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Begeisterter Empfang für Harry Styles in Venedig für seinen Film „Don’t Worry Darling“.

© imago/UPI Photo/IMAGO/RUNE HELLESTAD | Bearbeitung: Tagesspiegel

Venedig und der Hollywood-Streik: Wie wichtig sind die Stars für ein Filmfestival?

In diesem Jahr werden auf dem Filmfestival von Venedig wegen der Streiks in Hollywood weniger US-Stars über den roten Teppich laufen. Drei Experten erklären die Konsequenzen.

In Hollywood streiken die Drehbuchautor:innen und Schauspieler:innen für gerechte Löhne und Schutz vor dem Einsatz Künstlicher Intelligenz. Doch die Folgen sind schon auch in Europa spürbar. Wenn man kommenden Mittwoch in Venedig die 80. Filmfestspiele von Venedig beginnen, werden auch viele europäische Stars in Solidarität mit den Kolleg:innen nicht am Festival teilnehmen.

Wie wird die Abwesenheit von großen Namen das Filmfestival, das die Oscar-Saison einleitet, verändern? Drei Experten geben ihre Einschätzung ab. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.


Die Konkurrenz zwischen Kinos und Streamern

Die Traumfabrik wird bestreikt. Ist das gut oder schlecht? Jeder, der das Kino liebt, ist über diesen Stillstand besorgt, aber diese Sorgen verblassen angesichts des Risikos, dass unsere Träume von einem Computer geformt werden, der vorgibt, unseren Geschmack zu kennen und uns vorschreibt, wie wir zu sprechen haben.

Es ist wichtig zu betonen, dass alle Filmfestivals an der Seite der Autor*innen und Schauspieler*innen stehen, die nicht nur ihre Rechte, sondern auch unsere Freiheit gegenüber der Herrschaft der Algorithmen verteidigen wollen.

Natürlich wollen wir, dass die Stars zu den Festivals kommen. Wir wollen sie feiern, denn sie sind einer der Gründe, warum Festivals so beliebt sind. Gleichzeitig sollten wir nicht vergessen, dass Filmfestivals existieren, um Filme zu unterstützen. Und Filme brauchen Filmfestivals, um unabhängig zu bleiben.

Vielleicht werden die aktuellen Ereignisse zu einer weniger polarisierten Filmlandschaft führen, in der auch Independent-Filme ohne Stars im Rampenlicht stehen können. Vielleicht wird dies Journalist*innen erleichtern, auch in andere Richtungen zu blicken und weniger bekannten Stimmen Raum zu geben. Und vielleicht wird das Publikum die Vielfalt des Kinouniversums mehr schätzen können.

Im Festivaltrubel liegt auch das Geheimnis des Kinos

Schreie gellen über den Lido di Venezia, in Scharen drängeln sich die Fans am Kanal mit den Motorbooten, in denen die Stars zum Festivalpalast geschippert werden. Der rote Teppich vergangenes Jahr mit Harry Styles, die überfüllte Brücke im Vorjahr, von der aus die Kids Zendaya und Timothee Chalamet anhimmelten: In der Hysterie solchen Festivaltrubels begreift man das Geheimnis des Kinos wie nirgends sonst. Denn die Stars winken zurück, sie kommen zum Selfie an die Absperrung, werden zu nahbaren Göttern.

„Sie hat mich gesehen“, kreischt eine Schaulustige. Darum geht es im Kino, um das Versprechen des Gesehenwerdens. Da sind Menschen auf der Leinwand, bigger than life, und du merkst, du bist nicht allein. Hollywood ist auf deiner Seite, du fühlst dich verstanden, und auf dem roten Teppich wird das Glück darüber beglaubigt.

Deshalb fehlen sie schmerzlich, die streikenden Stars. Die dunkle Kehrseite des Pakts zwischen Fan und Star gibt es leider auch, den Missbrauch. Seit den Vorwürfen gegen Rammstein ist das auf dem Tisch. Gut so. Denn der Pakt setzt Vertrauen voraus.

Die Streiks sind eine Chance für das Arthouse-Kino

Als Berliner kennt man die Klage zur Genüge, sie begleiten jedes Jahr die Berlinale. Festivals brauchen Stars, sie bringen Glamour und Weltläufigkeit ins Kino, das seit der Pandemie kriselt. Das stimmt. Aber. Das Kino ist mehr als seine Stars, auch wenn wir immer noch von der „Traumfabrik“ sprechen. Das Kino wird zunehmend zum Spiegel unserer Realität.

In Hollywood, wo die Geschichten diverser werden, aber auch auf Festivals, die sich heute der Klimakrise, sozialer Ungleichheit und dem Ukrainekrieg annehmen. Die Hollywood-Streiks sind Teil dieser Realität, die Streikenden kämpfen letztlich für die Zukunft unseres Kinos – ohne KI.

Natürlich macht der Trubel und der Gossip um den roten Teppich einen Teil des Reizes eines Filmfestivals aus. Große Namen können oftmals aber auch von dem ablenken, worum es eigentlich geht: den Filmen. Insbesondere denen aus Ländern, die unsere Aufmerksamkeit benötigen.

Nirgendwo spürt man das besser als auf der Berlinale, wo die kleinsten Filme in ausverkauften Häusern spielt. Venedig hatte in der Pandemie schon einmal ein Festival ohne Stars. Es war ein guter Jahrgang.

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