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Kultur: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg

Die MoMA-Schau in Berlin endet mit Rekorden. Jetzt beginnt die Zukunft der Nationalgalerie

Die Schlange. Die Warteschlange, die sich rings um die Neue Nationalgalerie vor dem Eingang zur Ausstellung „Das MoMA in Berlin“ windet, ist zu einem Dauerthema der Medien geworden. Die Zahlen jagen einander. Mittlerweile wollen Beobachter „elf Stunden“ als Rekordwartezeit gemessen haben. Geschichten von Schlafsäcken und Thermoskannen haben bereits Eingang in überseeische Zeitungen gefunden, während hiesige Blätter, idealistischer Philosophie eingedenk, eher die Schlange an sich erörtern.

Im veranstaltenden Verein der Freunde der Nationalgalerie mit seinem Vorsitzenden Peter Raue sowie der – personell sehr schmalen – Führungsetage der Nationalgalerie unter ihrem Direktor Peter-Klaus Schuster dürfte man sich die Hände reiben. Das schlichte Versäumnis, für die MoMA-Ausstellung – wie bei mit blockbuster shows vertrauten Museen üblich – auf Tag, Stunde und Verweildauer bestimmte Eintrittskarten auszugeben, sondern die Besuchswilligen stattdessen bei Wind und Wetter warten zu lassen, hat sich als Marketingerfolg sondergleichen erwiesen. Bislang 1,13 Millionen Menschen strömten herbei, um warten zu dürfen. Es ist die Attraktion des Autobahnstaus: Dabeisein ist alles.

Nein, es ist zum Glück nicht alles. Die Menschen kommen durchaus, um die Kollektion des New Yorker Museum of Modern Art zu sehen. Sie sind zwar bereit, die Unbill stundenlangen Anstehens auf sich zu nehmen, weil sie eine bessere Organisation offenkundig gar nicht erwarten. Aber sie wollen doch die 200 Meisterwerke des späten 19. und des 20. Jahrhunderts sehen, von denen sie wissen oder zumindest erwarten, dass sie „die“ Moderne repräsentieren. Dieser Erfolg, dass am Ende knapp 1,2 Millionen Besucher einen Querschnitt der Klassischen Moderne gesehen haben werden, gleichrangig mit Rembrandt oder Rubens – diesen Erfolg kann das MoMA- Gastspiel, was immer man an Einwänden vorbringen muss, für sich verbuchen.

Das ist die bleibende Leistung, und so kann Raue heute auch entspannt bekennen, vom Erfolg „überrollt“ worden zu sein. Über die Kosten, die ursprünglich mit acht Millionen Euro behauptet, später mit zehn Millionen eingeräumt wurden und inzwischen bei dreizehn Millionen Euro liegen dürften, wird man kein Wort mehr verlieren. Und ebenso wenig über das anfangs heruntergespielte, im Grunde wahnwitzige Risiko, das der veranstaltende Verein der Freunde der Nationalgalerie seinerzeit einging.

Doch wie entspricht die Ausstellung der Publikumserwartung, einen „gültigen“ Querschnitt der modernen Kunst zu besichtigen? Und was werden Besucher künftig als minderen Ranges erachten, weil es das MoMA unberücksichtigt ließ?

Ein ungewöhnlich heftig formulierter Aufsatz des Kunsthistorikers Werner Spies unter dem Titel „Die amerikanische Unfehlbarkeitserklärung“ entfachte Mitte August eine Diskussion neu, die bereits ein halbes Jahr zuvor, zu Beginn des MoMA-Spektakels, angestoßen worden war, dann aber angesichts des sich abzeichnenden Besuchererfolgs schnell wieder verebbte. Spies stellte die Frage nach der Gültigkeit des Kanons der modernen Kunst, den die MoMA-Auswahl behauptet. Denn natürlich ist die Parade der 200 Meisterwerke eine Behauptung, die durch die Kraft ihres visuellen Eindrucks wie durch die Aura, die ihr vorauseilt, über jeden Verstandeseinwand triumphiert. Was im Untergeschoss der Neuen Nationalgalerie gezeigt wird, beansprucht, nichts weniger als die Essenz der Moderne zu sein. Doch genau das ist sie nicht.

Schon die frankreichlastige Darstellung der Klassischen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts mit ihrer Apotheose von Picasso und Matisse ist überholt – ein Reflex auf die antiquierte amerikanische Universitäts-Kunstgeschichte, die über Paris selten hinausgelangt ist. Für die Zeit nach 1945 zeigt sich – noch verzerrender – ein erdrückendes Übergewicht der amerikanischen über die europäische Kunst. Der Triumph der amerikanischen Malerei – auch schon wieder Vergangenheit – wird in der MoMA-Ausstellung noch einmal zelebriert. Dazu betonte MoMA-Direktor Glenn Lowry in der „New York Times“, es sei die Berliner Seite gewesen, die das Museum „gedrängt“ habe, „seine Auswahl auf Werke amerikanischer Künstler zu konzentrieren“. Peter Raue hingegen räumt ein, dass es Platz allenfalls für punktuelle Berliner Wünsche gab, etwa die Gemälde von Edward Hopper. Im Übrigen war die 200er-Auswahl als Ganzes zuvor bereits im texanischen Houston zu sehen.

Interessant ist vielmehr, dass die MoMA-Auswahl den eigenen Maßstäben, wie sie der legendäre Gründungsdirektor Alfred H. Barr aufgerichtet hat, nicht genügt. Barr war ein profunder Kenner der europäischen Kunst und ein Bewunderer der Strömungen, die in den Zwanzigerjahren in Deutschland, Holland und Sowjetrussland dominierten. Sein Idealtypus der kulturellen Erneuerung war das Dessauer Bauhaus. Barrs Kunstbegriff ging weit über die Beschränkung auf Malerei und Skulptur hinaus, wie sie die Berliner Auswahl vornimmt, übrigens im Gegensatz zur breit gefächerten Sammlung des New Yorker Hauses.

Vor allem waren Barr und MoMA durch und durch international ausgerichtet. Die Apotheose der amerikanischen Kunst betrieb das MoMA erst, als das Weltklima sich zugunsten der politisch-kulturellen Dominanz der Vereinigten Staaten wandelte – auf Kosten von Nachkriegs-Paris. Doch so massiv, wie die amerikanische Dominanz in Berlin zutage tritt, ist sie im New Yorker Stammhaus nie gewesen, und die viel gerühmten Ausstellungen des Hauses spiegeln unverändert MoMAs entschieden anti- chauvinistische Aufgeschlossenheit.

Die Chance, eine begründete „Weltauswahl“der Moderne auch für die Zeit nach 1945 zu treffen, wurde in Berlin vertan. Und die New Yorker Leihgeber hätten sehen müssen, dass sie mit der Hereinnahme zweitrangiger Arbeiten etwa von Adolph Gottlieb oder Helen Frankenthaler das strahlende Bild des amerikanischen Aufbruchs nach 1945 verschatten.

Nach der täglichen Feier neuer Rekordzahlen muss es den Veranstaltern nun allerdings darum zu tun sein, das MoMA-Gastspiel nicht einfach ins Sagenreich entschwinden zu lassen, sondern die Besucher auf Dauer an die Neue Nationalgalerie zu binden. Jetzt sind die strategische Vision von Museumschef Peter- Klaus Schuster und erneut die Risikobereitschaft des Freundesvereins gefordert.

Der Einfall von Bundespräsident Köhler, die Meisterwerke aus den Staatlichen Museen zu einer einzigen Highlight-Ausstellung zu bündeln, ist zu Recht als kurzschlüssig verworfen worden. Aber es steckt darin ein richtiger Ansatz: dass es einer dem pfiffigen MoMA-Marketing vergleichbaren Anstrengung bedarf, um Besucher für die in Berlin beheimateten Schätze zu gewinnen. Die Neue Nationalgalerie muss diese Attraktion aus dem Reichtum ihrer Sammlung entwickeln.

Das derzeit bei der Leihausstellung der Nationalgalerie in Weimar zu besichtigende Modell, dem umfassenden Kunstbegriff der Moderne – insbesondere ihres Flaggschiffs Bauhaus – zu folgen und alle Gattungen einschließlich Fotografie und Design zu integrieren, muss für Berlin vertieft werden. Ja, die Nationalgalerie könnte Alfred Barrs Ursprungskonzept einer europäisch verwurzelten, aber weit verzweigten Moderne, das im MoMA erst später zur Dominanz des Dioskurenpaars Picasso-Matisse verschlankt wurde, für sich fruchtbar machen.

Die europäische Avantgarde ist in der Berliner Museumssammlung hervorragend vertreten: Jetzt gilt es, ihre umfassenden kulturellen Erneuerungskonzepte anschaulich zu machen. Noch geizen die Verantwortlichen mit Auskünften, müssen aber die in der kommenden Woche anstehende Bilanz-Pressekonferenz zur Bekanntgabe anspruchsvoller, selbst gesteckter Ziele nutzen.

An wissenschaftlicher Erkenntnis hat die MoMA-Schau wenig erbracht. Das erweist sich beim Blick in ihren aufs Bilderbuch reduzierten, inzwischen mehr als 150000 mal verkauften Katalog. In diesem Mangel liegt umgekehrt eine enorme Chance für die Nationalgalerie. Sie kann bei ihren Besuchern Erkenntnis befördern – Erkenntnis, die in ihren Werken als Selbstreflexion der europäischen Kultur der Moderne sichtbar wird.

Aus solchem Kontext würden sich erst die amerikanischen Weiterungen in ihrer ganzen Bedeutung erschließen – wie etwa Peter Raues Lieblingswerk, Barnett Newmans grandiose Stahlskulptur „Gebrochener Obelisk“ von 1963/69, die der rührige Anwalt am liebsten in Berlin behielte. Sie steht vor dem Mies-Bau – und wird wenig beachtet, solange alle Aufmerksamkeit der Schlange gilt, die sich hinter ihr um den Kunsttempel windet.

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