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Noam Chomsky: Die Stimme der Linken

Rastlos streiten und kämpfen: Zum 80. Geburtstag des amerikanischen Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky.

An ihm scheiden sich die Geister. Für die einen ist Noam Chomsky der Dissident des Kapitalismus schlechthin. Die anderen halten ihn für einen linken Spinner, der die alten Thesen eines fehlgeleiteten Linksintellektualismus nur besonders gut zu verkaufen versteht. Von der unrühmlichen Verklärung der Sowjetunion, die den linken Intellektuellen in den USA heute noch vorgehalten wird, hat Noam Chomsky sich allerdings nie anstecken lassen. Schon als Jugendlicher wandte sich der Sohn russischer Einwanderer dem Anarchismus zu, und auch heute noch sieht er die erste Pflicht des Intellektuellen darin, verborgene Strukturen von Hierarchie und Herrschaft aufzuspüren und sichtbar zu machen. Das Ziel, das er sich dabei selbst vorgibt: die Freiheit insgesamt erhöhen.

Das Aufspüren von Strukturen liegt bereits am Anfang seines Weges vom erfolgreichen Akademiker zur viel gehörten Stimme des Widerspruchs. Noam Chomsky war noch keine dreißig Jahre alt, da formulierte er bereits seine zentrale Einsicht: die Fähigkeit zur Sprache, erklärte er 1957 in „Syntatctic Structures“, ist dem Menschen angeboren – in Form von sprachlichen Grundstrukturen, einer Universalgrammatik. Er widersprach damit dem akademischen Konsens seiner Zeit, dem die Vorstellung einer „menschlichen Natur“ höchst suspekt war.

So heftig wurde damals debattiert, dass heute gar von den „Linguistic Wars“ der sechziger Jahre die Rede ist. Noam Chomsky hatte damit die Sprachwissenschaft beeinflusst wie kaum ein anderer vor ihm – bekannt wurde er allerdings als Gallionsfigur des Protestes gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam. Er war nicht der einzige Strukturalist, der seine Methoden aus der teils hochgradig abstraktem Sprachwissenschaft auf Kultur und Geschichte im Allgemeinen zu übertragen verstand.

Zur selben Zeit formierte sich die Denkschule der „cultural studies“ und machte daraus sogar vorübergehend ihre Leitidee. Doch niemand anders war so gut darin, die kühle Analyse von Machtstrukturen so klar und verständlich zum Ausdruck zu bringen. Sein gutes Gedächtnis ist berüchtigt: wie improvisiert klingt es oft, wenn er die Ähnlichkeiten von historischer Ereignisse heraus stellt, die zeitlich und geographisch weit auseinander liegen. Keiner der wütenden Strukturalisten, von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu einmal abgesehen, gewann derart großen Einfluss über akademische Zirkel hinaus.

Noam Chomsky blieb nach Ende des Vietnamkrieges seiner neue Rolle treu: Er war nun die Stimme der nordamerikanischen Linksintellektuellen. Als radikaler Kritiker der Großmachtpolitik der Vereinigten Staaten wurde er weltbekannt, veröffentlichte zahlreiche Schriften und machte sich mit akribisch recherchierten Analysen der US-amerikanischen Kriege in Asien, der Nahost-Politk und der Rolle der US-amerikanischen Regierung bei der Stützung von Gewaltregimen in Mittel- und Lateinamerika unbeliebt.

Seit 1961 war Noam Chomsky bereits Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology (M.I.T), doch sein akademisches Wirken geriet gegenüber seinem politischen Kampf in den Hintergrund. Die ideologische Krise der Linksintellektuellen nach dem Fall der Mauer machte ihm zwar kaum zu schaffen, dazu hatte er dem Sozialismus und dem Kommunismus stets viel zu gründlich misstraut. Sein beharrliches Auftreten aber ließ ihn in den Augen vieler zu einer Obskurität werden, die immer seltener gehört wurde. Dann das höchst erstaunliche Comeback: das stetige Anschwellen der Globalisierungskritik, die Gründung von „Attac“, die Straßenschlachten in Seattle und bei anderen „Weltgipfeln“ etwa in Genua und schließlich der Afghanistan-Krieg spülten Noam Chomsky kraftvoll zurück an die Spitze des Linksintellektualismus.

Seine Polemik „9–11“ wurde vor sechs Jahren zum Bestseller, und wann immer heute eine amerikakritische Stimme gesucht wird, so scheint es, klingelt bei Noam Chomsky das Telefon. Doch er macht es seinen Anhängern vor allem in Europa keineswegs leicht. Bei aller Kritik hält er die Vereinigten Staaten doch für das freieste Land auf der Welt. Noam Chomsky versteht sich – im Unterschied etwa zu dem umstrittenen Filmemacher Michael Moore („Fahrenheit 9/11“) – keinswegs als Gegenpropagandist.

Aber ähnlich wie Moore ist Noam Chomsky ein rastloser Kämpfer, und in der Hitze der Schlacht wird die Sorgfaltspflicht des Akademikers gelegentlich zum Opfer der Leidenschaft. Politische Gegner werden nicht müde, seine Fehler aufzulisten. 2004 erschien der „Anti-Chomsky-Reader“, eine polemische Sammelschrift, die gleichwohl einige Irrtümer und peinliche Entgleisungen zur Sprache bringt – Chomskys später relativierte Behauptung etwa, während des Afghanistan-Krieges käme es dort zu einem „stillen Genozid“ („silent genocide“). In solchen Momenten wirkt Noam Chomskys Radikalität störrisch, ein wenig mechanisch sogar. Doch auch im Alter von achtzig Jahren scheint seine Kraft zum Widerspruch unerschöpflich, und seine Stimme, diese einzigartige Mischung aus der Bedächtigkeit des Gelehrten und der Leidenschaft eines Einzelkämpfers, wird uns hoffentlich noch lange begleiten.

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