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Das damals noch „Orchesterverein Berliner Musikfreunde“ genannte Ensemble 1906 mit Dirigent Max Grünberg in der Berliner Singakademie Unter den Linden, heute Maxim-Gorki-Theater.

©  Orchester Berliner Musikfreunde e.V.

Orchester Berliner Musikfreunde: Talentierte Dilettanten

Mit Leidenschaft dabei: Das Orchester Berliner Musikfreunde ist das am längsten existierende Laienensemble der Stadt. Jetzt feiert es 150-jähriges Jubiläum.

Yukari Ishimoto lässt kurz anhalten. „Bei Takt 263 spielen wir schon più mosso“, ruft die Dirigentin. Und weiter geht’s, mit Edward Elgars erstem Pomp and Circumstance-Marsch. Elegische Streicher, bombastisches Schlagwerk, Paukengegrummel und bestimmt auch jede Menge Glückshormone fluten die Aula der Clara-Grunewald-Schule in Kreuzberg. Sorgfältig und mit viel Geduld feilt Ishimoto am Klang, wiederholt bestimmte Passagen immer wieder, lässt einzelne Stimmen, etwa die Celli, alleine spielen. Das Orchester Berliner Musikfreunde e.V. (OBM) probt für sein großes Jubiläumskonzert am heutigen Sonntag in der Philharmonie. Der Anlass: Das 1866 gegründete Ensemble besteht seit 150 Jahren. Es ist das am längsten existierende Laienorchester Berlins.

Amateur, Laie, Liebhaber – das klingt so abwertend. Doch Profis können eben nur wenige werden. Orchester wie das OBM übernehmen eine wichtige Funktion: Sie sorgen dafür, dass der Umgang mit Musik nicht in eine kleine produzierende Spitzengruppe und einen riesigen konsumierenden Rest zerfällt, sondern breit in der Gesellschaft verankert ist. Hier spielen Menschen, die eigentlich ganz andere Berufe ausüben, ihre Leidenschaft aber trotzdem weiter pflegen wollen. Mehr als 30 Laienorchester in Berlin zählt der zuständige Dachverband, vom Berliner Ärzte-Orchester über das Schmöckwitzer Kammerorchester zum Sinfonie Orchester Tempelhof. Eine tolle Vielfalt. Doch in einer Stadt, in der neben den Philharmonikern mit DSO, RSB und Konzerthausorchester drei weitere Spitzenorchester existieren – die drei Opernhäuser nicht zu vergessen – haben diese Ensembles ein Wahrnehmungsproblem. Was ihrer Rolle nicht ganz gerecht wird.

„Berliner Dilettanten-Orchester-Verein“ – so nannte sich das OBM bei seiner Gründung. Ein Name, der klarmacht, wie sehr Sprache lebt und Begriffe ihre Bedeutung ändern. Denn ein „Dilettant“ war um 1866 ganz und gar kein Stümper. Sondern einer, der sich in der ursprünglichen Bedeutung des lateinischen Wortes delectare einer Sache „erfreut“ – im Englischen wurde daraus „delight“.

Das Milieu, aus dem heraus das OBM entstand, ist sogar noch älter. Seine Wurzeln reichen bis in die Epoche von Goethe, Hegel und den Romantikern, die heute vielen als der Höhepunkt der Berliner Geistesgeschichte gilt. Viele Gründungsmitglieder des OBM haben nämlich vor 1866 in der „Philharmonischen Gesellschaft“ gespielt, die die Konzerte der Berliner Singakademie begleitet hat. Die wiederum wurde damals unter anderem von Felix Mendelssohn Bartholdy geleitet – dessen Grab sich übrigens nur 500 Meter Luftlinie von der Clara-Grunewald-Schule entfernt am Mehringdamm befindet. Und obwohl das Orchester Berliner Musikfreunde, das seinen aktuellen Namen seit 1950 trägt, immer ein Laienorchester war, sind legendäre Namen mit ihm verbunden. So ist der Geiger und Brahms- Freund Joseph Joachim, Gründungsrektor der Berliner Musikhochschule, mit ihm aufgetreten. Und sehr viel später, mitten im Zweiten Weltkrieg, hat der junge Sergiu Celibidache, damals Student an eben jener Hochschule, das Orchester für zwei Jahre geleitet, bevor er als Vertretung für den wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus geächteten Wilhelm Furtwängler Interimschef der Berliner Philharmoniker wurde. Celibidaches Nachfolgerin Yukari Ishimoto leitet das Orchester seit 2003, als Nummer 21 auf dieser Position – und als erste Frau. Zwei große Konzerte im Jahr veranstaltet das OBM, in der Philharmonie und in einer der akustisch gut aufgestellten Berliner Kirchen, etwa der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem, die die Philharmoniker mit ihren Aufnahmen legendär gemacht haben.

Klarinettist Rainer Vogt ist seit 1969 dabei.
Klarinettist Rainer Vogt ist seit 1969 dabei.

© Georg Moritz

Einer, der sich exzellent auskennt in der Geschichte des Orchesters, ist der Klarinettist Rainer Vogt. Er ist seit 1969 dabei, am zweitlängsten überhaupt, und hat schon zum 125. Jubiläum im Jahr 1991 die Festschrift verfasst. „Damals bat ich Celibidache um ein Grußwort“, erzählt Vogt. „Es war schwierig, ihn überhaupt ans Telefon zu bekommen. Als ich es endlich geschafft hatte, lehnte er ab mit den Worten: ,Ich bin ein alter Mann, der viele Feinde hat, und will nur in Frieden leben.‘“

Auch an der aktuellen Festschrift hat Vogt wieder mitgearbeitet. Der 67-Jährige studierte Klarinette und Schulmusik an der Berliner Musikhochschule (heute UdK) und war Musiklehrer am Rückert-Gymnasium. Keine ungewöhnliche Biografie beim OBM. Auch Roswitha de la Chevallerie war Musiklehrerin. Die 80-Jährige mit den hugenottischen Vorfahren sitzt an der Pauke, ein Instrument, dessen Qualitäten sie erst spät – mit 60 Jahren – entdeckt hat. Jetzt schwärmt sie von der Hilfsbereitschaft untereinander und einer Freundlichkeit, die nicht Nachlässigkeit bedeutet: „Beim Konzert gibt jeder sein Letztes.“

Clement Bader ist mit 15 Jahren der derzeit jüngste Musiker im Orchester.
Clement Bader ist mit 15 Jahren der derzeit jüngste Musiker im Orchester.

© Georg Moritz

Das OBM ist alles andere als ein Seniorenorchester. Vielmehr bildet es die ganze Breite der Gesellschaft ab. Clement Bader am Schlagzeug ist aktuell mit 15 Jahren das jüngste Mitglied. Jeder kann mitmachen, Probespielen gibt es nicht. Reicht das eigene Können nicht aus, merkt der- oder diejenige das meist schnell selbst. Niemand wird rausgeschmissen, weil er etwa ein bestimmtes Alter erreicht hat. „Wir hatten einen ungarischen Bratscher in unseren Reihen, der mit 90 gestorben ist“, erzählt Rainer Vogt. „Der hat sich zu jeder Probe die Treppen raufgequält, Kollegen haben ihm die Bratsche getragen und auch schon mal die Finger auf die Saite geschoben. Aber es hat ihn am Leben erhalten.“ Klar, manche jüngeren, ambitionierten Musiker bleiben weg, wenn sie so etwas sehen. Das ist der Preis der Solidarität. Das Orchester bezahlt ihn gern.

Ein Talentepool, auch das kann ein Laienensemble wie das OBM sein. Manch Solist, der hier aufgetreten ist, hat anschließend große Karriere gemacht: Geiger Renaud Capuçon, Sopranistin Claudia Bareinsky oder Cellist Wen-Sinn Yang. 1989 hat er Schumanns Cellokonzert mit dem OBM gespielt, zum Jubiläumskonzert kehrt er zurück mit Dvoraks Cellokonzert. Dazu noch Schumanns 3. („rheinische“) Symphonie und eine eigens für das OBM geschriebene Fanfare von Yoko Wylega, die zuvor bereits zwei Werke für das Orchester komponiert hat. Es sind solche Wegbegleiter, an denen es dem Orchester Berliner Musikfreunde auch in Zukunft nicht mangeln dürfte.

Jubiläumskonzert am Sonntag, 13. März, 15.30 Uhr, Philharmonie. Festschrift mit Programm 3 €

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