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Philharmonie: Vater und Sohn Rattle

Jetzt gibt es zwei Rattles in Berlins Klassikszene: Sir Simon dirigiert Schönberg, Sacha spielt Mozart.

Am Donnerstag konnte daddy beim Auftritt seines begabten Sohnes leider nicht mit dabei sein. Denn Sir Simon hatte da selber ein Konzert in der Philharmonie zu leiten (siehe unten). Und auch wenn Sacha Rattle am heutigen Samstag Mozarts Klarinettenkonzert ein weiteres Mal im Kammermusiksaal spielt, steht der Vater wieder nebenan im großen Saal auf dem Podium. What a pity, denn sein 26-jähriger Filius aus erster Ehe führt sich beim Debüt in der Dahlemer Jesus-Christus-Kirche souverän in die Berliner Klassikszene ein.

Seit 2005 studiert Sacha Rattle an der Musikhochschule „Hanns Eisler“, unter anderem beim philharmonischen Solo- Klarinettisten Wenzel Fuchs. Im Zusammenspiel mit dem Ensemble „Sinfonietta 92“ erweist sich der Lockenkopf mit dem Dreitagebart und der markanten schwarzen Brille als echte Entdeckung. Als interpretatorischer Impulsgeber, der ein ganzes Ensemble mitreißen kann. Seine Melodielinien haben stets Ziel und Kontur, im Adagio kann er seine Böhm-Klarinette wunderbar funkeln lassen wie ein Stern in wolkenloser Sommernacht, in den schnellen Ecksätzen zeigt er nicht allein Virtuosität, sondern vor allem auch einen ausgeprägten Sinn für das, was Claudio Monteverdi einst recitar cantando nannte: das erzählende Singen.

Dirigent Yordan Kamdzhalov und das seit 1992 bestehende Liebhaberorchester halten sich bei Mozart bescheiden im Hintergrund, zeigen aber mit den übrigen Werken des Programms Profil: Mit kleinen, präzisen Bewegungen evoziert der junge bulgarische Maestro bei Dvoraks „Tschechischer Suite“ ein lichtes, filigranes Klangbild. Ein amuse oreille für alle Fans französischer Musik schließlich ist Albert Roussels „Petite Suite“ von 1929, dessen großstädtischen Konversationston die Musiker mit höchster Konzentration einfangen. Frederik Hanssen

Musik von und mit Arnold Schönberg spielen die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle. Von Schönberg stammt sie, weil dieser die fein zerstiebende, Gefühle nur andeutende, klanglich erst nach und nach sich anreichernde „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ op. 34 tatsächlich selbst komponiert hat, ebenso das Monodram „Erwartung“ op. 17, das irrläufernde Selbstgespräch einer Frau, die sich wegen ihres toten Geliebten zerfetzt: Evelyn Herlitzius, die der Partie ihren stark glänzenden, stark schwingenden Sopran leiht, bringt ihre eigene Hochspannung erst allmählich, so scheint es, mit der des Monologes zusammen.

Unschönbergisch im doppelten Sinne gibt sich der dritte Programmpunkt: Mit der Bearbeitung von Brahms’ erstem Klavierquartett hat Schönberg das Selbst- Schreiben verweigert und zugleich eine Musik geschaffen, die weder nach Brahms klingt noch nach ihm selbst. Eher schon nach Schönberg, dem Arrangeur, der er immerhin auch oft gewesen ist. Denn so dicht knüpft er hier die Farbfäden des Orchesters, in so rascher Folge sind unterschiedlich instrumentierte Wiederholungen, Auszierungen, Steigerungseffekte zu hören, dass man kaum schnell und umfassend genug zuhören kann – wie in einer bilingualen Familie, in der Sätze in einer Sprache begonnen und der anderen vollendet werden.

Der für seine Modernität in formal-konstruktivistischen Fragen bewunderte Brahms verwandelt sich unter Schönbergs Hand in einen extrem chromastarken Komponisten, nicht erst im letzten Satz, dem Edel-Spielmannszug des „Rondo alla zingarese“ mit seinen Triangel- und Glockenspieleinwürfen, den dicken Basspartien und schneidigen Pizzicati. Christiane Tewinkel

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