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Nachruf auf ein Gefährt: Ach, Auto!

Fast zehn Jahre fuhr unser Autor mit einem skurrilen Kleinwagen durch die Welt. In Berlin braucht er ihn nun nicht mehr - und trennt sich schweren Herzens. Freilich nicht, ohne ihm an dieser Stelle ein erstes und letztes Mal zu huldigen: als Gegenstand einer Zeit des suburbanen Wohlstands, die just vergeht. Eine Auto-Biographie.

Ach, Auto, zwei Wochen ist es her, da habe ich dich ein letztes Mal vollgetankt, den Reifendruck überprüft, und dann sind wir nach Dortmund gefahren, noch einmal 500 Kilometer von Berlin aus, noch einmal Zittern um meine und ein bisschen auch um deine Existenz, mit kaputter Scheibenwaschanlage und Funzellichtern im Schneetreiben durch den Teutoburger Wald. Alle 30 Kilometer haben wir Halt gemacht, damit ich den Salzgries von deiner Scheibe kratzen konnte. Und immer in Sorge, ob der dröhnende Auspuff – „innerlich verrottet“ nannte ihn der KFZ-Meister bei unserem letzten Termin – nicht doch irgendwann abfällt, oder ob die angerosteten Bremsleitungen – „Das kriegen Sie nie mehr durch den Tüv“ – nicht doch irgendwann reißen.

Am Ende, angekommen vor dem Haus meiner Eltern, habe ich – vor Trennungsschmerz, aber auch vor Glück, diese letzte Fahrt überlebt zu haben – dein Lenkrad geküsst. Ich hoffe, du, nunmehr Verstoßenes, Zurückgelassenes, hast das nicht als letzten Misstrauensbeweis empfunden. Aber du musst schon zugeben: Diese Langstreckenfahrten mit dir waren ja – immer schon und mit den Altersmalaisen eines 15 Jahre alten Autogreises zunehmend – ein Ritt auf der Kanonenkugel. Denn eines wie du hat nie einen Elchtest bestanden, und dein „Blech“ fasste sich immer eher trabantig an, falls du verstehst, was ich meine.

Auto, Daihatsu Move, so leicht, wie du warst, wenn ich dich (fehlender Warntöne sei Dank) mal wieder mit von der Lichtanlage leergezogener Batterie an deinem etwas affigen Heckspoiler aus einer Parklücke zog, hättest du gut mein Tod sein können. Das war mir auf jedem der 130 000 Kilometer, die wir mit deinem nagelnden Dreizylinder-Ottomotor (42 PS) zurückgelegt haben, bewusst. Umso mehr, je näher wir deiner Spitzengeschwindigkeit von knapp 130 km/h (ebene Strecke, nur ein Insasse) kamen. Das war ja auch die Geschwindigkeit, bei der dir, das du sonst nie eine Panne hattest, vor vier Jahren mal ein Reifen platzte. Auto, das war knapp!

Klingt das jetzt zu negativ? Das soll es nicht. Du warst der erste Mikrovan, der auf den deutschen Markt kam, ein ungewöhnlich kastiges Design auf kleinstem Raum, und auch für mich warst du, als ich dich zum ersten Mal sah, eine kleine Sensation. Es war 1999, die Beerdigung meiner Großmutter, du gehörtest noch meinem Cousin, wir fuhren vom Friedhof heim. Und schon damals – ich war 14 – warst du mir gleich sympathisch: nicht schön, aber durchdacht, praktisch, aber auch individuell, lächerlich auf den ersten Blick, auf den zweiten von einer ganz herzigen, einzigartigen Ironie, die so viel unaufdringlicher war als die, die sonst in der Off-Auto-Szene mit alten Käfern, R4s und 2CVs gepflegt wird. Du warst – das war damals schon klar – das Auto meiner antiautomobilistischen Jungalternativenträume. Wenn, dann du, dachte ich, und das hat später ja wunderbar geklappt.

Und was haben wir nicht alles gemeinsam erlebt: beginnend als rasende Lokalreporter der „Westfälischen Rundschau“, selig, ach Auto, es ist so vieles Vergangenheit, und du jetzt auch. Du warst Star in einem Musikvideo, wir sind mit 40 Fieber von Salem am Bodensee durch die halbe Republik gegondelt, und waren so verliebt. Mit dir und meiner späteren Frau habe ich mich im aufkommenden Orkan Kyrill in einer grandios ruinösen Scheune zu Knutschzwecken untergestellt. Die Scheune war tags drauf nicht mehr. Du siehst: Alles vergeht, auch dein Hersteller zog sich zum 31. Januar 2013 vom deutschen Markt zurück. Nur in dir war immer ein Stück Ewigkeit. Auf den endlosen Fahrten zwischen Heimat und Studienort mit Funny van Dannen (a propos: Was mache ich jetzt mit den ganzen Kassetten?) beiläufig „When a man loves a woman“ summen. Bremsen, schalten und bei allen Vorbehalten gegen den klimazehrenden Individualverkehr doch sehr oft sehr einverstanden sein mit diesem Traum einer schrumpfenden Mittelschicht: der autonomen Mobilität im elterlichen Zweitwagen, der zu Studienbeginn mit dem Sohnemann in die Unistadt übersiedelte. Bis es dann, vor fast drei Jahren, gemeinsam nach Berlin ging.

Doch lass’ mich dir noch etwas huldigen, bevor ich zu diesem unseligen letzten Kapitel komme: Sechs Kästen Bier passten locker in deinen Kofferraum, bei umgelegten oder gar ausgebauten Rücksitzen (ein Kinderspiel in deinem variablen Innenraum) entsprechend mehr. Sofas und Waschmaschinen hast du transportiert, und längst nicht nur meine. Eine ganze Studierendencommunity feierte dich, kleines Raumwunder, vor allem für deine Kofferraumklappe, die eben keine lästige Klappe war, sondern eine lässig zur Seite schwenkende Tür. Sowieso Türen: Gleich fünf hattest du für mich, du Wunder des Funktionsdesigns, dessen Schöpfer – der Italiener Giorgio Giugiaro (Portfolio: Lotus Esprit, Fiat Uno, VW Golf I, Audi 80 uvm.) – aller Respekt gebührt. Dass du auf einer englischsprachigen Homepage ganz oben in einer Liste „Ugly Cars“ geführt wirst – pfui!

Auto, wir müssen vernünftig sein!

Du siehst nun hoffentlich, wie gern ich dich immer hatte, und vielleicht können wir vor diesem Hintergrund ganz nüchtern darüber reden, warum es zwischen uns zuletzt nicht mehr so passte. Ich hatte einfach das Gefühl, dass du nicht mehr Schritt halten kannst: Erinnerst du dich, wie du uns und unsere Geschenke nach der Hochzeit im Hessischen letztes Jahr fast nicht mehr über die Kasseler Berge bekommen hättest? Und wie wir ratlos mit einem Riesenschrank auf dem Ikea-Parkplatz standen und schließlich doch das Möbel-Taxi nehmen mussten? Auto, zu studentischen Billy-Zeiten hat immer alles in dich hineingepasst!

Vor drei Wochen dann der Tiefpunkt: Als ich die alte Couch zum Recyclinghof bringen wollte, ging sie hinten und vorne nicht in dich hinein – ich musste mit dir fahren, einen Transporter auszuleihen („eine Robbe holen“ – wie man hier in Anlehnung an den Namen eines lokalen Lasterverleihers sagt). Eine Robbe holen! Dafür brauche ich kein Auto! Verstehst du, was ich meine, Auto? Wenn schon die abgeliebten Möbel zu groß sind, bist du als Transporter nutzlos! Und für alles andere brauchen wir dich auch längst nicht mehr: Es gibt in dieser Stadt Bahnen und Räder und Carsharing, und der Supermarkt ist um die Ecke. Auto, wir müssen es beide einsehen, du bist das Relikt einer anderen Zeit! Du bist alte Bundesrepublik, ich bin jetzt Berlin. Das tut ein bisschen weh, denn nirgendwo sonst hier fühlte ich mich meinen Wurzeln so nah wie hinter deinem Steuer. Ja, allein, wie ich dich Tag für Tag auf meinem Arbeitsweg unter der Hochbahn stehen sah, da warst du ein Stück weit die Erweiterung meiner selbst in den oft noch so fremden, rauen öffentlichen Raum dieser Stadt.

Aber Auto, wir müssen auch vernünftig sein: Zuletzt bekamst du deine Sommerreifen im August, die Winterreifen im Februar aufgezogen, wenn es dann doch mal wünschenswert oder sinnvoll erschien, mit dir irgendwie irgendwohin zu fahren – und sei es nur zur Werkstatt, wo es dann hieß: „Sie lassen den ja schon ganz schön vergammeln.“ Worauf ich immer sagte, zumindest in den letzten Jahren: „Jetzt ist es eh zu spät.“ Hat dich das beleidigt? Wahrscheinlich nicht, du bist kein Wesen und hast kein solches, bist daher in unserer gemeinsamen Zeit auch nicht ansatzweise so gewürdigt worden wie jetzt, da sich bereits der Schleier der Verklärung über eine wohlwollende Zweckbeziehung zu legen scheint. Und Auto, bei allen Küssen und Zeilen, die dir auf den letzten Metern zuteil wurden: Am Ende bist du tatsächlich nur ein Ding – ein Ding, das zuletzt, vor sich hin rostend, Berliner Parkraum zustellte.

Jetzt bist du zurück in der Heimat – der Vater will dich im März vielleicht noch einmal durch den Tüv bekommen (Träumer!). Ansonsten ist er aber auch der richtige, dich auf deinem letzten Weg zu begleiten: Ob der nun in die Schrottpresse oder in den Libanon oder sonst wohin führt: Ich will es, offen gesprochen, gar nicht wissen. Ich sehe nur Morgen für Morgen die Leere unter der Hochbahn; und trauere vom Fahrradsattel aus, dass etwas für immer zu Ende geht.

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