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Mittendrin. Shermin Langhoff und Jens Hillje vor ihrer neuen Wirkungsstätte beim Boulevard Unter den Linden.

© Eventpress Hoensch

Nach dem Theatercoup: Wie Langhoff und Hillje das Gorki leiten wollen

Zeichen des Aufbruchs: Shermin Langhoff und ihr Ko-Intendant Jens Hillje knüpfen an die Traditionslinie des Gorki als Gegenwartstheater an.

Es ist ein merkwürdiger Ort. Zentral und doch versteckt, zwischen Humboldt-Universität, Deutschem Historischen Museum und Neuer Wache. Etliche Traditionsschichten liegen hier übereinander. In dem mit Schinkels Hilfe errichteten Gebäude war die Sing-Akademie zu Berlin zu Hause, jener weit über Preußen hinaus berühmte Bürgerchor. Alexander von Humboldt hielt in dem Saal seine populären „Kosmos“-Vorlesungen. Seinen heutigen Namen bekam das Maxim Gorki Theater nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist das kleinste der Berliner Staatstheater, so viel Großes lässt sich daraus machen. Das haben über die Jahre und Jahrzehnte und die politischen Systeme hinweg Intendanten wie Albert Hetterle, Bernd Wilms und Armin Petras gezeigt.

Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“, ein Symbolstück der zerfallenden DDR, wurde hier 1988 zum ersten Mal im Osten aufgeführt, in der Regie von Thomas Langhoff. Wenn ab der Spielzeit 2013/14 Shermin Langhoff, die Schwiegertochter des kürzlich verstorbenen Theatermannes, die Intendanz des Gorki Theaters übernimmt, dann ist das ebenso viel Neubeginn wie Tradition, die sich ja immer erst aus Brüchen und Umbrüchen und mutigen Anfängen bilden kann.

Shermin Langhoff, geboren in der Türkei, besitzt reiche Theatererfahrung. Zuletzt hat sie das Ballhaus Naunynstraße als Zentrum postmigrantischen Theaters mit so viel Erfolg und Strahlkraft geleitet, dass sie und ihr Dramaturg Jens Hillje von den Wiener Festwochen aus Berlin wegengagiert wurden. Das heißt: Es sah so aus. Plötzlich aber kam die Kehrtwende, es war nur eine Frage von wenigen Tagen und Wochen, und die Berliner Kulturverwaltung war sich mit Langhoff und Hillje einig. Wohl gab es Differenzen mit den Wienern, aber Shermin Langhoff hat eine Entscheidung für Berlin getroffen, auch aus persönlichen Gründen, nicht gegen Wien. So stellt sie es dar. Ebenso plötzlich scheint eine drohende kulturpolitische Pleite – die Gorki-Intendanz unbesetzt, die guten Geister aus der Naunynstraße entflogen – abgewendet. Man kann auch denken, dass der Regisseur Nicolas Stemann, mit dem lange verhandelt worden war, glücklicherweise doch noch abgesagt hat. Ihm reichte das Geld nicht.

"Verrücktes Blut" ist der Theaterhit des Ballhaus Naunynstraße:

So stimmig jetzt alles wirkt, die Zeit war äußerst knapp. Erst „kurz vor den Toren von Wien“ habe er die beiden eingeholt, sagt Kulturstaatssekretär André Schmitz. Wer wann und wo umgekehrt ist oder in Gesprächen feststeckte, wird nicht vollständig zu klären sein. So ist die Nachwahl aber die deutlich bessere – für das Maxim Gorki Theater, für die gesamte Berliner Theaterlandschaft.

Shermin Langhoff und ihr Ko-Intendant Jens Hillje wollen anknüpfen an die Traditionslinie des Gorki als Gegenwartstheater. Sie werden ein neues Ensemble aufbauen, neue Regisseure verpflichten, wobei Armin Petras, der nach Stuttgart wechselt und viele seiner Schauspieler mitnimmt, weiter am Haus inszenieren soll. Zur Freien Szene wollen sie sich öffnen, ästhetisch wie organisatorisch, und sie wollen und müssen auskommen, bei immerhin derzeit 160 Mitarbeitern, mit dem Jahresetat von 9,8 Millionen Euro.

Mag sein, dass Shermin Langhoff bei den Wiener Festwochen mehr Geld und größere Projekte hätte bewegen können. Aber hier ist sie Chefin (Hilljes Ko-Intendanz bezieht sich allein auf künstlerische Fragen), sie kann etwas Festeres bauen. Ein Repertoire, ein Ensemble. In einer Welt, die immer mehr Projekte immer kurzfristiger kuratiert, ist es ein Privileg, nachhaltiger arbeiten zu können. „Postmigrantisch“, das sei ein Kampfbegriff gewesen, sagte Shermin Langhoff gestern auf einer Pressekonferenz im Gorki Theater. Den brauche sie jetzt nicht mehr. Es versteht sich aber: Die migrantischen Hintergründe so vieler hunderttausend Menschen in Berlin werden bei Langhoff und Hillje ein stärkeres Echo finden als an den anderen Bühnen der Stadt. Ost und West haben am Gorki längst zusammengefunden, sagt Langhoff. Jetzt gehe es auch um die „anderen“. Wie stets habe sie hohe Ansprüche und sei bescheiden im Ansatz. Und: „Ich kann nerven.“ Damit meint sie Politiker, Geldgeber.

Mit dieser Berufung setzt der Senat ein Signal. „Nach über fünfzig Jahren Einwanderungsgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland ist es überfällig, dass Künstlerinnen und Künstler der postmigrantischen Generation die Leitung eines Staatstheaters übernehmen“, verkündet André Schmitz. Drohte der Elan der Kulturpolitik in Berlin zu erlahmen und sich behäbige Zufriedenheit auszubreiten, so zeichnen sich jetzt doch vielversprechende Entwicklungen ab. Mit Wagner Carvalho, dem Brasilianer, und Tunçay Kulaoglu übernimmt am Ballhaus Naunynstraße ein internationales Team die Leitung, das zudem auch dem Tanz gegenüber aufgeschlossen ist. Die Belgierin Annemie Vanackere leitet ab der kommenden Spielzeit das Hebbel am Ufer, das Matthias Lilienthal nach neun tollen Jahren verlässt. André Schmitz’ Besetzungspolitik setzt einen klaren internationalen Akzent. Man darf auch noch einmal erwähnen, dass Schmitz zwei Intendantinnen berufen hat. Selbst am Theater, wo ja bekanntlich alles möglich und vieles besser ist als anderswo, sind Frauen in Führungspositionen selten.

Jens Hillje hat seinerzeit mit Thomas Ostermeier die Baracke des Deutschen Theaters erfunden, woraufhin die Truppe an die Schaubühne katapultiert wurde, zusammen mit der Choreografin Sasha Waltz. Hillje sagt heute, er habe schon immer vom Gorki geträumt. Es sei ein idealer Ort. Ein Stadttheater, ein Theater für die Stadt im besten Sinn. Offener, beweglicher als ein Riesenhaus am oberen Kurfürstendamm.

Ein berühmtes Stück von Maxim Gorki trägt den Titel „Kinder der Sonne“. Da geht es um Menschen, die mit sich und der Zukunft nichts anzufangen wissen. Bei Langhoff und Hillje lässt sich diese Gefahr ausschließen. Sie haben Pläne.

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