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Kultur: Neues Bauen in Berlin: Dächerkrieg in Zehlendorf

Berlin, das sind viele Bauausstellungen. Die bedeutendste ist wohl jenes Quartier, in dem mehr als ein Dutzend Avantgarde-Architekten ihre Ideen in Form von Gebäuden manifestierten.

Berlin, das sind viele Bauausstellungen. Die bedeutendste ist wohl jenes Quartier, in dem mehr als ein Dutzend Avantgarde-Architekten ihre Ideen in Form von Gebäuden manifestierten. Walter Gropius, der "Silberprinz" (Tom Wolfe), Erich Mendelsohn, Baumeister der eleganten Gesellschaft, Bruno Taut, der Philanthrop, Hugo Häring, der Schwärmer, Ludwig Hilberseimer, der asketische Theoretiker, aber auch der bodenständige Heinrich Tessenow und der konservative Paul Schmitthenner - ein Aufgebot der klassischen Moderne samt ihrer Antipoden. Die Rede ist von Zehlendorf, von der "Großsiedlung Onkel-Toms-Hütte" ab 1926, von der benachbarten Gegendemonstration "Versuchssiedlung Am Fischtal" 1929 und zahlreichen Bauten in der Nähe.

Mario Maedebach und Werner Redeleit, die ein Doppelgrundstück an der Riemeisterstraße zu bebauen hatten, gehören zu jenen Architekten, die mit dieserModerne bestens vertraut sind. Ihre Architektur will am privilegierten Ort bestehen können, und so gingen sie den schmalen Grat der eigenständigen Interpretation der Moderne.

Zwei Wohnhäuser orderte der Bauherr, die Kali und Salz AG, auf dem Doppelgrundstück, zwei mal vier Wohnungen waren unterzubringen, keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellen sollte. Denn der "Zehlendorfer Dächerkrieg" von 1929, die Flachdächer Tauts gegen die Steildächer Tessenows und Schmitthenners, heute weniger entschieden ist denn je. Neubauten in diesem "größten zusammenhängenden Villengebiet Europas" sieht man von Amts wegen immer noch gerne mit einem Steildach behütet. Doch Maedebach und Redeleit würden niemals Häuser mit Steildach entwerfen.

Für solche Fälle hält der Bebauungsplan die Möglichkeit des Staffelgeschosses offen. Das obere Stockwerk muss zurückspringen, so dass man im Geiste einen Dachkörper darüber stülpen könnte. So können die Mieter im Oberstübchen auf einem schmalen Gang rings um ihre vier Wände gehen. So mancher Zentimeter musste außerdem bei den Wohnungen abgeknapst werden, um innerhalb der verfügbaren Abstandsflächen zu bleiben. Es wurde gekürzt, gedrückt und geschoben; allein die engen Zufahrten zu den Garagen im Untergeschoss erfordern hohe Fahrkünste. Umso klarer präsentieren sich die Zwillingsbauten von außen. Ein weißer Kubus bildet jeweils den Korpus des Hauses, er birgt die Wohnräume. An der Westseite ist ein Bauteil aus Backstein angefügt, darin die "dienenden Räume", Treppenhaus, Bäder, Küchen. Hervorstechendstes Merkmal sind jedoch die raumgreifenden hölzernen "Kisten", wie die Architekten sagen; sie sind Erker und Loggia zugleich. Innen- und Außenraum werden verbunden und aus dem bergenden Innenraum heraus als Kontinuum erlebbar. Unterstützend wirken die Materialien: Innen wurde weiß verputzt oder gestrichen, außen dominiert braun lasiertes Holz. Die Sonnenschutzlamellen aus Eichenholz stehen bis zur Brüstung fest und lassen sich darüber wie Jalousien hochziehen. So kommt es zu einem kleinen Täuschungsmanöver, denn was von außen raumhoch geöffnet erscheint, hat innen Fenster, Sturz und Brüstung.

Die Bewohner des Erdgeschosses verfügen über eine anderthalbgeschossige, voll verglaste Wohnhalle mit vorgelagerter Gartenterrasse. Neun Stufen höher liegt vor der Küche eine Essgalerie mit generösem Blick über Halle und Garten. Auch das Wohnzimmer im Dachgeschoss hat zur Hälfte gläserne Wände und öffnet sich zur Freizeit verheißenden Dachterrasse. Von dort aus wirkt das Dachgeschoss wie ein nobles Penthouse; eine Möblierung mit der Liege von Le Corbusier oder Sitzgelegenheiten von Mies van der Rohe ist geradezu Pflicht.

Klassische Moderne ist ohne Perfektion im Detail nicht denkbar. Kanadisches Ahorn-Parkett, Jura als Bodenbelag in Wohnhalle, Bäder und Küchen, dazu Fliesen und Objekte sind sorgsam ausgewählt worden. Die "Elbklinker" der Ziegelfassade hatten die Maurer in "Fußsortierung", also nicht mit der perfekten Schauseite, sondern mit der lebendigeren Rückseite nach vorn zu vermauern.

Im paarweisen Erscheinen des identischen Hauses schwingt auch eine Erinnerung an die nahen Musterbauten der zwanziger Jahre mit, denn auch dort wiederholt sich manches. So scheint es ohnehin nicht ausgeschlossen, dass der spontane Besucher in fünfzig Jahren die beiden Wohnhäuser den 75 Jahre älteren Mustersiedlungen zurechnet. Ein Fauxpas wäre das nicht.

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