lag, so vielfältig präsentiert es sich im Inneren. Der wissenschaftliche Fortschritt, der in den nur zweieinhalb Jahrzehnten seit Schinkels Altem Museum erreicht worden war, ließ Raumformen und Dekorationen angemessen erscheinen, die den gezeigten Objekten nahekommen sollten. So kam es zu den erzählenden Wandfresken der Säle, die gewissermaßen die Geschichte der antiken Reiche erzählten, deren materielle Zeugnisse ausgestellt wurden; bis hin zum berühmten Ägyptischen Hof, der eine auf ein Drittel verkleinerte Kopie eines Tempels von Karnak darstellte; übrigens mit einer Hieroglyphenschrift versehen, die die Leistungen des Preußenkönigs verherrlichte.

Dieser Hof ist ebenso wenig wie sein Gegenstück, der Griechische Hof, auch nur in Ansätzen wiedererstanden. Beide Höfe sind nun glasgedeckt; der griechische leer und kahl bis auf den Fries, der von der Zerstörung Pompejis kündet, der ägyptische mit einer Art Terrasse gefüllt, die als freie Architektur im Raum steht. Im Modernen Saal sind die gemauerten Arkaden bewahrt worden, im Majolikasaal des obersten Stockwerks die Flachkuppeln über schlanken Gusseisensäulen; im Niobidensaal die eisernen Zuggurte, die das Flachgewölbe zusammenhalten. Der achteckige Nordkuppelsaal, in dessen Mittelpunkt künftig Nofretete thronen wird, hat leidlich die Zeiten überdauert. Sein Pendant auf der südlichen, dem Alten Museum Schinkels benachbarten Seite hingegen ist bereits bei den ersten Rekonstruktionsmaßnahmen der späten DDR gänzlich abgebrochen worden, so dass Chipperfield hier eine gänzlich neue, in ihrer Eigenart und Eleganz geradezu hinreißende Kuppel über quadratischem Grundriss, doch ohne Zwickel hat aufmauern lassen.

All diese Fülle wird der Besucher wohl erst wahrnehmen, nachdem er den zentralen Bauteil in Augenschein genommen hat: das mittig angeordnete Treppenhaus. Einst war es von Fresken Wilhelm von Kaulbachs verziert. Zu DDR-Zeiten war deren Wiederherstellung anhand der vorhandenen 1:1-Kartons geplant – ein Unterfangen, das die hiesige und heutige Denkmalpflege strikt ablehnt. Aber auch die anfangs erwogene Neuorganisation der monumentalen, doppelläufigen Treppe über insgesamt drei Geschosse wurde verworfen.

Es gab, so Chipperfield, keine bessere Lösung als diejenige Stülers. Nun spielt sie sich vor einschüchternd blanken, seitlichen Mauern ab, unter einem basilikalen, offenen Dachstuhl, dessen düstere Schwere zusätzlich auf dem Raum lastet. Hell glänzt allein der edle, mit Marmorstaub versetzte Betonwerkstein der neuen Treppe. Ein Material, das Chipperfield auch in seinen übrigen Neubauteilen wie dem im Krieg völlig zerstörten Nordwestflügel zur Geltung bringt. Dieser Flügel – er ist dem Pergamonmuseum benachbart – hat schon bislang heftigen Widerspruch hervorgerufen, weil er sich im Äußeren sichtbar vom Südteil des Gebäudes abhebt. Darin aber liegt das Missverständnis, das Nicht-verstehen-Wollen der Chipperfieldschen Vorgehensweise. Überall soll deutlich werden, was originalgetreu überliefert, was restauriert, was ergänzt oder gar kopiert und was völlig neu errichtet wurde. Dem Auge des Betrachters wird eine Menge abverlangt, mit dem Gewinn, die Geschichtlichkeit der Architektur zu erkennen. Das entspricht durchaus dem Geist, dem das Neue Museum entsprang. Denn es sollte ja Zeugnis geben von dem soeben erlangten und damit selbst der Vergänglichkeit anheimgegebenen  Stand der Altertumswissenschaft.

Nicht das überzeitliche Bildungsideal des Humanismus, wie es in der Rotunde von Schinkels Altem Museum zum vollendeten Ausdruck kommt, sondern die Anschaulichkeit der auf ihre Erfolge stolzen Wissenschaft eben jener Jahre um 1850 prägte das Neue Museum. Dieses Museum brannte im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs aus. Was von ihm geblieben und von Chipperfield wiedergewonnen wurde, ist und war Architektur. Und zwar in staunenswerter Vielfalt.

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