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Körperpflege unter Kameraden. Onoda (Yuya Endo) und Kozuka (Tetsuya Chiba) sind die letzten Nachzügler des japanischen Pazifikkrieges.

© Rapid Eye Movies

„Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ im Kino: Die vom Krieg vergessenen Soldaten

Onoda Hiro kämpfte noch 30 Jahre nach der japanischen Kapitulation. Das Abenteuerepos „Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ verklärt den Nationalhelden.

Im Krieg geht es ums Sterben. Für das Überleben ihres Volkes geben die Soldaten letztlich auch ihr eigenes Leben. Der junge Mann, der am Anfang von „Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ betrunken in einer leeren Spelunke randalieren sehen, ist ein gescheiterter Soldat. Denn er lebt noch.

Dezember 1944: Der japanische Leutnant Onoda Hiro (Yuya Endo) leidet an Höhenangst. Als Pilot taugt er deshalb nichts, obwohl das sein Traum war; nicht mal zum Einsatz als Kamikaze-Flieger überwindet er sich. Major Taniguchi (Issey Ogata) liest Onoda in der Kneipe auf. „Es gibt andere Wege zu Stolz und Ehre“, sagt er beinahe liebevoll. Der Ausbilder bereitete eine Gruppe von Außenseitern auf eine schwierige Mission vor: Als Guerilla-Armee sollen sie sich auf den Pazifikinseln verschanzen und den Krieg fortführen, nachdem die Amerikaner diese eingenommen haben. „Wenn Ihr von Kokosnüssen leben müsst, dann esst Kokosnüsse", hämmert der Major seinen Rekruten ein. Hauptsache überleben. „Selbstmord ist euch strengstens untersagt!“

Bis 1974 setzte der japanische Nationalheld Onoda seinen Krieg auf der philippinischen Insel Lubang fort – im Glauben, der Krieg dauere noch an. Bis zum Schluss war er vom Sieg des faschistischen Japans überzeugt. Diese Fantasie Onodas ähnelt anderen alternative history-Entwürfen: von „Er ist wieder da“ über Philip K. Dicks „The Man in the High Castle“ bis zum Computerspiel Wolfenstein“. Was, wenn das Böse wirklich überdauert hätte?

Der Unterschied: Onodas Krieg ging tatsächlich weiter, er hat weiter gekämpft. Das macht einen Film über ihn so reizvoll – und so risikoreich. Onoda verbrannte Felder, versetzte die Insel in Angst und tötete mehr als dreißig Bewohner:innen. Nach seiner Kapitulation 1974 begnadigte ihn, Ironie der Geschichte, der philippinische Diktator Ferdinand Marcos. Bei seiner Rückkehr nach Japan sollen ihn tausende Menschen empfangen haben.

Wilder Westen im Pazifik

Aber auch der Film stilisiert Onoda zum Helden. Er habe Joseph Conrad und Robert Louis Stevenson verschlungen, erzählte der französische Regisseur Arthur Harari in einem Interview; er kehre mit jedem seiner Filme „zum Western zurück“. Schon die 167 Minuten Länge sind eine Ansage: Mitunter fühlt sich der Film wie die dreißig Jahre an, die Onoda auf der Insel verbracht hat.

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Minutiös begleitet Harari den Soldaten bei seiner Mannwerdung: von seiner Entwicklung zum Verantwortungsträger, gefangen ist in faschistischer Tugend, bis hin zu seiner hingebungsvollen Sorge um die Kameraden. Er wird ihnen zu jenem Vater, der sein eigener Major für ihn war. Und für diese Reifung müssen die Männer eben „Feinde“ töten – die natürlich immer als erste schießen. Einen seiner Kameraden durchbohren Fischer gar mit einer Harpune. In der Realität erschoss ihn zwar ein Polizist mit einer Pistole, aber Hararis Faible für den Western überwiegt. „Die Japaner sind in der Harpunen-Szene die Cowboys und die Filipinos die Indianer“, so der Regisseur.

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Sein Film romantisiert den Rassismus der Besatzer und begnügt sich mit verschämten Anspielungen, wenn es um tatsächliche Romantik geht. „Hattest du schon mal was mit einer Frau?", fragt Taniguchi einmal den jungen Onoda. Betretenes Schweigen. Zwischen ihm und dem Major dagegen knistert es: wenn der ihm eine Zigarette anzündet, wenn sie sich verschwitzt gegenüberstehen. Aber auch diese Zärtlichkeit ist nur ein erzählstrategisches Moment in der Entwicklung zum richtigen Mann. Onodas Impotenz verwandelt der charismatische Mentor in Potenz. Der Junge kann zwar nicht fliegen und nicht ruhmreich sterben; aber er siegt auf dem Boden. Er überlebt.

(In den Berliner Kinos b-ware!Ladenkino, Brotfabrik, Il Kino, Zukunft, OmU)

Sexuell explizit macht der Film diese Logik nicht, das könnte das Bild der edlen Kämpfer im Urwald unterminieren. Obwohl der westliche Regisseur seinen fernöstlichen Cowboys auf Schritt und Tritt folgt. Nur einmal wandert kurz eine Hand unter die Decke, kurz vor dem Schnitt.

Dabei beruhen auch die psychologischen Züge Onodas und seiner Männer nicht auf den realen Figuren, wie der Regisseur erklärt. Sondern auf eigenen Erfahrungen. Onodas Autobiografie dagegen hat Harari erst nach Fertigstellung des Drehbuchs gelesen. Um sich die Freiheit zu bewahren, eine Figur zu erfinden. Ein Krieger ist dieser Onoda. Ein Krieger, der eine Insel zur Einschreibefläche für sein koloniales Begehren macht. Und den dieser Film selbst zur Einschreibefläche macht: für einen Traum, den kleine Jungen träumen.

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