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Besucher eines Konzerts in der Philharmonie während der Pause.

© Imago

Musik in der Konzertpause: Silence is sexy, nicht nur in Neubauten

Raus dem Klangwunderland, rein in den Fahrstuhl-Begleitpop: Was soll die Unsitte, die Hörer von Klassik- und Popkonzerten in der Pause mit Musik zu berieseln?

Neulich wieder, bei Vijay Iyers Jazz-Trio im Heimathafen Neukölln. Der Pianist kündigt eine kurze Pause an, und schon dreht jemand die Anlage auf. Aus den Lautsprechern scheppert – Sting. Nichts gegen Sting, der Mann war am Vorabend zusammen mit Paul Simon in Berlin aufgetreten. Aber so benommen, wie man gerade erst aus Vijay Iyers magischem Flow aufzutauchen beginnt, tut Sting dann doch weh. Noch ist man berührt, verwirrt von Iyers hochhypnotisch-minimalistischem Sound-Universum, noch will man seine sieben Sinne eigentlich gar nicht sortieren. Aber schon katapultiert die schnöde Pausenmusik einen, zack, raus aus dem Klangwunderland und rein in jenen Alltag, in dem zum Bierholen der Begleitpop gehört.

Nehmt Rücksicht im Pausenverkehr!

Oder in der Philharmonie. Seit einiger Zeit häufen sich die Konzertpausen, bei denen in Scharouns Foyer recht lautstark für die Digital Concert Hall des Orchesters geworben wird. Als hätten ausgerechnet die Philharmoniker noch nie etwas von der musikalischen Bedeutung der Pause gehört. Was soll die Unsitte, den Hörer ausgerechnet im Konzert beim Sekt mit Musik zu berieseln? Easy Listening zum Abgewöhnen zwischendurch? Klar, das Publikum hält selber nicht still, man plaudert, flaniert, scharrt mit den Füßen. Aber solche schnöden Geräusche gehören einer anderen akustischen Sphäre an und kollidieren kaum mit jenem tönernen Universum, das irgendwo im Herzen bewahrt werden will, um den Bogen vom eben vernommenen Schlussakkord zum ersten Takt nach der Pause zu spannen.

Nicht dass es leise oder gar andächtig zugehen soll. Beim Eröffnungs-Wandelkonzert der MaerzMusik am Freitag im Haus der Berliner Festspiele gehörte das Holzdielenknarren und gedämpfte Reden unbedingt zur Gesamtkunstwerkstatt Neue Musik dazu. Aber das Ohr ist nun mal ein Sensibelchen, es kann sich schlecht wehren. Anders als Augen und Mund lässt es sich nur unter Zuhilfenahme der Hände verschließen. Also will es beschützt sein: Nehmt Rücksicht im Pausenverkehr! Musik kann einen umhauen. Die Sehnsucht nach solcher Überwältigung treibt viele ins Konzert, zu Bruckner, zum späten Beethoven-Streichquartett, zum Jazzpianisten. Da ist es schon schwer genug, mit derart glücklich erregten Sinnen nicht aggressiv auf den netten Balalaika-Spieler zu reagieren, der hinterher auf dem Philharmonie-Parkplatz mit dem immergleichen Ungarischen Tanz zum Nachhauseweg aufspielt.

Wie sang Georg Kreisler in seinem Opernboogie? „Jetzt kommt eine Pause/Manche geh’n nach Hause/Manche trinken Brause/Das ist der Zweck der Pause“. Der Rest, bitte, ist Schweigen.

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