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Polizist und Fotograf: Kollision zwischen Avantgarde und Klassik

Für den Schweizer Fotografen Arnold Odermatt schließt sich ein Kreis: In der Berliner Galerie Springer wurden seine Fotos schon früh ausgestellt, nun zeigt der ehemalige Polizist hier bis Ende Juli bislang unveröffentlichte Aufnahmen von automobilen Unfällen

Für klare Verhältnisse hegt Arnold Odermatt eine große Sympathie. Eigentlich waren sie sogar das Ziel seiner dokumentarischen Fotografien, die sich dann allerdings der Kunstbetrieb einverleibte – spätestens 2001 mit der Präsentation auf der Biennale von Venedig. Seither gilt das Datum als Wendepunkt im Leben des stillen Schweizer Polizisten, dessen schwarzweiße Unfallbilder plötzlich neu und anders gelesen wurden.

Dabei fing alles noch ein bisschen eher an: in der Berliner Galerie Springer, die Odermatts Motive schon ein Jahr zuvor präsentierte. Parallel waren einzelne Bilder in Gruppenausstellungen zu automobilen Themen gelangt. Kleinere Serien wurden in der Schweiz, im Nordwesten von England und im Frankfurter Polizeipräsidium ausgestellt. Zum 89. Geburtstag des Fotografen schließt sich nun der Kreis bei Springer – mit neuen „Karambolagen“ der vierziger bis neunziger Jahre, die Odermatt hier zum ersten Mal zeigt; zum Preis von 3000 Euro pro Abzug.

Dass sie überhaupt den Weg aus dem Kanton in die Kunst genommen haben, verdankt sich seinem Sohn Urs Odermatt. Der Schweizer Filmemacher suchte im Archiv des längst pensionierten Vaters nach einem bestimmten Motiv. Und sah sich Aufnahmen gegenüber, deren Potenzial er mit der nötigen zeitlichen Distanz auf einmal erkannte. Die Fotos sind schrecklich, komisch und skurril zugleich, ohne dass sich die Komponenten voneinander trennen ließen. Es kollidieren: heimatliches Idyll, geschwungenes Blech und (nicht allein) von der Geschwindigkeit Berauschte, deren Tempo jäh von Gräben oder Straßenschildern gedrosselt wird.

Faszination der Bilder ist schwer zu greifen

Auf langen Wegen sammelten sich Odermatts Bilder in drei Büchern, die er teils mitfinanzierte, weil dem Verlag das Risiko zu hoch erschien. Und irgendwann zwischen Lektorat und Druck landete eine dieser Fahnen bei Robert Springer: Eine Bekannte hatte ihre schwere Tüte in der Messekoje seiner Galerie abgestellt, um sich in Ruhe umzuschauen. Springer sah die Motive, war frappiert, verblüfft und angezogen. Wenig später folgte das Debüt in den Berliner Räumen. Und selbst jene Motive, die man schon seit über einem Jahrzehnt kennt, haben kaum etwas von ihrer Faszination verloren.

Der Grund lässt sich schwer benennen. Unfälle sind eigentlich nichts für die Öffentlichkeit – es sei denn zur Abschreckung oder in den „Car Crashs“ des furchtlosen Pop-Artisten Andy Warhol. Bei Odermatt sieht man jedoch nur verbeulte Karosserien in Landschaften von Postkarten-Ästhetik. Keine Verletzten, niemals Blut. So verschiebt sich der Fokus auf die Automobile aus einer anderen Ära. Rund und geflügelt sind sie, wie Käfer. Chromverziert und mit Scheinwerfern versehen, die ihnen ein grimmiges Aussehen geben. Beleidigt stehen sie an der Straße, tief verletzt in ihrer Würde und im Kontrast zu einer Natur, die aussieht, als wäre sie eigens als Kulisse bestellt. Perfekt arrangiert, eine Schweiz zum Soforturlaubmachen. Was auch an der Perspektive des Fotografen liegt, der diesen Widerspruch jedes Mal aufs Neue herausarbeitet. Als fände er es all die Jahrzehnte seiner Arbeit immer noch unfasslich, dass sich solche Unfälle auf freier Straße, vor blühenden Bäumen und Alpenpanorama ereignen.

Es sind nicht dieselben Bilder, die in die Mappe seiner Polizeiwache wanderten. Odermatt hat sie gemacht, wenn alles vorbei war: der Unfall dokumentiert, die Verletzten oder Toten geborgen. In seiner aktuellen Ausstellung versetzt sich der alte Mann unvermittelt zurück in die Zeit und rekapituliert mit leiser Stimme, wie das damals war. Es habe oft Stunden gedauert, bis nach der Polizei endlich der Rettungswagen eintraf. Nicht wenige Unfallopfer seien ihm „in den Armen gestorben“, während Odermatt auf Hilfe warten musste. Die Fotografie wurde schließlich ein Mittel der Distanzierung. Die Situation durch den Sucher seiner Rolleiflex zu betrachten, erlaubte es dem Polizisten, den Unfall aus der Blickzone des Unmittelbaren zu schieben. Ein Bild machen, den Fall so weit wie möglich abschließen, Ordnung in das Chaos auf den Straßen seines kleinen Kantons bringen: Es war wohl Odermatts Art, aufzuräumen.

Zwei Herzen in Odermatts Fotografenbrust

Das chronologisch letzte Foto in der Ausstellung gehört zu seinen spektakulärsten. „Buochs“ stammt von 1995 und zeigt einen Lastwagen, der das Gelände einer Brücke durchbrochen hat und gefährlich über dem Abgrund schwebt. Dafür holten ihn die Kollegen extra noch einmal aus der Rente. Mit der Zeit hatten sie sich doch daran gewöhnt, erzählt der Fotograf, dass er die Kamera immer mitnahm. Anfangs, das war 1948, wollte sein Chef nichts von dem neuen Beweismittel wissen – und zog ausgerechnet ein Plakat an seiner Zimmerwand, auf dem man die Naturschönheiten der Schweiz zu einem Urlaubsparadies montiert hatte, als Beleg dafür heran, dass die Fotografie als polizeiliches Dokument nichts tauge.

Odermatt hat ihn dann doch überzeugt. Hellwach steht er vor seinen Bildern in der Galerie und erinnert sich an die Vergangenheit. Noch jetzt sitzt ihm der Schalk im Nacken, wenn er erzählt, wie er seinen direkten Vorgesetzten überlistete – indem er so lange Bilder in die Mappen legte, bis ihn die nächsthöhere Instanz für seine Hilfe lobte. Anschließend hatte es auch sein Kommandant immer schon gewusst. Odermatt bekam sogar eine eigene Dunkelkammer in der Polizeistation.

Etwas von diesem Schalk ist in den Bildern aufgehoben. In den Karambolagen, noch mehr aber in den Porträts der Kollegen, die mit vollem Ernst versuchen, ihren Uniformen Würde zu geben. Dabei aber immer scheitern, weil sie eher wirken, als würden sie sich zu wichtig nehmen. Tatsächlich bekam Odermatt einmal Ärger, als er Schuhe und Strümpfe auszog, um ein Unfallbild aus dem perfekten Winkel im flachen Wasser zu schießen. Verunglimpfung der Uniform, hieß es. Dabei wollte er nur das schönste Bild machen. Auch das wird deutlich: In Odermatts Fotografenbrust schlagen zwei Herzen. Eins gehört der Avantgarde, wie sie sein Vorbild, Magnum-Fotograf Werner Bischof, verkörpert. Das andere tickt für das klassische, manchmal ein wenig kitschige Landschaftsmotiv – und beides kollidiert mindestens so heftig wie die Automobile.

Galerie Springer, Fasanenstr. 13; bis 27.7., Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 12–15 Uhr

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