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Die österreichische Schauspielerin und Musikerin Resi Reiner.

© M. Sensche

Neue Alben von Resi Reiner und Rahel: Sommer hinter der Milchglasscheibe

Der spannendste deutschsprachige Pop kommt oft aus Österreich. Einen aktuellen Beweis liefern die Wiener Musikerinnen Resi Reiner und Rahel mit ihren Debüt-EPs.

Mit Acts wie Bilderbuch, Wanda, Pauls Jets oder Der Nino Aus Wien hatte deutschsprachige Popmusik aus Österreich in den letzten Jahren einen erstaunlichen Lauf. So unterschiedlich die Bands und Künstler waren – hier der immer aufregende Future-Pop von Bilderbuch, dort der stets nah am Klischee entlang tanzende Rock’n’Roll von Wanda, hier die lebensschönen wahren Lieder vom Nino –, eines fiel doch auf: Insgesamt war zumindest das, was es bis auf die großen Bühnen schaffte, erstaunlich männlich. Jetzt haben mit Rahel und Resi Reiner zeitgleich zwei der interessantesten Newcomerinnen Österreichs ihre Debüt-EPs veröffentlichten, was nicht nur beglückend ist, sondern auch eine Art Korrektiv.

Wobei: Newcomerin ist so ein blödes Wort. Resi Reiner etwa klingt, als wäre sie schon immer da gewesen. Ein bisschen stimmt das sogar, denn seit ihrem sechsten Lebensjahr ist sie Schauspielerin – übernahm zum Beispiel mit neun Jahren die Hauptrolle im Kinderfilm „Karo und der liebe Gott“. Nur hat sie vor 2021 noch nie gesungen, oder zumindest noch nie etwas Gesungenes veröffentlicht.

Es geht um Sehnsüchte, nicht um Politik

Das eigenartig bekannte Gefühl, dass die Songs ihrer am vergangenen Freitag erschienenen EP „Echsestieren“ ausstrahlen, mag daher rühren, dass diese wenig bis gar nichts Effektheischerisches besitzen. Nie wirken sie aufgeregt oder gar ungestüm. Eher ist es so: Resi Reiner seufzt. In dem Song „Richtig Sommer“ etwa, den großen Rudi Carell zitierend: „Wird es auch mal wieder richtig Sommer; ich mein, so ein Sommer wie er früher einmal war? Wo’s zwischendurch auch mal ein paar kühle Tage gibt, wo’s nicht so subsaharisch heiß ist.“ Dazu hören wir einen Sound, der angemessen abgedimmt ist und mit seinen Vintage-Keyboard-Lines und seinen verwehten Background-Vocals diffus die Vergangenheit heraufbeschwört, ohne retro zu sein.

Man kann das als Soundtrack zum Jahrhundertsommer begreifen, vielleicht sogar als Kommentar zum Klimawandel, zu beachten ist dabei aber unbedingt: Politisch ist „Richtig Sommer“ nicht. Resi Reiner predigt nicht, vielmehr hat man den Eindruck, dass sie sich den 41 Grad, dem brennenden Asphalt, dem beständigen Sauna-Feeling ergibt, weil’s ja nix bringen würde, sich dagegen zu wehren.

Diese Geisteshaltung zieht sich auch durch die weiteren Songs des Mini-Albums. Neben heißen Tagen in der Wiener U-Bahn geht es es um die Mittelmäßigkeit, die sich quer durch alle Lebensbereiche vom Songschreiben bis zu Dating-Angelegenheiten zieht („Naja, geht so“), Urlaube unter schwierigen Umständen, aber mit gehörlosem Mops („Ich will nach Italien“) und das Hin und Her des Tischtennisspiels als Metapher für die Liebe („Tischtennis“).

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Diese Songs sind, wie der Brite sagen würde, relatable. Sie erzählen von unbestimmten Sehnsüchten, die jenseits von Kategorien wie Alter und Geschlecht greifen. Sie zucken müde mit den Schultern, selbst wenn die Welt zu Grunde geht: Die 26-Jährige Wienerin zeigt sich dabei eine clevere Texterin, sendet lakonische Moment- und Zustandsbeschreibungen aus, bei denen man nie weiß, ob man jetzt lachen oder weinen soll.

Ihre Zeilen sind immer auch Slogans, die sich an Häuserwänden gut machen würden oder mindestens auf Instagram-Kacheln. Dazu passt, wie das Artwork die Songs auf ihre Essenz herunterbricht: Ein Sonnenschirm für „Ich will nach Italien“. Ein Ping-Pong-Schläger für „Tischtennis“. Eine altertümliche Klimaanlage mit angefügter Eidechse für „Echsestieren“, alles aus der Hand von Friedemann Weise, Songwriter, Satiriker und einer der Autoren der „Heute-Show“.

Die Wiener Musikerin Rahel hat gerade ihre erste EP veröffentlicht.

© Michèle Yves Pauty

Auch Rahel veröffentlichte ihren ersten Song im vergangenen Jahr und ihre Debüt-EP „Die Allerschönste Angst“ am vergangenen Freitag. Und: Einer ihrer Songs berichtet ebenfalls von der heißesten Zeit des Jahres. Doch „Hochsommer“ erledigt das auf eine gänzlich andere Art und Weise als Resi Reiners Sommer- Lied. „Hochsommer kommt vor dem Fall“, heißt es im Refrain, später: „Alles ist so leicht, alles macht jetzt Sinn, die perfekte Sturzflut, du stehst mittendrin.“

Das weckt natürlich Assoziationen; diese sind jedoch von kurzer Dauer: Rahel bleibt in ihren Texten variabel und – das zeigt die EP eindrucksvoll – völlig unberechenbar. Mal sind es sehr direkte Zustandsbeschreibungen („Tapp Tapp Tap“), mal scheint es so, als würde man sie und ihre Gedanken durch eine Milchglasscheibe wahrnehmen. Man muss sich schon einen eigenen Reim auf das machen, was sie da erzählt.

Gerade ihren ersten Songs konnte man noch eine gewisse Nähe zur NDW-Revival-Schleife der Jahrtausendwende andichten. Doch schon damals waren derlei Aussagen mit einem großen „aber“ zu garnieren. Die neue EP verdeutlicht das noch einmal. In Rahels Sound mag man Spuren von Mia. oder Wir sind Helden finden, auch ihre Stimme changiert zwischen Ennui, Melancholie und Wut, auch sie scheint in ihren Songs ständig in Bewegung zu sein, durch die Stadt zu laufen, durch die Nacht und durch die „falschen Türen“, wie sie es selbst in „Tapp Tapp Tapp“ beschreibt.

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Gleichzeitig legt sie musikalisch eine anspielungsreiche Vielzahl an Spuren, verknüpft virtuos Fäden, die sich von der Knef bis zu den Neonbabies, von französischem Chanson über Sixties-Twang bis zu US-amerikanischem Softrock spannen und die ganz sicher nichts mit dem zu tun haben, was man normalerweise unter dem Begriff Austropop subsummiert. Die beiden besten Songs heißen „Cherry“ und „Honey“: Beide flirten sie mit einem eigenartigen Klang, in dem Space-Sounds auf Broken Beats treffen, in dem man Ambient-Texturen ebenso findet wie Easy Listening und Prog-Keyboards.

Kratzt man die vielen Klangschichten ab, erzählen sie indes durchaus Geschichten; aber, eben durch die Milchglasscheibe. „Cherry“ scheint eher beunruhigend von toxischer Liebe zu berichten, während „Honey“ vom „allerschönsten Angst“ berichtet. Rahels Album ist dabei der erste größere Aufschlag für eine neue Plattenfirma: Sie veröffentlicht über das im Kollektiv betriebene Wiener DIY-Label Radio International.

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