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Fürsorge. Performerinnen, die sich über eine Landkarte bewegen, balancieren auf dem Kopf Blumentöpfe mit Nachtjasmin.

© Wim van Dongen

Otobong Nkanga im Gropius Bau: Allgegenwärtiger Atem

Otobong Nkanga war immer wieder zu Gast in Berlin. Jetzt zeigt die Künstlerin im Gropiusbau endlich eine große Werkschau.

Sie ist zurück: Otobong Nkanga zeigt eine Werkschau im Gropiusbau, wo sie 2019 als Stipendiatin zu Gast war, und präsentiert damit erstmals in einem Berliner Haus konzentriert die Bandbreite ihres Schaffens. „There`s No Such Thing As Solid Ground“, heißt die Ausstellung – „So etwas wie festen Boden gibt es nicht“.

Und so geht es luftig zu, vor allem in Nkangas neuer Arbeit, einer Klanginstallation mit einer Komposition für einen Saal mit nichts darin als roten Sitzwürfeln. Im Gehen allerdings ist das 20-minütige Stück besser zu hören: Dann lassen sich die vielen Stimmen genau unterscheiden, mit denen Nkanga hier auftritt.

Sie singt, sie schimpft, sie schluchzt, sie lacht, schnattert und schnalzt: „Wetin You Go Do? Oya Na“ („Was wirst du tun?“) vertont gefühlsgeladene Reaktionen auf den Eindruck, dass die Welt aus den Fugen gerät.

Sieben Räume im ersten Stock und einen Saal im Erdgeschoss umfasst die Schau der 1974 in Nigeria geborenen Künstlerin aus Antwerpen. Das Spektrum reicht von den weniger bekannten Zeichnungen über Performance und Installationen bis zu Gedichten.

Gropiusbau-Direktorin Stephanie Rosenthal und die kuratorische Referentin Clara Meister haben Arbeiten ausgewählt, die verdeutlichen sollen, dass Nkanga Erde und menschliche Körper zusammendenkt. Als Leitmotive des Werks führen sie „Fürsorge“ und „Reparatur“ ein, zwei in Pandemie und ökologischer Krise dringend notwendige Tätigkeiten.

Hartes und fremdbestimmtes Arbeitsleben

Tatsächlich findet Nkanga atemberaubend schöne Bilder dafür. Im dritten Saal beispielsweise erwarten die Besucher zwei Performerinnen, die sich behutsam über eine abstrahierte Landkarte auf dem Boden bewegen. Beide balancieren auf dem Kopf einen Blumentopf mit Nachtjasmin. Anstrengend muss das sein, doch mal summen sie, mal tappen sie leichtfüßig mit der Schuhspitze auf den Boden.

Aber warum sollten es wieder einmal Frauen sein, die sich um Pflege kümmern, die hegen, was wie der Nachtjasmin auf andere Kontinente verbracht wurde, damit es dort neu Wurzeln schlage? Ihre Fähigkeit, Leben auf die Welt zu setzen, zwinge Frauen dazu, sich mit Fürsorge auseinanderzusetzen, sagt Nkanga. Selbstverständlich sei es jedoch besser, wenn auch Jungen lernen würden, fürsorglich zu sein.

[Gropiusbau, Niederkirchnerstr. 7, Kreuzberg, Sa-Mi 10-19, Do/Fr 10-21 Uhr, Eintritt 15/ 10 Euro, bis 16 J. frei, Online-Buchung erforderlich: www.berlinerfestspiele.de, bis 13.12.]

Sonst geht es weiterhin zu wie in „Solid Maneuvers“ (2015). Die fragile Plastik aus geschichteten Scheiben verschiedenfarbiger Materialien gleicht einer geschundenen Berglandschaft, in der nach Rohstoffen geschürft wird. Verstreut liegen feine, sandähnliche Körner, Relikte einer Performance, die in einem Film an der Wand zu sehen ist.

Nkanga erzählt darin von einem harten, fremdbestimmten Arbeitsleben, das keinen Spielraum für Veränderungen lässt, weil der Lohn nur knapp fürs Überleben reicht. Das Gegenteil von Fürsorge und Reparatur ist hier die Ausbeutung von Mensch und Natur.

Leitmotiv ist der Atem

In Berlin hat Otobong Nkanga mehrmals gewohnt: zuerst 2013 als Gast des Künstlerprogramms beim DAAD, mit einem Auftritt in der Akademie der Künste, es folgten Teilnahmen in der DAAD-Galerie, an der 8. Berlin Biennale und am „Herbstsalon“ des Gorki-Theaters, wo sie Besucher in Unterhaltungen verwickelte. Ihre wiederkehrenden Aufenthalte in der Stadt belegen, wie hiesige Institutionen Kontakt zu auswärtigen Künstlern verstetigen.

Im Gropiusbau erinnern zudem die Kolanüsse auf Zeichnungen und einem Teppich an eine Performance im Projektraum Savvy, damals noch in Neukölln. In konzentriertem Gespräch berichtete Nkanga vom Gebrauch der Kolanuss sowie ihrer Kindheit in Nigeria und ließ das Publikum von der koffeinhaltigen, bitteren Frucht probieren.

Die Beteiligung Dritter gehört immer wieder dazu. Für die Documenta 14 ließ sie in Athen Seifen aus Rohstoffen der Mittelmeerregion fertigen und in Kassel von geschulten Performerinnen verkaufen. Bis heute geht der Erlös aus den Seifen an eine Stiftung, die in Nigeria Wissen über Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln soll. Der Saal im Erdgeschoss gibt einen Einblick in das Projekt namens „Carved to Flow“.

Als Leitmotiv der Ausstellung schließlich entpuppt sich der Atem. Das Wort „Breath“ ist allgegenwärtig: ob eingewebt in Stoff, ob Nkanga in dem Film Sand aushustet, oder ob ein Kompressor keuchend Druck aufbaut. George Floyds Hilferuf „I can’t breath“ dagegen, die neue Losung der Black-Lives-Matter-Bewegung, taucht in dieser Ausstellung nirgends auf. Aber sie schwingt immer mit.

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