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Der Pianist Mao Fujita und die Dirigentin Oksana Lyniv in der Philharmonie.

© Kai Bienert

Musik in Zeiten des Krieges: Oksana Lyniv dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester

Ihr Name wird hoch gehandelt: Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv und ihr Auftritt mit dem DSO in der Berliner Philharmonie

Ein Nebeneffekt von Russlands Angriffskrieg ist, dass in den Berliner Konzertprogrammen auf einmal viel Musik von ukrainischen Komponisten zu hören ist, die man vorher nie auf dem Schirm hatte – so wie das ganze Land im Grunde nicht. Wir entdecken die Ukraine erst jetzt. Europa wird größer, politisch wie kulturell. Das ist es, was Putin erreicht hat.  

Der heute 80-jährige Jewhen Stankowytsch schrieb 1979 eine Elegie auf den Komponisten Stanislaw Ljudkewytsch. Und Oksana Lyniv – die Dirigentin hat in Lemberg an einer Musikhochschule studiert, die seinen Namen trägt – hat nun einen Satz daraus ihrem Konzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie vorangestellt.

Töne wie ein Vorhang im Raum

Man hört liegende, sich überlagernde Töne, die wie ein Vorhang im Raum hängen, dann ein kurzes, energisches Solo Wei Lu, dem Konzertmeister. Lyniv hebt und senkt dazu ihre Arme wie eine Priesterin. Die Ukrainerin könnte am Beginn einer großen Karriere stehen, sie war Chefdirigentin in Graz und eröffnete 2021 als erste Dirigentin überhaupt die Bayreuther Festspiele (mit dem „Fliegenden Holländer“). In der Debatte um die Nachfolge Daniel Barenboims als Chef der Berliner Staatskapelle war ihr Name auch schon zu hören. 

Auf den ukrainischen folgt ein russischer Komponist. Als dieses Konzertprogramm entwickelt wurde, hatte Moskaus Überfall noch nicht stattgefunden, jetzt wirkt es hochsymbolisch: als Spiegel einer komplexen Wirklichkeit. Denn Sergej Rachmaninows Verhältnis zu Russland und seinem Regime war legendär gebrochen, er vermisste die Heimat ein Leben lang und kehrte doch nie aus dem amerikanischen Exil zurück. Mao Fujita übernimmt für Nikolai Lugansky den monumental schwierigen Solopart im dritten Klavierkonzert op. 30.  

Auf einem anderen Planeten

Und lange ist man sich nicht sicher, ob das zärtlich-verlorene, hochemotional verträumte Spiel des Japaners Ausdruck eines Wunsches, mit dem Orchester so komplett wie möglich zu verschmelzen, ist – oder ob der 26-Jährige sich einfach völlig im eigenen Tunnel, auf einem anderen Planeten befindet. Er scheint in die Tasten hineinzukriechen, alles hinter sich lassen zu wollen, ein Eindruck, der auch durch die extreme Krümmung des Oberkörpers befördert wird.

Durchaus sympathisch: Da sitzt kein eitler Tastenlöwe, sondern einer, der seine eigene Fragilität zum Thema macht. Der Auftritt hinterlässt eine enorme produktive Verunsicherung beim Hörer, er ist auf seine Weise spektakulär, und spätestens im dritten Satz fragt man sich nicht mehr, was Absicht und was ungewollter Effekt sein könnte, sondern ist einfach nur noch geplättet, wie Fujita diesen mörderischen Wahnsinnspart vollständig auswendig abzieht. Ekstatische Schreie im Publikum, Standing Ovations, das kommt nicht oft vor in der Philharmonie. 

Zu Antonin Dvoraks 8. Symphonie nach der Pause verschwindet der Flügel, endlich hat man Gelegenheit, Oksana Lynivs Dirigat ungehindert zu studieren. Elegant sind ihre Bewegungen, als kämen sie aus der Welt des Balletts, doch der Klang spricht eine andere Sprache: Der ist scharfkantig, eindeutig definiert. Ja, auch das Anhalten, das Verdämmern des musikalischen Stroms, wo Dvorak streckenweise klingt wie Schubert in der Unvollendeten, beherrscht sie – mehr aber noch einen anderen Zug: Die Symphonie gewinnt mehr und mehr einen Stich ins Martialische, zumal im – von einer blitzsauberen Fanfare der beiden Trompeten eingeleiteten – Finalsatz.

Der ist sowieso ein Marsch, aber vielleicht hat man das Militärische noch nie so herausgekehrt, so herauspräpariert gehört wie bei Oksana Lyniv. Auch wenn es angesichts der aktuellen Situation seltsam unpassend wirkt, das zu schreiben: Mal schauen, was die junge Dirigentin noch alles erobern kann. 

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