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Denkmalpfleger Viollet-le-Duc auf dem Ausstellungsplakat.

© Cité Chaillot

Pariser Ausstellung zu Eugène Viollet-le-Duc: Der Nachbaumeister

Eugène Viollet-le-Duc wollte das Mittelalter für die Moderne fruchtbar machen. Eine Ausstellung in Paris würdigt das Lebenswerk des französischen Baumeisters, Denkmalpflegers und Theoretikers.

Mit dem Ende der Herrschaft Napoleons 1814/15 kam die Restauration, und Frankreich besann sich auf die 20 Jahre lang verachtete Vergangenheit. Überall entstanden Kommissionen für Altertümer – jene, die teils sogar geschleift worden waren wie die riesige Anlage des Klosters von Cluny. In dieser Zeit wuchs Eugène Viollet-le-Duc (1814–1879) auf, ein zeitlebens enorm arbeitsamer Mann, der sich umfassende Kenntnisse der Architektur, aber auch der Geologie auf zahlreichen Reisen durch Europa erwarb.

Im Geist der zeitgenössischen Romantik bildete sich, mit dem Wort Prosper Mérimées, die Idee der „lokalen Farbe“, ein pittoreskes Erbe als Ruhepunkt nationaler Identitäten. 1843 schrieb Viollet-le-Duc: „Es gibt keine Kathedrale nach Chartres! Dort habe ich wahrlich verspürt, was Architektur ist. Es schien mir, dass alle meine jugendlichen Träume Wirklichkeit geworden seien.“

Viollet-le-Duc hatte seine Bestimmung gefunden. Dem Lebenswerk dieses für das französische 19. Jahrhundert bedeutendsten Baumeisters, Denkmalpflegers und Theoretikers ist eine Ausstellung im französischen Architekturmuseum gewidmet, der Cité de l’architecture in Paris. Bis heute prägt er die Diskussion über Denkmalpflege westlich des Rheins.

Viollet-le-Duc und die "Vermittelalterlichung" der Kirche

Die Baustelle von Notre-Dame wurde zum leuchtenden Beispiel der Ideen Viollet-le-Ducs in Sachen Restaurierung und Städtebau. Hier konnte er die später in seinem „Dictionnaire“ erläuterten Prinzipien anwenden. Diese Zeit wird durch das mannshohe Modell des Kirchenbaus von 1843 dokumentiert, das die Ambitionen Viollet-le-Ducs einer vollständigen „Vermittelalterlichung“ der Kirche zeigt. In seinem zehnbändigen „Wörterbuch der französischen Architektur“ schrieb er später: „Ein Gebäude zu restaurieren, heiß nicht, es zu erhalten, zu reparieren oder wieder aufzubauen. Es bedeutet, es in einen vollständigen Zustand zu versetzen, der so vielleicht zu keinem Zeitpunkt je existiert haben mag.“ Dagegen sprach Victor Hugo von der Schönheit eines gealterten Bauwerks, der man „nichts hinzufügen“ solle; und Viollet-le-Ducs englischer Zeitgenosse John Ruskin vertrat als Verfechter des ausschließlichen Konservierens historischer Bauten eine Gegenposition, die an den romantischen Historismus Hugos anschloss.

Viollet-le-Ducs Stilempfinden ließ ihn ein ideales Mittelalter erfinden, das im öffentlichen Bewusstsein durch den Profanbau einer Burg gekennzeichnet ist. In der Anlage von Pierrefonds errichtete er sie buchstäblich von Grund auf neu. Die von ihm definierten Bautypen bestimmen bis heute das Bewusstsein des nationalen kulturellen Erbes. Dazu zählt, dass er das Museum vergleichender Skulpturen gegründet hat, mit Gipsabgüssen aus allen Regionen des Landes, um die Einheit und Vielfalt des französischen Patrimoniums zu veranschaulichen.

Sakrale Baukunst: eine Sache der technischen Vernunft

An der Gotik interessierte ihn die Rationalität der Konstruktion. Er versuchte sie für seine Gegenwart fruchtbar zu machen, indem er aus Gusseisen konstruierte Kirchen entwarf, die gotische Formen nicht nachahmen, sondern mit den Möglichkeiten des neuen Materials weiterentwickeln. Er war seit Kindertagen ein vorzüglicher Zeichner, und die Ausstellung dokumentiert dies in ungeheurer Detailgenauigkeit realer oder auch imaginierter Bauten. Zugleich war er als Gestalter tätig, darin der von Ruskin vertretenen Arts-&-Crafts-Bewegung verwandt. Wiederum aber wollte er das Mittelalter nicht nachahmen, wie dies die viktorianische Gotik kennzeichnet, sondern für die Moderne fruchtbar machen. So entwarf er für Napoleon III. die Wagen eines kaiserlichen Eisenbahnzugs samt hochmoderner Beleuchtung. Gerade die Wiederherstellbarkeit der Vergangenheit war für ihn Ausweis der Moderne. Nie zuvor in der Geschichte war dies unternommen worden.

Viollet-le-Duc war übrigens selbst streng laizistisch, er verbat sich sogar testamentarisch ein christliches Begräbnis. Für ihn war die sakrale Baukunst ausschließlich eine Sache technischer Vernunft – zu einer Zeit, da überall in Europa der Historismus in den Formen gleich welcher Vergangenheit schwelgte. Für die Denkmalpflege in Deutschland wurde er zum Hauptfeind, und man kann Ludwig Dehios Ausruf von 1900, „konservieren, nicht restaurieren!“, nur vor dem Hintergrund des enormen, anhaltenden Einflusses von Viollet-le-Duc verstehen. Schon vor diesem Hintergrund ist die Pariser Ausstellung auch für deutsche Besucher ein Ereignis.

Paris, Cité de l'architecture (im Palais de Chaillot), bis 9. März. Katalog 38 €

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