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George Harrison in Miami Beach im February 1964, aufgenommen von Paul McCartney.

© REUTERS/COPYRIGHT PAUL MCCARTNEY

Paul McCartneys Fotos in der National Portrait Gallery: Als die Beatlemania begann

1963 und 1964 eroberten die Beatles die USA, und Paul McCartney hatte sich gerade eine Kamera gekauft und schoss Fotos über Fotos. 250 davon zeigt jetzt eine sensationelle Londoner Ausstellung.

Da ist ein Foto aus dem Februar 1964, vom Rücksitz eines fahrenden Autos aufgenommen in der West Fifty-Eighth Street in Manhattan, beim Überqueren der Avenue of the Americas: Man sieht junge Menschen, wie sie durch die New Yorker Straßenschlucht jenem Wagen hinterherhetzen, in dem ihre Idole sitzen.

Die Beatles sind gerade in den USA angekommen, nur wenige Monate nach der Ermordung John F. Kennedys, kurz nach ihrem ersten Nummer-Eins-Hit in den Staaten. Den Auftritt der Band in der Ed-Sullivan-Show erleben 73 Millionen Menschen an den Bildschirmen, ein Rekord. Die Euphorie lässt sich von Hysterie kaum noch unterscheiden.

Das, was von den Medien als Beatlemania diagnostiziert wird, zeigt hier die ersten richtig starken Symptome. Das Bild dokumentiert etwas Unmittelbares, Ausschweifendes, Unkontrollierbares, der Enthusiasmus ist geradezu greifbar – und zugleich weiß man um die Kehrseite dieser Erregung öffentlicher Begeisterung: Das Auto ist ein Fluchtwagen. Für die Beatles wird es fortan nirgendwo auf der Welt mehr Anonymität geben, ihre Anhänger sind ihnen überall auf den Fersen.

1963 legte sich McCartney eine Pentax zu

Wenn sie Ruhe haben wollen, müssen sie sich zu viert ins fensterlose Bad des Hotelzimmers zurückziehen, um dem Gekreische auf der Straße wenigstens kurz zu entkommen. Sechzehn Jahre später, im Dezember 1980, wird ein verwirrt-verirrter Fan John Lennon erschießen, nur ein paar Blocks entfernt von der Stelle, an der vom Fond des Autos aus fotografiert wurde.

Das Besondere an diesem Bild: Keiner der Paparazzi in der Entourage der Beatles hat es geschossen, sondern Paul McCartney höchstselbst. Im Herbst 1963 hatte er sich eine Pentax 35mm zugelegt, eine bei Reportern und hippen Modefotografen angesagte japanische Kamera, die sehr flexibel und einfach zu bedienen war. David Bailey, Vorbild für den Szenefotografen in Michelangelo Antonionis „Blow Up“, knipste sich damit durch Swinging London.

McCartney nahm die Pentax mit auf eine Reise, die die Beatles zwischen Dezember 1963 und März 1964 von Liverpool über London, Paris, New York, Washington D.C. bis nach Miami führte – und in eine ganz neue Umlaufbahn ihrer Karriere katapultierte. Mehr als tausend Fotografien sind in gut drei Monaten entstanden, 250 davon werden nun in der nach dreijähriger Renovierung gerade erst wiedereröffneten National Portrait Gallery in London gezeigt. Tiefer in den inneren Zirkel der Beatles jener Jahre konnte man bislang kaum vordringen. „Eyes of the Storm“ – „Augen des Sturms“ heißt dementsprechend die wunderbar kuratierte Ausstellung (und der sie begleitende Fotoband, der bei C.H. Beck auf Deutsch erschienen ist).

Der Beatle hatte seine Fotos vergessen

Fast sechs Jahrzehnte lang lagerten die Negative und Kontaktabzüge in einem privaten Archiv. Sogar McCartney selbst hatte vergessen, dass er sich einmal als Fotograf versucht hatte. Bei einer Aufräumaktion während der Pandemie kamen sie wieder zum Vorschein; es wurden erstmals sorgfältig bearbeitete Papierabzüge angefertigt – eine Zeitreise, nicht zuletzt für den Fotografen selbst. Wer allerdings vermutet, es handele sich dabei lediglich um dilettantische Schnappschüsse eines berühmten Musikers, der liegt ziemlich falsch.

Paul McCartney hatte von allen Beatles nicht nur die weitreichendsten musikalischen Interessen, die bis zu Neuer Musik und Stockhausens elektronischen Experimenten reichten. Ihn faszinierten früh schon bildende Künstler, avantgardistisches Kino, moderne Literatur. McCartney dürfte sich also ziemlich bewusst darüber gewesen sein, was er tat. Seine Fotos greifen die Ästhetik der damaligen Jahre auf. Und er lernte von den Fotografen, die den Beatles nahe waren und ikonografische Bilder schufen – von Dezo Hoffmann oder Robert Freeman, der das Coverfoto des Albums „With the Beatles“ fertigte und dabei formal auf die Nouvelle Vague und den Pariser Existenzialisten-Chic zurückgriff.

In der McCartney-Ausstellung in London

© Ulrich Rüdenauer

McCartney hatte als Fotograf den enormen Vorteil, nicht von außen auf die Beatles blicken zu müssen, sondern als Teil der Gruppe zu wissen, wie es sich im Zentrum des Sturms anfühlte. Neben John, George und Ringo portraitiert er Menschen aus dem Umfeld der Band: Manager Brian Epstein, Cynthia Lennon oder McCartneys Freundin Jane Asher, den treuen Roadie Mal Evans und Pressesprecher Tony Barrow, die Sängerinnen Cilla Black oder Sylvie Vartan, mit denen die Beatles gemeinsam auftraten. Das Schwarzweiß trägt zu einer gewissen Stilisierung bei; die dunklen Töne illustrieren zugleich die Tristesse eines Nachkriegsenglands, das erst langsam durch die von den Beatles mitinitiierte Poperuption bunter wurde. Enge Backstage-Räume, karge Hinterhöfe, graue Straßenzüge – alles erscheint ein wenig dicht und bedrängend.

Wie schnell sich das änderte, eine Kulturrevolution angezettelt wurde – die Fotos deuten das an. Die jugendliche Aufregung ist den Beatles ins Gesicht geschrieben, aber durchaus auch das Erstaunen. Die gerade mal Volljährigen (George war es noch nicht einmal) wirken offen und ungeschützt, die Stimmung ist ausgelassen, manchmal ein bisschen melancholisch. Als würden sie ahnen, dass mit dem wachsenden Erfolg zugleich das Unschuldige ihres Tuns verloren gehen könnte. Immer sind die Porträtierten präsent, immer sehr cool, ohne sich dabei zu verstellen. Immer ist da etwas in Bewegung. Manche der Fotos sind unscharf – es gab keine Ruhe für Inszenierungen.

John Lennon und George Harrisson.

© Paul McCartney/C.H. Beck/Paul McCartney/C.H. Beck

Die USA waren der Höhepunkt dieser Reise in eine andere Sphäre des Ruhms: Wer es hier schaffte, war ganz oben. Und die Beatles stiegen noch ein bisschen höher als alle vor ihnen. Auf den Flughäfen warteten Tausende von Fans und Hunderte von Fotografen – McCartney richtete die Kamera nun auf die, die ihn anblickten. Perspektiven verschieben sich, das Kameraauge verliert sich in größeren Räumen, die übermächtige Weite des Landes findet sich in großformatigeren Bildern wieder.

Einen stärkeren Kontrast zur Liverpooler Beengtheit lässt sich kaum denken – hier kleinteilige Snapshots, dort Cinemascope. Auf dem letzten Abschnitt der Reise wechselte McCartney zum Farbfilm: Tage am Meer und am Pool in Florida, Fans, die „I love you, Paul“ in den Sand schreiben, der fantastisch aussehende George Harrison mit dunkler Sonnenbrille, der sich einen Drink reichen lässt. Die Farben explodieren wie in einem Elvis-Blockbuster aus diesen Jahren. „A Hard Day’s Night“ und „Help“ – die beiden so unterschiedlichen Beatles-Filme von Richard Lester – scheinen da in der Entwicklung der Bildästhetik von Paul McCartneys Fotos schon vorweggenommen.

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