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Kultur: Pirouetten der Straße

Im Palast der Republik kämpften Breakdancer um den Weltmeistertitel – inoffiziell. Denn es traf sich der Untergrund

Am Ende war es dann doch eine kleine Sensation: Ein zierlicher französischer Brillenträger mit Asthmabeschwerden entschied die inoffiziellen Breakdance- Weltmeisterschaften im Palast der Republik für sich. Der 21-jährige Lilou hatte seinen Konkurrenten Hong 10 aus Südkorea im Finale mit unglaublichen „Power- Moves“, wie in der Breakdance-Sprache halsbrecherische akrobatische Einlagen genannt werden, vor unlösbare Aufgaben gestellt. Die Kampfrichter entschieden sich mit fünf zu null Stimmen für Lilou. Dem Südkoreaner blieb nur die höfliche Verbeugung vor dem neuen B-Boy- Star. Tausend Jugendliche im neben dem Volkskammersaal errichteten Amphitheater tobten. „Liiiilouuu, Liiiilouuu“ hallte es von schweren Beats begleitet durch das entkernte, nur noch aus Stahl und Beton bestehende Gebäude.

Wie es sich für HipHopper gehört blieb Lilou cool, griff sich in den Schritt – so als ob er von Anfang an damit gerechnet hatte, die 15 Konkurrenten aus neun Ländern hinter sich zu lassen. Süffisant lächelnd nahm das schmächtige Männlein aus Lyon den protzigen Siegergürtel entgegen und wurde mit dem Inhalt einer Fünfliterflasche Champagner übergossen. Woraufhin Lilou erst einmal seine Brille mit einem Palästinensertuch putzte. Es war das Abschiedsbild einer Auseinandersetzung, die vom österreichischen Energy-Drink-Hersteller Red Bull organisiert worden war („... verleiht Flügel“). Viele der 18- bis 22-jährigen Breakdancer schienen zeitweise Isaac Newton widerlegen zu wollen, zeigten Saltos, standen auf ihren Ellenbögen und machten einarmige Handstände bei denen jedes über dem Boden befindliche Körperteil schnellstmöglich miteinander verknotet wurde. Ja, es gibt sie noch immer, diese eigenartige Selbstverwandlung von Straßenkids in wirbelnde Wischmopps, die Anfang der Achtzigerjahre als Ableger der Rap-Kultur ihre Blütezeit erlebte. Vorwiegend Schwarze und Latinos improvisierten in New York meist unter freiem Himmel oder in U-Bahn-Tunneln, in denen die krachend- scheppernden Beats aus monströsen Kassettenrecordern widerhallten, roboterhafte Tänze. Ursprünglich entstand das so genannte „B-Boying“ – das B steht für Breakdance – schon Anfang der Siebzigerjahre, inspiriert von den Tanzschritten des Funk-Sängers James Brown.

„B-Boying“ war insbesondere für die Ghettokinder der großen Städte anziehend, weil es offen war. Alles ließ sich integrieren, von Yoga bis Kung-Fu. Der Erfindungskunst sind bis heute keine Grenzen gesetzt. Das Motto lautete wie beim Rappen: einfach loslegen, machen, es gibt keine Autoritäten. Filme wie „Flashdance“ und „Beat Street“ trugen zur Popularisierung der Bewegungsstile bei. Es bildeten sich Breakdance-Teams, wie die 1977 gegründete „Rock Steady Crew“. Tanz-Wettkämpfe ersetzten teils bewusst symbolisch die gewalttätigen Auseinandersetzungen unter den Straßengangs und Jugendbanden.

Doch so schnell wie Breakdance in den Achtzigern als Messenbewegung populär geworden war, so schnell verschwand es auch wieder – blieb eine kuriose Episode der Popkultur so wie schultergepolsterte, mintfarbene Herrenjacketts. Ein Grund für die fehlende Aufmerksamkeit mag gewesen sein, dass mit Breakdance kein bestimmtes Produkt vermarktet wurde – anders als bei vergleichbaren, Musik mit Sport verknüpfenden Jugendkulturen wie Skateboarden oder Snowboarden, an deren akrobatischen Kunststücken eine ganze Industrie mitverdient.

Modisch zeichnete sich die Szene bis heute durch das Tragen von Turnschuhen, Baseballkappen und bequemer Trainingsanzüge aus. Und die Szene ist lebendiger denn je. Breakdance hat im Zuge der rasanten Verbreitung von HipHop und seinen Moden unter den 12- bis 21-Jährigen Anhänger gefunden. Berlin ist eine Hochburg dieses Trends, obwohl das platzraubende Breakdancen in vielen Diskos verboten ist. Eine Truppe wie die Flying Steps, 1993 gegründet, gewann vor fünf Jahren mit der Battle of the Year eine der wichtigsten Wettkämpfe der Zunft. Danach haben sie den Anschluss verpasst, wie überhaupt kein einziger Berliner in diesem Jahr um den Weltmeisterschaftstitel pirouettierte.

Viele der klassischen Schritte wie den Six-Step oder Figuren wie die Windmühle, bei der man sich mit wachsendem Tempo auf dem Rücken dreht, haben sich bewahrt. Doch das ganze ist viel akrobatischer geworden, gleicht anspruchsvollen bodengymnastischen Übungen. Früher undenkbare Kombinationen, Sprünge und Verknotungen gehören nun zum Standardrepertoire. "Mittlerweile kann man sogar von Leistungssport sprechen“, sagt Thomas Hergenröther. Der Breakdance-Veteran aus Hannover war künstlerischer Leiter des Kräftemessens in Berlin. „Viele trainieren stundenlang und mit Anfang 30 sind die Gelenke im Eimer.“

Moderiert wurde die Veranstaltung vom Rap-Musiker Rahzel von der HipHop-Band Roots aus Philadelphia. Im Stile eines Ringsprechers kommentierte der schwere schwarze Mann mit tief ins Gesicht gezogener Basecap die Tanzduelle, martialisch „One-to-One Battles“ genannt, forderte die B-Boys pathetisch auf, sich gegenseitig zu „eliminieren“. Um das runde, spiegelglatte Podest auf dem diese „Schlachten“ ausgetragen wurden, tigerte die Fotografin Martha Cooper. Sie dokumentiert seit 25 Jahren die HipHop-Straßenkultur und gilt als eine der wichtigsten Chronisten der Bewegung.

Der 36-jährige Hergenröther hat die 16 B-Boys ausgesucht. „Sie bilden die absolute Weltspitze“, schwärmt er auf dem Dach des Palastes der Republik, wo die Jungs am Tag vor der Entscheidung für einen Werbefilm posieren. Für einige ist Breakdance nicht nur Freizeit. Sie arbeiten als Tänzer bei Tanztheatern, sind in Videoclips und in der Werbung zu sehen. Andere haben eigene Tanzschulen. „Man darf den sozialpädagogischen Aspekt nicht aus den Augen verlieren“, sagt Hergenröther. „Man holt schwierige Jugendliche von der Straße und gibt ihnen die Möglichkeit, sich sportlich-künstlerisch auszudrücken.“

Tatsächlich geht es außerordentlich fair zu. Die Tänzer provozieren sich gestisch, doch das ist Teil eines machohaften Gehabes, das den HipHop insgesamt charakterisiert. Neben Lilou sind Sonic, ein charmanter Kolumbianer aus Dänemark im Kung-Fu Anzug, und Junior, ein Muskelpaket aus Zaire, die herausragenden Tänzer. Die Kampfrichter sehen es anders und lassen beide vorzeitig ausscheiden. Das Publikum, das ebenfalls zu einem großen Teil aus Migrantenkindern besteht, protestiert heftig. Es hilft nichts. Junior, der seit seiner Kindheit durch eine Beinverletzung behindert ist, verabschiedet sich trotzig mit einem Handstandsprung vom Podest auf den harten Beton. Unter normalen Umständen ein knochenzermalmendes Unterfangen. Aber was ist schon normal?

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