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Philipp Lachenmann in der Schering-Stiftung: Farbiges Geäder

Mit der Ausstellung des Berliner Künstlers in der Schering-Stiftung gibt Leiterin Heike Catherina Mertens nach elf Jahren ihren Abschied.

Das Bild ist überwältigend: wie eine gewaltige Iris, ein riesiges technisches Sehorgan, auf dessen Mitte von allen Seiten Kabel zulaufen. Plötzlich tritt ein weiß gewandeter Sarod-Spieler vor den Partikeldetektor des Genfer CERN, schreitet zum Tisch, der ganz banal vor der Ehrfurcht gebietenden Apparatur aufgestellt ist. Der indische Musiker streift die Pantoffeln ab, lässt sich im Schneidersitz auf dem Tisch nieder und beginnt zu spielen, immer schneller, immer selbstvergessener.

Auf einmal pulsieren die Kabel, Farbe dringt durch die Röhren wie offenes Geäder. Strangweise wandeln sie sich von Rot, Blau, Grün, Violett zu Gelb, schließlich faserweise gemischt. Hier wird Goethes Farblehre durchkonjugiert, die Kunstgeschichte vom Venezianisch-Rot der Renaissance bis zum Technicolor- Spektrum der frühen Farbfilme wie „Der Zauberer von Oz“ als optisches Spektakel durch die Bahnen gepumpt.

Philipp Lachenmanns Videoinstallation „Delphi Rationale“ ist ein Tusch auf Farbe und Ton, Mythos und Mathematik, Technik und Intuition. In seinem Werk prallen Welten zusammen, das Improvisierte der Musik mit der Berechenbarkeit der Materie, denn am CERN wurde 2012 das Higgs-Boson entdeckt, das den Ursprung aller Materie erklärt. Wie passend, dass der Detektor Delphi heißt nach jenem griechischen Ort, wo das Orakel gesprochen wird und sich der Nabel der Welt befinden soll. Die Bezüge für Lachenmanns komplexes Werk mäandern immer weiter aus, zusammengehalten wird sein zwölfminütiger Film durch das reine Seherlebnis.

Für die Galerie der Schering-Stiftung ist „Delphi Rationale“ eine Idealbesetzung. Hier kreuzen sich seit 2009 Kunst und Wissenschaft. Elf Jahre lang leitete Heike Catherina Mertens hier die Geschicke, animierte sie Carsten Höller, Carsten Nicolai, Haroon Mirza zum interdisziplinären Dialog und schenkte der Stadt einen der anregendsten Orte. Sie initiierte Kooperationen mit anderen Institutionen, baute eine hauseigene Sammlung für das Kupferstichkabinett auf, begründete einen Kunstpreis. Mit Lachenmanns Ausstellung gibt Mertens ihren Ausstand, die Kunsthistorikerin wechselt als Programmleiterin zum HatjeCantz Verlag. Ihre Arbeit setzt Christina Landbrecht fort, die bereits zur Mannschaft gehört. Lachenmanns Werk mit all seinen Anknüpfungspunkten bildet die perfekte Brücke.

Schering-Stiftung, Unter den Linden 32–34, bis 24. 6.; Do–Mo 13–19 Uhr.

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