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George Daniel, Matthew „Matty“ Healy, Adam Hann und Ross MacDonald (v. l.) sind The 1975.

© Magdalena Wosinska

Neues Album von The 1975: Verheiratet mit einem Roboter

Die britische Popband The 1975 springt auf ihrem dritten Album „A Brief Inquiry Into Online Relationships“ wild durch die Genres.

Man versteht sofort, warum The 1975 keine Band sind, sondern ein Ereignis. In einer Zeit, in der Rockmusik in jedem zweiten Artikel als „tot“ bezeichnet wird, kommt diese ambitionierte, britische Gruppe mit einem exzentrischen und charismatischen Frontmann, genau recht. Mit ihr sieht es so aus, als sei Rock wieder lebendig. Die Gruppe selbst formuliert es so: „Es gibt im Moment keine anderen großen Bands, die etwas so Interessantes machen wie wir.“ Das sagt Sänger und Songschreiber Matthew Healy in seiner typischen Unbescheidenheit gegenüber dem „Billboard Magazin“. Es kommt natürlich darauf an, wie man „interessant“ definiert.

Wobei die Musikpresse, vor allem die britische, dem 29-jährigen Healy weitgehend folgt. Der New Musical Express etwa nennt „A Brief Inquiry Into Online Relationships“, das gerade erschienene dritte Album der Band, „die Antwort der Millennials auf ,OK Computer’ von Radiohead.“ Die Generation der Anfang der Achtziger bis Ende der Neunziger Geborenen antwortet also auf den Klassiker, den die rund zwanzig Jahre älteren Musiker aus Oxford 1997 veröffentlicht haben. Radiohead begannen damals, ihr Soundspektrum mit elektronischen Elementen zu erweitern, sie waren seither keine reine Rockband mehr.

Ähnliches haben wohl auch The 1975 im Sinn, wobei sie sich ohnehin nie als Rockband definiert haben. Die Rezeption der Gruppe ist irgendwo zwischen „relevanteste Band der Welt“ und „Retter des Rock“ angesiedelt. Matthew Healy, der gern über seine überwundene Heroinsucht spricht, wird als Stimme einer Generation gesehen, als unverhoffter Erbe von Größen wie Ian Curtis, Kurt Cobain und vielleicht auch Julian Casablancas von den Strokes.

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Der Mann mit den ständig wechselnden Frisuren ist in der Tat eine ziemliche Type, und die musikalische Agenda des Quartetts wirkt frisch. Hört man allerdings das durch die Genres springende, hypernervöse Album, erscheint die ganze Aufregung doch etwas lachhaft. Zieht man die bombastischen Überschriften ab, bleibt eine flaches, wenig beeindruckendes Werk. So bezieht etwa „Give Yourself A Try“, der beste der 15 neuen Songs, seine Kraft vor allem daraus, dass er eine Hommage an den unsterblichen Klassiker „Disorder“ von Joy Division ist.

Wie auf einer Schul-Disko in den achtziger Jahren

Stücke wie „Love It If We Made It“ und „It’s Not Living (If It’s Not With You)“ leben von Healys emotionalem Gesang und den direkten Texten, doch bei den schmierigen Refrains fühlt man sich zurückversetzt auf Schulpartys der Achtziger, bei denen der DJ als nächstes „Careless Whisper“ oder „Heaven Is A Place On Earth“ auflegt.

Der deutlichste Beweis für die Banalität von The 1975 ist der Track „The Man Who Married A Robot/Love Story“, ein Anti-Technik-Gedicht, rezitiert von Siri, Apples Sprachassistenzprogramm. Es erinnert sofort an „Fitter Happier“, einen berühmten Track von „OK Computer“, den eine roboterhafte Stimme spricht. Doch was Ende der neunziger Jahre alarmierend klang, erscheint Ende 2018 anachronistisch und müde.

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The 1975 wurden 2002 von vier Schulfreunden in Manchester gegründet, eine Stadt mit einem legendären kulturellen Erbe. Große Bands wie The Smith oder Oasis kommen aus der einstigen Industriemetropole im Nordwesten Englands. Diese Herkunft trägt zum Reiz der Band bei, macht es aber auch schwer, sie als etwas wirklich Neues zu sehen. Wobei „A Brief Inquiry“, das Healy und Schlagzeuger George Daniel produziert haben, kein schreckliches Album ist. Es gibt einige feine Momente darauf, etwa das jazzige „Sincerity Is Scary“ und das hymnische „I Always Wanna Die (Sometimes)“. Allerdings ist die Platte auch sehr weit entfernt von der ihr zugeschriebenen Bedeutung. Wenn sie als die Antwort der Millennials auf „OK Computer“ gesehen wird, bestätigt das vielleicht, was ältere Generationen schon länger über die Millenials denken: Sie haben keine Ahnung, wie ein echtes Genie klingt.

„A Brief Inquiry Into Online Relationships“ erscheint bei Polydor.

Einav Schiff

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