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Kultur: Platzende Krokodile

Ein Wandelkonzert, eine "Musik für ein Haus" - ganz wie in alten Zeiten - sollte es werden. Doch zunächst lässt das Konzerthaus am Gendarmenmarkt bei der langen Nacht zum 70.

Ein Wandelkonzert, eine "Musik für ein Haus" - ganz wie in alten Zeiten - sollte es werden. Doch zunächst lässt das Konzerthaus am Gendarmenmarkt bei der langen Nacht zum 70. Geburtstag von Mauricio Kagel Strenge walten: "Wir bitten Sie, sich an den grün (resp. rot) ausgeleuchteten Rundgang zu halten" heißt es da auf grünen und roten Wegweisern - ganz unkagelisch eigentlich. Schon wieder also die Qual der Wahl zwischen Rot und Grün, zwischen "Dressur" und "Bestiarium". Ja, mit solchen Werken, schon im Titel bezeichnend, will Mauricio Kagel immer wieder die Grenze zwischen hermetischer hoher Kunst und alltäglichem Wahnsinn niederreißen, uns auf vergnügliche, querdenkerische Weise etwas lehren, das heilsame Salz der Ironie in Wunden streuen.

"Bestiarium" zumal, in der zwerchfellerschütternden Darbietung durch das Theater am Marienplatz aus Krefeld, stößt uns auf unser kindliches Vergnügen an Grausamkeit; zu sehen, wie gelbe Gummifrösche und Krokodile sich riesenhaft aufblasen und zerplatzen, einer Schlange der Kopf abgebissen oder mit Messern nach kleinen Vögeln geworfen wird, macht einfach schön eklig Spaß. Dass der vertonte Comic mit jammernden Flötenlauten, gefährlichem Knurren, Zisch- und Schnappgeräuschen auch eine differenzierte Klangfolie besitzt, bekommt das glucksende Publikum so nebenbei mit.

Musik, erfährt man auf diesem "hören & sehen" genannten Fest, ist doch nur der akustische output alltäglicher, sichtbarer Verrichtungen, und sei es die, ein Instrument zu traktieren. Gerade ihre neusten, dissonantesten Ausprägungen sind unserem heutigen Leben näher als alles andere. Der Alltag eines Organisten nebst Klospülung und Kindergeschrei zur Taufe gehört so folgerichtig zur "Phantasie für Orgel mit Zuspielungen". Bernhard Haas und Martin Lücker machen sich an der Königin der Instrumente, Inbegriff einsamer Zwiesprache mit Gott, vierhändig verdient, entdecken ihre schrillsten und salbungsvollsten Register. Das ist noch gar nichts gegen "Orchestrion-Straat", einer Huldigung des Kammerensembles Neue Musik Berlin unter Peter Rundel ebenso an die Automatenmusik wie an die Straßenmusiker, für die sie gar Sammelbüchsen in den Großen Saal schicken dürfen. Und das Publikum gibt gerne - zur Nachahmung für sanierungsbedürftige Kulturhaushalte empfohlen.

Zwischen sämtlichen elf "Fanfanfaren", in den Foyers gespielt vom Trompetensemble Michael Gross, geht es zu Teodoro Anzellotti und seinen fulminanten Akkordeon. "Episoden, Figuren", ist mit Dirk Rothbrust und Thomas Meixner im Schlagzeugstück "art bruit" ein veritabler Dressurakt des Musikmachens zu erleben, weit überzeugender als die Verfilmung von "Dressur" für Holzschlagzeug.

Dass das leibliche Wohl der Besucher zu kurz kommt, fällt bei diesen geballten Hör- & Sehvergnügen gar nicht mehr auf. Doch vielleicht liegt es daran, dass am Ende dieser vier Stunden Peter Rundel im "Finale mit Kammerensemble" einfach umfällt - und das Finalproblem damit auf unerhörte Weise löst?

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