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Multitalentierter Maestro. Sir András Schiff.

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Pointiert und voller Nuancen: András Schiff dirigiert das Chamber Orchestra of Europe

Von barocken Empfindsamkeitssphären bis an mediterrane Ufer: Das Chamber Orchestra of Europe und András Schiff spielen Haydn und Mendelssohn.

Den Abend wünschte man sich in der Philharmonie und nicht im Kammermusiksaal, so lautstark, wie das Chamber Orchestra of Europe Haydn und Mendelssohn zu Gehör bringt. Die beglückende Frische von András Schiffs Klavierspiel und Dirigat, das Temperament der Musiker, die geballte Direktheit leiden darunter, dass ein angemessener Resonanzraum fehlt, in dem sich der Esprit der Werke entfalten könnte. Haydns Witz und Mendelssohns Italianità, sie poltern immer wieder mit Wumms in den Saal.

Sir András, der umtriebige, multitalentierte Meister des Originaltexts, und das pointierte Spiel des Chamber Orchestra machen das Manko allerdings wett. Schiff geht mit festem Schuhwerk auf Expedition, in barocke Empfindsamkeitssphären genauso wie an lichte mediterrane Gestade. Und bringt die Verhältnisse doch zum Tanzen, gleich zu Beginn mit der akzentdurchsetzt beschwingten Ouvertüre zu Haydns Oper „L’isola disabitata“.

András Schiff, der sich auch mit seiner Meinungsstärke einen Namen gemacht hat – ob es nun um Ungarns Rechtsruck unter Viktor Orbán geht oder um die harsche Ablehnung von Steinway-Flügeln –, lässt reichlich Luft zwischen den Tönen, er will eine klare, unmissverständliche Diktion.

Auch in Haydns Klavierkonzert D-Dur Hob. XVIII.11 lässt er die Begleitfloskeln nuanciert ausspielen, erklärt jeden gebrochenen Dreiklang zum Ereignis. Um in der Kadenz des ersten Satzes umso verschmitzter die „Symphonie mit dem Paukenschlag“ zu zitieren.

Das macht Schiff als Interpreten so einzigartig: dass er auf der Einhaltung der Regeln beharrt, auf Formvollendung und Stil, und sich leichthändig Freiheiten nimmt. Schiff ist beides, Klassiker und Spielernatur, ernst und heiter. Er dirigiert mit geschlossener Hand, bevorzugt den Kompaktklang und fördert doch überraschende Details zutage, hier eine Mittelstimme, die plötzlich den Ton angibt, da eine Verschattung, eine Farbnuance.

Das Orchester mit Sitz in England bangt um seine Zukunft

Im Rondo all’ Ungarese baut er kecke Kiekser ein und lässt die Musik auch im Finalsatz der Symphonie Nr. 88 G-Dur Grimassen schneiden, nachdem so mancher überdeutliche Laut-leise-Kontrast eher nach Überredung klang als nach Überzeugung.

Höhepunkt des Abends: Mendelssohns g-moll-Klavierkonzert, melancholisch, kokett. Fabelhaft, wie Schiff noch die virtuosen Läufe non legato spielt, die Töne voneinander absetzt. Nichts verschleift, in der „Italienischen“ Symphonie bleibt die Luft ebenfalls glasklar. Fernweh und schwelgerische Süße kommen dennoch nicht zu kurz, mit dem Scherzo aus dem „Sommernachtstraum“ als Zugabe.

Möge die Reiselust dem Chamber Orchestra of Europe erhalten bleiben. Das Ensemble mit Sitz in England bangt um seine Zukunft nach dem Brexit und bemüht sich um eine neue Basis innerhalb der EU.

An der möglichen Reiseerschwernis für britische Orchestermitglieder ändert das zwar nichts, wohl aber verringert es Steuer-, Versicherungs- und Arbeitserlaubnis-Hürden. Das Orchester versteht sich als Botschafter der europäischen Idee: Der Österreicher Haydn komponierte Nr. 88 in London, der Deutsche Mendelssohn brachte seine „Italienische“ dort zur Uraufführung.

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