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Kultur: Nilpferd an Mammut

Alltag im amerikanischen Exil: der Briefwechsel von Adorno und Horkheimer 1938–1944

„Er denkt Ihre Gedanken nicht so komplex, wie sie gedacht waren“, schreibt Adorno im Oktober 1941 an Horkheimer. Wer da getadelt wird, ist kein Geringerer als Herbert Marcuse, über den es heißt, „er hat bei seinen Besuchen in Universitäten Misserfolge gehabt“. In dieser Tonlage sind viele Briefe geschrieben, die von Teddie an Max gehen oder auch von „Nilpferd“ an „Mammut“, wie beide sich im Tierreich identifizieren (samt Adornos Frau Gretel als „Giraffe“).

Adornos geflissentlich-schulmeisterlicher Ton ist bereits aus dem ersten Band des Briefwechsels bekannt, der, vor zwei Jahren erschienen, so ungemein erhellende Einblicke in das Innenleben des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ und die tragende Freund- und Partnerschaft von Theodor W. Adorno und dem mehr als acht Jahre älteren Max Horkheimer erlaubte. Mittlerweile haben die Herausgeber Christoph Gödde und Henri Lonitz den Folgeband über die Jahre 1938–1944 vorgelegt. Wie den ersten der auf drei Bände angelegten Edition haben sie ihn mit hilfreichen Anmerkungen zu den oft in Vergessenheit geratenen Personen versehen. Bei der Fülle der Einträge können kleine Unebenheiten nicht ausbleiben. So sind die Angaben zu Alois Schardt, dem von den Nazis 1933 eingesetzten und 1936 selbst in die Emigration gezwungenen Direktor der Berliner Nationalgalerie, unvollständig und daher unverständlich; und auch befindet sich das MIT nicht in Boston, sondern im gegenüberliegenden Cambridge. Das nur nebenbei.

Es ist die hohe Zeit der Emigration. Nach einem wenig glücklichen Gastspiel in Oxford kommt Theodor W. Adorno im Februar 1938 nach New York und ist mit dem dort bereits tätigen Max Horkheimer, dem Direktor des emigrierten Instituts, wieder zusammen. Allerdings nicht lang; es steht der Weiterzug an die Westküste bevor, bedingt durch die Projekte, die das Institut durchführen will und die es am Leben erhalten sollen.

Diese Vorhaben sind in die Geschichte der Sozialwissenschaften eingegangen; die „Studies in Prejudice“, später die breit angelegte Studie zur „Autoritären Persönlichkeit“. Beide berühren den zentralen Nerv der Emigration: wie es im alten Europa zu jener Barbarei hat kommen können, deren wahres Ausmaß die Institutsmitglieder kaum erahnen (das böse Wort vom „Grand Hotel Abgrund“ hat hier eine seiner Wurzeln). Dabei neigt sich die Waage der wissenschaftlichen Arbeit zugunsten Adornos, wird Horkheimer doch nolens volens zum Wissenschaftsmanager, so dass sich Adorno im Februar 1944 sorgt: „Lassen Sie sich nicht zu Tode hetzen und von Angelegenheiten zudecken.“

Dem Antisemitismus und seiner sozialwissenschaftlichen Deutung gelten denn auch einige der über die persönliche, zunehmend intime Beziehung der beiden Großdenker hinaus wichtigsten Briefe dieser Jahre. Am 18. September 1940 legt Adorno „Gedanken zur Theorie des Antisemitismus“ – wie er in allem Selbstbewusstsein formuliert – dar, die er selbst als „so waghalsig“ bewertet, „dass ich sie außer Ihnen niemand zeige“. Fürwahr, es ist bemerkenswert zu lesen, wie weit sich Adorno, ungeachtet des geläufigen Vokabulars, von der Sozialwissenschaft – der materialistischen zumal – entfernt, um „die üblichen mehr oder minder rationalistischen Erklärungen des Antisemitismus“ hinter sich zu lassen. „Die Juden sind die heimlichen Zigeuner der Geschichte“, lautet der Kernsatz. Sie hätten sich „geweigert, irgend eine und beschränkte Heimat anzunehmen“. Adorno versucht dann natürlich noch, die materialistische Kurve zu nehmen und beschreibt die Juden als „die, welche sich nicht haben ,zivilisieren’ und dem Primat der Arbeit unterwerfen lassen. Das wird ihnen nicht verziehen und deshalb sind sie der Stein des Anstoßes in der Klassengesellschaft.“ Aber es liest sich doch weniger als eine Theorie denn als Widerspiegelung der eigenen Situation, wenn schon der nächste Satz lautet: „Sie (die Juden) haben sich nicht oder nur widerwillig aus dem Paradies vertreiben lassen.“ Das Paradies, darf man wohl anfügen, war das Frankfurter Institut, und die Bitternis der Vertreibung spüren die Emigranten auf Schritt und Tritt.

Einschließlich der Eifersüchteleien und Gehässigkeiten, zu denen Adorno im Unterschied zum stets grandseigneuralen, bisweilen auch väterlich besorgten Horkheimer neigte. Als Paul Lazarsfeld, Emigrant auch er – aus Wien – und als empirischer Soziologe ausgewiesen, im September 1938 Adornos Beitrag für das von ihm geleitete „Radio Research Project“ zerpflückt – „You are uninformed about empirical research but write about it in authoritative language“ ist noch der geringste, dem Adorno-Leser indessen allzu vertraut klingende Vorwurf –, beklagt sich dieser bei Horkheimer über „den durch und durch illoyalen Mann“, der „die Amerikaner gegen mich aufgehetzt hat, um mich auf diese Weise (...) als unbequem abzuschieben“. Dass Adorno im selben Brief an Horkheimers „Sinn für Sekurität“ appelliert – „Franchement, ich habe ihn auch“ –, beleuchtet einmal mehr die Lage der Institutsmitglieder, die beständig nach materieller Unterstützung suchen mussten. Reichlich deprimiert schreibt Horkheimer im Juni 1941 aus Pacific Palisades, wohin das Institut im Vorjahr übersiedeln musste, an Adorno: „Die Ablehnung Ihres grants scheint mir den Beweis dafür zu liefern, dass von ,outside’ für das Institut nie und nimmer etwas zu erwarten ist.“

Umso mehr von inside. Im November 1941 schreibt Adorno beglückt über die Institutsarbeit: „Wenn es jemals eine vollkommene Harmonie der intelligiblen und empirischen Interessen gegeben hat, dann in diesem Fall.“ Im Besonderen betrifft es die Zusammenarbeit der Frankfurter Dioskuren; erstmals nennt Adorno – und noch ganz en passant – den späteren Titel ihres Gemeinschaftswerkes, „die Dialektik der Aufklärung oder die Dialektik von Kultur und Barbarei“.

Zum ThemaTagesspiegel Online: Literatur Spezial Service Buch online bestellen: Briefwechsel von Adorno und Horkheimer Was die Barbarei anlangt, so erstaunt einmal mehr, wie wenig sich das Weltgeschehen in den Briefen niederschlägt, so hellsichtig Adorno auch bereits 1938 die Ausrottung der Juden vorausgesehen hatte. Noch im Dezember 1944 ist Horkheimer von der „Stärke“ der Deutschen beeindruckt – es ist die Zeit der Ardennenoffensive. Aber das bleibt eine Randbemerkung im Tagesgeschäft der Wissenschaft. Wie viel unter all den Mühen errungen werden konnte, bleibt ein, wenn nicht das Wunder der Emigration.

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Briefwechsel. Band II: 1938–1944. Herausgegeben von Christoph Gödde u. Henri Lonitz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main. 662 Seiten, 44,90 €.

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