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Old Man. Schon mit 21 fühlte sich Neil Young älter, als er war. Er ist mit den Jahren immer lauter geworden.

© picture alliance / dpa

Neil Young zum 70. Geburtstag: Das reine Lustprinzip

Neil Young forever. Zum 70. Geburtstag des wilden Rockmusikers.

Wer vor der Zeit altert, den trifft es vielleicht später nicht so hart. Neil Young hatte stets einen Vorsprung. Selbst in den Sechzigern, als noch Anlass dazu bestanden hätte, sich jung zu fühlen, handelte seine Musik nicht von der Anmaßung der Jugend, dem glühenden Triumph der Vitalität, obwohl seine viel zitierte Liedzeile, nach der es besser sei auszubrennen als zu vergehen, das nahegelegt hat. Neil Young fühlte sich schon mit 21 vom „sugar mountain“ und dessen dolce vita vertrieben. Seine Hippieseele wollte fortan ihr „heart of gold“ wiederfinden in dem klaren Bewusstsein, dass sie darüber alt werden würde. Die Kraft musste also lange reichen.

Das tut sie bis heute. Erst im Sommer brachte der Unermüdliche, der am heutigen Donnerstag 70 wird, ein Album heraus, auf dem er sich den Agrarkonzern Monsanto zur Brust nahm, aufgenommen mit den Söhnen von Willie Nelson, die ihn von Kindesbeinen an Uncle Neil rufen. Er schrieb erst ein Buch über sein Leben, „Ein Hippie-Traum“, schließlich ein weiteres, die „Auto-Biografie“ über seine Leidenschaft für Oldtimer. Trotzdem wünschte er sich auf dem wuchtig-spätmeisterlichen Doppelalbum „Psychedelic Pill“ die frühere Unerschütterlichkeit zurück, mit der er „wie ein Gigant“ durchs Land geschritten war. Damals, in den Sechzigern, hätten sie die Welt retten wollen, sang er, „and it breaks my heart how close we came“.

Ein Fantast ist Neil Young nie gewesen und ein Rebell in dem Sinne auch nicht, dass er sich auf Kosten des Alten hätte profilieren wollen. Als er sich 1970 von seinem ersten kleinen Vermögen etwas südlich von San Francisco eine Ranch kaufte und sie nach einem frühen Song Broken Arrow nannte, da lebte ein betagtes Ehepaar auf dem 1000-Hektar-Anwesen, der Vorarbeiter und seine Frau. Der alte Mann fuhr ihn herum und wunderte sich, wie ein junger Bursche von 24 Jahren mit langen Haaren so viel Geld hatte verdienen können, um sich das alles zu leisten. Neil Young behielt den Mann als seinen Verwalter, der nach den Zäunen sah und dem Vieh. Um ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben, schrieb er das wundervolle Lied „Old Man“. „Take a look at my life“, bat er, „I’m a lot like you were.“ Was nicht nur bedeutet, dass jeder Alte in der jüngeren Generation, die er nicht mehr zu begreifen meint, ein Stück seiner eigenen Vergangenheit entdecken kann. Neil Young hoffte als Jungmillionär von dem alten Farmer vielmehr in Dinge eingeweiht zu werden, die Bestand haben würden, „die nicht verloren gehen wie Münzen in einem Automat“.

Neil Young lebt immer noch auf dieser Farm. Als er zwischenzeitlich knapp bei Kasse war, verkaufte er ein paar Hektar seines Landes, das sich über malerische Hügel bis zum Ozean erstreckt. In den Hügeln fängt sich der Nebel. Diesen Ort betrachtete Young stets als seine „Filter-Anlage“. Die Welt würde nur in erträglichen Portionen zu ihm durchdringen. Für seine Kreativität bedürfe es „eines guten Platzes“, meinte er in einem „New York Times“-Interview, „und dann befindest du dich entweder auf dem Weg dorthin oder von dort weg.“

Wie oft ist der Autonarr am Steuer eines seiner zahllosen Sammlerstücke fotografiert worden, von denen jene, die er nicht restauriert hat, unter Bäumen verrotten? Er betrachtet sie in seinem neuen Buch „Special Deluxe“ (Kiepenheuer & Witsch, 415 Seiten) als Sinnbilder dessen, was eben nicht geklappt hat in seinem Leben. Seine Enttäuschungen setzen im Gegensatz zu den unverarbeiteten Traumata vieler Zeitgenossen einfach Rost an.

„Rust Never Sleeps“, so hieß eines seiner wichtigsten Alben, das er mit seiner hingebungsvoll lärmenden On-Off-Band Crazy Horse aufgenommen hat und das seine gegensätzlichen musikalischen Temperamente in einem mörderischen Kraftakt zusammenzwang. Denn da ist einerseits der brachiale Gitarren-Mystiker, der seinem Instrument seit der Gründung von Crazy Horse 1969 berstende Sounds entlockt; auf der anderen Seite der Songwriter mit der hellen, verletzlichen Stimme, der vom Kontrollverlust eines Epileptikers erschütterten Mädchenstimme, der mit Balladen wie „After The Goldrush“ oder „Don’t Let It Bring You Down“ gegen die Bequemlichkeit der Post-Hippies anspielte.

Wenn erklärt werden müsste, was Rockmusik ist und was die gute von der schlechten unterscheidet, wäre Neil Young der ideale Kronzeuge. Wer sonst hat die von Adorno beklagte Regression zum Instinktwesen in der Popkultur so sehr ins Positive gekehrt? Neil Young verkörpert das reine Lustprinzip. So lange er Spaß an einer Sache hat, treibt er sie voran. Um Erfolg oder um seinen guten Ruf hat er sich nie gekümmert. Eine Tournee mit Stephen Stills brach er ab und schickte dem verdutzten, langjährigen Partner bloß ein Telegramm des Wortlauts, wie komisch es sei, dass Dinge, die spontan beginnen, nun einmal zu Ende gehen würden. „Eat a peach, Neil.“

Iss einen Pfirsich und vergiss es! Mit dieser Haltung geht Neil Young durch ein Leben wachsender Verehrung. Spätestens mit der Grunge-Generation, die ihn als ihren Schutzheiligen auserkoren hatte, gilt er als größter lebender Rockmusiker. Der Blick zurück, mit dem sich die meisten seiner Altersgenossen behelfen, behagt ihm nicht. Er tourt nicht mit seinen besten Songs durch die Lande, gefällige Kooperationen meidet er, und die Veröffentlichung alter Archivbänder treibt er eher schleppend voran.

Wenn er zuletzt in dem Song „Drifting Back“ doch einmal gedanklich in der Zeit zurückreist, zu dem Typen, der er selbst war, der Picasso geringgeschätzt und sein Geld zu einem Guru getragen habe, fällt ihm als Entschuldigung nicht mehr ein als: „Hey now now hey now now.“ Und mehr braucht es nicht.

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