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Kino: Nichts für Warmduscher

Ein Autokino-Erlebnis von Nicole Köstler.

Es ist es eisig, die Straßen menschenleer. Fahl scheint der Halbmond auf die Kuppel des Berliner Doms. Eine Armee von Schneemännern starrt auf die Spree. Freitag, sechs Uhr: Draußen graut langsam der Morgen. Drinnen geschieht gleich ein Mord. Am Abend zuvor hat Kurator Phil Collins in der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz sein „Auto-Kino“ eröffnet. Zwölf Wagen parken im Dunkeln. Die Tür eines alten Toyota lässt sich öffnen. Im Wagen nebenan heben zwei Menschen verschlafen ihre Köpfe. Nur das Wachpersonal ist noch da. Gerade läuft „Psycho“. Genauer gesagt, „24 Hour Psycho“. Denn der Künstler Douglas Gordon verlangsamt den Hitchcock-Thriller derart, dass aus 110 Minuten ein ganzer Horrortag wird.

Eine ausgestopfte Eule mit gestreckten Flügeln hängt von der Decke. Janet Leigh hält ein Butterbrot in der Hand. Ihr gegenüber sitzt ein hagerer junger Mann, Anthony Perkins, der unheimliche Besitzer eines verlassenen Motels. Die Filmbewegung nähert sich einem still. Spannung im klassischen Sinne gibt es nicht. Kein Geräusch ist zu hören. Mikroskopische Veränderungen werden zum Spektakel: Das Auf und Ab des Adamsapfels. Das Zittern eines Knies. Der Biss ins Butterbrot. Das Zeitempfinden verflüchtigt sich in einem Labyrinth der Langsamkeit. Eigentlich müsste die berühmte Dusch-Szene um 6.40 Uhr laufen. Gegen acht wird das Warten unerträglich. Kurz vor dem Aufgeben, um 9.09 Uhr, betritt Janet Leigh endlich das Badezimmer. Geschafft. Jetzt schnell nach Hause. Duschen.Seite 29

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