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Kultur: Nicht ganz koscher

„Ich darf das, ich bin Jude.“ Oliver Polaks Witze brechen Tabus – und sind sehr lustig. Ein Porträt von Deutschlands erstem jüdischen Comedian.

Die Magnet Bar, Berlin Mitte, ein Abend Ende September. Es ist längst dunkel, hier fangen die Lesungen an, wenn sie anderswo schon vorbei sind. Auf den Holzbänken und an der Bar dicht gedrängt Mitte-Publikum zwischen 20 und 40. Plötzlich wechselt die Musik, eine Udo-Jürgens-Fanfare, dann die Titelmelodie von „Alf“, das Papenburglied von „Klaus & Klaus“, Tocotronics „Hier leben – nein danke“, „Hava Nagila“, die deutsche Nationalhymne. Ein seltsames Medley, erst später wird man merken, dass es eine Art musikalische Reise durch das Leben des Typen mit den schwarzen Strubbelhaaren und der Trainingshose ist, der jetzt auf der kleinen Bühne steht: Oliver Polak.

„Ich bin Jude, ihr müsst trotzdem nur lachen, wenn’s euch gefällt“, sagt er. Noch lacht niemand. „Ich mein’, wie lange ist diese Geschichte jetzt her? Fast 70 Jahre, oder? Machen wir vielleicht für heute Abend folgendes: Ich vergesse die blöde Geschichte mit dem Holocaust, und ihr verzeiht uns Michel Friedman.“ Erste vorsichtige Lacher. Neben Oliver Polak steht ein Pappaufsteller: ein deutscher Schäferhund mit Waffen-SS-Mütze auf dem Kopf und Davidstern um den Hals. Polak bedankt sich beim Veranstalter, „der hat mich vom Bahnhof abgeholt und zur Location gebracht – früher war das ja eher umgekehrt“. Dann setzt er sich an den Tisch, schlägt sein Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ auf und beginnt zu lesen.

Es ist seine erste Lesung, und das merkt man: Anfangs wirkt er nervös, liest stockend, verhaspelt sich ein paar Mal. Es ist eine Unsicherheit auf beiden Seiten, man kann fast spüren wie jeder Einzelne im Publikum überlegt: Darf ich jetzt lachen? Und was, wenn ich es tue und der einzige bin?

Denn der 32-jährige Oliver Polak, mit seinem Teddybärengesicht, bricht gerade das letzte große Tabu des deutschen Humors.

Und das hört sich dann so an: Er erzählt, wie er mit seinen Eltern früher mehrmals in der Woche endlose zwei Stunden zur nächsten jüdischen Gemeinde fuhr, in einem Mercedes mit dem Nummernschild „EL-AL“, beschallt von Udo Jürgens, dem Lieblingssänger seiner Mutter. Dann sagt er: „Als ich das erste Mal von Juden-Deportationen hörte, dachte ich spontan: Ja, kenne ich!“

Es ist böse, unerhört und selbstironisch. Eben das, was Oliver Polak unter jüdischem Humor versteht. Und irgendwann stellt sich in der Magnet Bar die Frage nicht mehr, ob man darüber lachen darf oder nicht. Man muss es einfach.

In den USA ist das längst nichts Besonderes mehr, dort gibt es Adam Sandler und Sarah Silverman, Woody Allen und viele andere Komiker, die mit ihrem Jüdischsein kokettieren und darüber Witze reißen. In Deutschland ist Oliver Polak der erste, „das hat man mir zumindest so gesagt“, er zuckt mit den Schultern, wichtig ist ihm das nicht.

Ein ganzes Kapitel des Buches hat Oliver Polak seiner Heimatstadt Papenburg gewidmet: Eine überwiegend liebevolle, treffende Abrechnung mit der Provinz, wo man sich gern mit „Na, du Gesicht!“ begrüßt und der DJ in der Disco Amy Winehouse für einen Drink hält. Im Magnet kommt das gut an – schließlich verbrachte halb Mitte die Jugend in Orten mit fünfstelliger Vorwahl.

In Papenburg gab es vor Oliver Polaks Geburt genau zwei Juden: seinen Vater und seine Mutter. Sie kam aus Russland, er kehrte nach dem Holocaust als einziger Jude in seine Heimatstadt zurück. Ein „lebendes Mahnmal“ sei sein Vater in Papenburg, schreibt Polak. Eines, das eben nicht in Stein gemeißelt, von Büschen überwuchert und vergessen werden konnte, sondern mit quietschbunten Hosenträgern durch die Stadt spazierte. Und dann kam auch noch er, Oliver. „Mahnmal – the Next Generation.“

Und damit ist Oliver Polak in seiner Lesung beim Kern des Buches angekommen: Wie ist es, der einzige junge Jude im Umkreis von 36 Kilometern zu sein? In seinen Träumen, schreibt Polak, sah er sich als coolen Outlaw, „ein jüdischer Latino, der durch seine Exotik nicht nur die Phantasien, sondern auch die Hormone in Wallung brachte“. In Wahrheit war er ein unsportlicher Außenseiter. Wenn er während der Religionsstunden und an Weihnachten allein seine Zeit vertrödelte, wenn er im Unterricht erklären sollte, wie es sich anfühlt, Teil einer Minderheit zu sein, dann merkte Polak, dass er den anderen nicht als etwas Besonderes, sondern bloß als etwas Anderes erschien. Und dass der Unterschied dazwischen größer nicht sein konnte.

Tatsächlich fühlt sich Oliver Polak als Kind ein bisschen so, als stamme er von einem fremden Stern und wäre auf dem falschen Planeten gelandet. Und so wird Alf, der Außerirdische aus dem Fernsehen, sein Verbündeter. Auf der Bühne erklärt er das so: „Ich war mir sicher, dass Alf Jude sein musste – die Riesen-Nase, die Ganzkörper-Gebetslocken, der Hang zur Wehleidigkeit. Und die Tanners mussten ihn ja auch verstecken!“ Das schönste Geschenk, das er als Kind bekam, war denn auch ein lebensechtes Alf-Kostüm. Drei Tage lang wollte er nicht mehr aus der Verkleidung heraus.

Auf der Bühne macht Oliver Polak nun aus all diesen Unsicherheiten und Problemen der Vergangenheit Pointen. Zum Beispiel wenn er erzählt, wie einmal „Papenburger Nachwuchsnazis“ ihn und einen türkischen Freund verfolgten. Sie hatten es schon geschafft, die beiden in einer Ecke zu stellen, da fiel den Nazis auf, „dass sie für diese Option gar keine Endlösung parat hatten.“ Oder die Geschichte von der Frau, die sich durch seine Anwesenheit gestört fühlte und hysterisch durch den Supermarkt brüllte: „Der Israeli verfolgt mich!“

Nach der Lesung muss Polak einige Zugaben geben und noch mehr Bücher signieren. Als es ruhiger wird, läuft er mit einem Tablett durch die Magnet Bar und verteilt Wodka, den sein russischer Onkel mitgebracht hat. Er lächelt, ist erleichtert, der Abend ist gut gelaufen.

Eine Woche später, Tag der deutschen Einheit. Zum Interview hat sich Oliver Polak den Fernsehturm am Alex ausgesucht. Er wirkt aufgedreht, redet schnell. Am Fuß des Turms findet gerade das Berliner Oktoberfest statt, neben den Zapfhähnen dreht sich ein ganz und gar unkoscheres Spanferkel, Polak läuft hin, posiert, „das wäre doch ein cooles Foto“. Dann, oben im Café, bestellt er „Berliner Weiße“ mit Waldmeister. Er mag den Fernsehturm, schaut gerne aus der Vogelperspektive auf die Stadt, in der er jetzt zu Hause ist.

Als er noch relativ neu in Berlin war, beschloss Polak, es mit Stand-Up-Comedy zu versuchen. Davor hatte er als Schauspieler gearbeitet, unter anderem spielte er fünf Jahre in der RTL-Serie „Bernds Hexe“, einer Kopie des US-Klassikers „Bezaubernde Jeannie“. Gerne hätte er auch mal seriöse Rollen übernommen, wurde aber immer in Comedyserien besetzt. „Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass das vielleicht kein Zufall ist.“

Auf der Bühne eine Perücke aufsetzen und in eine andere Rolle schlüpfen wollte er nicht. Warum auch? „Ich bin Jude, komme aus dem Emsland – ich dachte mir, das reicht eigentlich schon.“ Es reicht. Und mehr als das: Regelmäßig tritt er mittlerweile in der Schöneberger „Scheinbar“, bei „Nightwash“ oder im „Quatsch Comedy Club“ auf. Und jetzt eben das Buch.

Aus dem Fenster des Cafés zeigt Oliver Polak auf seine Straße in Mitte. So weit, wie Berlin jetzt unter ihm liegt, so weit liegt Papenburg hinter ihm. Hat er noch immer mit Antisemitismus zu kämpfen? „Nee, weniger. Viele meiner Freunde sind links, ich lebe da in Mitte in einer Art Disneyland“, sagt er. „Natürlich wird es immer Rechtsradikale, Idioten und Assis geben. Aber wegen ein paar Nazis ziehe ich doch nicht gleich aus Deutschland weg!“

Das erste Mal, dass Polak einfach bloß einer unter vielen sein konnte, war in England, als er an einem jüdisch-orthodoxen Internat seinen Schulabschluss machte. In Köln, wo er danach als Moderator beim Musiksender „Viva“ arbeitete, habe dann keiner gewusst, dass er Jude ist. Angenehm sei das gewesen. „In Köln hat es immer bloß geheißen...“, Polak macht eine Pause und wechselt in den Kölner Dialekt: „Dat is der Olli, dat is einer von uns!“

Es geht ums Dazugehören. In Deutschland zuckten beim Wort Jude alle sofort zusammen, sagt er. „Das nervt.“ Ständig müsse er erklären, ob er sich hierzulande sicher fühle. Dabei ist Jude sein für ihn einfach Teil seiner Identität. So wie er auch Deutscher ist.

Und um zu zeigen, wie unwichtig diese ganze „Wir-Ihr-Diskussion“ ist, spielt Polak bei seinen Auftritten gerne ein Spiel; er hat es „das Juden-Spiel“ getauft: „Ich nenne einen Prominenten, und wenn das Publikum glaubt, das ist ein Jude, dann sollen die alle ‚Jude!' rufen, aber nicht so niedergeschlagen, sondern so wie sie ‚Happy Birthday' brüllen würden.“

Hinter den Fensterscheiben des Fernsehturms leuchtet der blaue Horizont, bald wird es Abend, die Weiße ist ausgetrunken, da sagt Oliver Polak noch, wie oft Leute ihm erzählen, dass sie während der Nazi-Zeit Juden im Keller versteckt hätten: „Ganz Papenburg, ach was, ganz Deutschland muss unterkellert gewesen sein!“ Er hat dann immer das Gefühl, die Leute würden ihm das erzählen, um sich zu therapieren.

Oliver Polak macht es Spaß, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Aber ein bisschen Angst vor der Höhe hat er auch. Der ganze Rummel um seine Person, da werde ihm manchmal schon mulmig. Sein Buch sei nicht als endgültige Auseinandersetzung mit dem Jüdischsein in Deutschland gedacht. Sondern solle „einfach humorvoll und lustig“ sein.

Polaks Lieblingslied von Udo Jürgens, der ihm auf den Autofahrten mit seinen Eltern ans Herz gewachsen ist, heißt „Ein Narr sagt Danke Schön“. Eine Zeile darin ist: „Ich habe mit dir gelacht und mit dir Spaß gemacht, ich gab ein Stück von meiner Seele dir zum Spielen so zum Schein.“

Direkt neben dem Fernsehturm, am Neptunbrunnen, hat Oliver Polak mal ein Lied von Jügens gesungen. Ein Video davon kann man auf Youtube sehen. „Das ist ein Bewerbungsvideo“, sagt Polak. Es sei sein großer Traum, in der Verfilmung von Jürgens’ Biografie mitzuspielen. Jetzt wartet er auf einen Anruf.

„Ich darf das, ich bin Jude“ ist bei Kiepenheuer &Witsch erschienen (186 Seiten, 8,95 Euro). Oliver Polak tritt am 24., 25. und 26. Oktober im „Quatsch Comedy Club“ in Berlin auf.

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