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Mehr Austausch. Carolin Scharpff-Striebich vor einem Bild von Beatriz Milhazes in ihrer Charlottenburger Sammlung.

© Foto: Thilo Rückeis

Sammlerin Carolin Scharpff-Striebich: Nachbilder auf der Netzhaut

Die Sammlerin Carolin Scharpff-Striebich hat mit Experten über abstrakte Kunst geredet - und ein Buch daraus gemacht. Eine Begegnung.

Berlin als Kunsthauptstadt hat einen enormen Zuzug an Privatsammlungen erlebt – ablesbar unter anderem an den knapp 20 öffentlich zugänglichen Kollektionen, die auf der Website berlincollectors.com gelistet sind. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt sehr viel mehr, und wenn die Sammler häufig auch nur ein pied-à-terre besitzen, einen mit Kunst ausgestatteten Zweitwohnsitz, und bloß alle paar Wochen zu Besuch kommen.

Eine von ihnen ist Carolin Scharpff-Striebich, die mit ihrem Mann Michael vor vier Jahren in Charlottenburg eine klassische Altbauwohnung bezogen hat. Sonst lebt sie im Rheinland. Erst sehr viel später erfuhr die Sammlerin, wie gut die Adresse passt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst brachte hier einst seine Stipendiaten unter, darunter auch den US-Künstler Christopher Wool, der sich ebenfalls in ihrer Kollektion befindet.

Zu den jüngsten Neuerwerbungen gehört ein Bild von Georg Baselitz, das im Esszimmer hängt. In der Ecke stehen drei stelenartige Skulpturen der britischen Bildhauerin Rebecca Warren. In einem anderen Raum der Wohnung sind Bridget Riley und Sergej Jensen miteinander kombiniert. Eine Ausnahme stellt eine Aufnahme von Annette Kelm dar, denn um Fotografie und Videokunst hat die Sammlerin bisher einen Bogen gemacht.

Aus der Ferne konnte man Carolin Scharpff-Striebich in Berlin längst kennen, als zweite Tochter des Stuttgarter Sammlerpaares Rudolf und Ute Scharpff. Vor 14 Jahren übernahm sie die Leitung der elterlichen Sammlung. Ihr begegnen kann man nun in einem Buch, das den schönen Titel „Let’s talk abstract“ trägt. Darin hat die Betriebswirtin Gespräche mit 16 Experten geführt, internationalen Museumsdirektoren, Kritikern, Kuratoren, Wissenschaftlern, Kunstvereinsleitern und Sammlerkollegen, die sich jeweils ein abstraktes Werk als Gegenstand ihrer Unterhaltung aussuchen durften. Der Grund für diese Tête-à-Têtes ist leicht erklärt. Als Quereinsteigerin habe sie stets das Gefühl gehabt, nicht genug zu wissen, und so genieße sie es umso mehr, sich mit Experten auszutauschen, sagt Carolin Scharpff-Striebich. Von Kindesbeinen an von Kunst umgeben, besaß die heute 55-Jährige immer ein intuitives Verhältnis zur Kunst.

Figurative Werke seien zu selbsterklärend

Als Mädchen hockte sie sich an Regentagen zu Hause mit ihren Freundinnen vor einen orange-pinkfarbenen Rupprecht Geiger und kniff die Augen zusammen, um die Nachbilder wirken zu lassen. Als Teenager liebt sie ein Werk von Mimmo Rotella. Heute sitzt sie bei der Tate Modern in London und dem Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris in Gremien und gehört zum Vorstand des von Harald Falckenberg gegründeten Kunstsammlervereins, denn Scharpff-Striebich leitet nicht nur die elterliche Kollektion, sie sammelt auch selbst.

Der Vorschlag, einmal länger miteinander zu reden und sich auf ein Werk zu konzentrieren, stieß bei allen für das Buch angefragten Gesprächspartnern auf Begeisterung – ob Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, dem Kunstkritiker und Soziologen Walter Grasskamp oder dem Kunsthistoriker Wolfgang Ulrich. Eine Absage kam von niemandem. Nur eines der ausgewählten Bilder stammt aus der Familiensammlung: Bridget Rileys Gemälde „In Excelsis“, das sich heute in der Stuttgarter Staatsgalerie befindet. Einzige Bedingung für die Wahl: Die Stücke mussten abstrakt sein. Bei einer figurativen Position sei die Geschichte zu schnell erzählt, lautet die Begründung von Carolin Scharpff-Striebich. Entstanden ist auf diese Weise ein Panorama völlig unterschiedlicher Werke: ein mehrfach übermaltes Interieur des Berliner Künstlers Anton Henning, Roy Lichtensteins „Brushstroke“, „Little Mondrian“ von Mary Heilmann oder das Bild „Mercury Zone“ des amerikanischen Abstrakten Al Held, den selbst Carolin Scharpff-Striebich vorher nicht kannte.

Die Sammlung Scharpff stellt ihre Werke Museen zur Verfügung

Guggenheim-Direktor Richard Armstrong suchte ihn aus und erzählt, wie er als junger Mann als Al Helds Assistent zunächst gefeuert wurde, nachdem er eine Leinwand ruiniert hatte. Allen Gesprächen gemeinsam ist eine mitreißende Neugierde am jeweiligen Werk, der lustvolle Austausch über Farben, Textur, Einflüsse, Genese, sogar Musik, die in Albert Oehlens Malerei spürbar ist. „Wir müssen mehr miteinander reden, uns Zeit nehmen“, resümiert Carolin Scharpff-Striebich ihre Erfahrung aus dem Projekt. „In der medialen Flut geht das einzelne Werk unter.“ Ihr wichtigster Gesprächspartner in Fragen der Kunst ist noch immer der inzwischen 89-jährige Vater. Gemeinsam mit seiner Frau begann er in den 60ern zu sammeln: erst Papierarbeiten, dann die „Nouveaux réalistes“ und schließlich Protagonisten der 80er Jahre in Deutschland, Großbritannien und USA.

In jüngerer Vergangenheit, zuletzt 2014, waren immer wieder Ausstellungen der Sammlung Scharpff in Museen zu sehen. Die mittlerweile und 400 Exponate zählende Kollektion mit Werken von Albert Oehlen, Michel Majerus, Daniel Richter und Neo Rauch ist hoch gefragt. Den Wunsch, einen eigenen Showroom zu eröffnen wie so viele Sammler, hatten weder Vater noch Tochter – dafür eine gute Idee: 2004 begründeten sie das „Offene Depot“, aus dem sie Werke öffentlichen Häusern wie der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstmuseum Bonn oder in Stuttgart sowie der Staatsgalerie für wechselnde Ausstellungen oder als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen. Ein weiterer Kooperationsvertrag mit der Kunsthalle Mannheim steht an. Die Kuratoren dürfen selber wählen. Deren jeweilige Auswahl empfindet Carolin Scharpff-Striebich zugleich als Qualitätskontrolle. Manche Bilder werden viel, andere gar nicht nachgefragt. „Man wird demütig“, beschreibt sie das Gefühl. Zugleich genießt sie den Austausch mit den Spezialisten auf Augenhöhe. Ihre Gespräche mit den Spezialisten in „Let’s talk abstract“ geben eine Ahnung davon.

„Let’s talk abstract“. Hrsg. Carolin Scharpff-Striebich, Distanz Verlag Berlin, 192 Seiten, 34,90 €.

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