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Nachruf: Blut, Dreck und Katharsis

Zum Tod des Wiener Aktionskünstlers Otto Muehl.

Seine „Gerümpelsculpturen“ sind weniger im Kopf geblieben als 1991 die Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen Kindesmissbrauchs. Otto Muehl zählte neben Hermann Nitsch und Adolf Frohner zu den prägenden Figuren der Wiener Kunstszene. Gemeinsam mauerten sie sich 1962 für mehrere Tage in Muehls Kelleratelier ein und verfassten „Die Blutorgel“: ein Manifest, das die Abkehr der Kunst von aller ästhetischen Coolness propagierte. Dreckig, blutig und kathartisch sollte sie stattdessen sein. Kunst und Leben wollten die miteinander versöhnen. Dazu gehörten auch tierische Eingeweide und literweise Blut, das sich über die Teilnehmer ergießt.

Mit solchen Ideen etablierte das Trio den Wiener Aktionismus. Eine Strömung, die den Körper zum Medium macht und mitunter extremen Situationen aussetzt. Die Aktionisten nutzten für solche physischen Erfahrungen erst den eigenen, später mit Vorliebe junge, weibliche Körper. Um autoritäre und reaktionäre Strukturen zu überwinden, glaubte vor allem Muehl, diese öffentlich verhandeln zu müssen. Dass er selbst patriarchale Verhaltensweisen an den Tag legte, sah er dagegen nicht. So organisierte er 1968 an der Wiener Universität die „Pissaktion“, in der drei nackte Männer um die Wette urinierten. Ihre „Reichweiten“ wurden notiert und anschließend veröffentlicht.

Anfang der 70er Jahre gründete Muehl eine Kommune in der Wiener Praterstraße und distanzierte sich von Fluxus und Happening, die er nun ebenfalls als zutiefst bürgerlich empfand. Stattdessen betätigte er sich als Maltherapeut und entwickelte einen expressiven Stil. Dabei hatte Otto Muehl einst das Tafelbild mithilfe jener „Materialaktionen“ überwinden wollten, die früh sein Markenzeichen geworden sind: mit Schrott, der sich zu besagten raumfüllenden „Gerümpelsculpturen“ formierte.

In den 80er Jahren zog ihn die Justiz dann zur Rechenschaft. Muehl hatte in der Kommune Mädchen entjungfert und Kindern weiche Drogen verabreicht. Da er jede Einsicht verweigerte und die künstlerische Autonomie zum einzig wahren Prinzip erklärte, saß er die Strafe komplett ab. Anschließend zog Muehl nach Portugal. Erst 2010, als das Wiener Leopold Museum sein Spätwerk würdigte, entschuldigte sich der Künstler bei seinen Opfern: „Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt.“ Kränkung, ein stärkeres Wort fiel ihm nicht ein. Nun ist Otto Muehl mit 87 Jahren in Portugal gestorben.

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