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© AFP

Konzertkritik: Kings of Leon: Vater, warum hast du ...

Auf dem Weg zur größten Band der Welt: Die Kings of Leon spielten in Berlin.

Eine Rockband wie die Kings of Leon dürfte es gar nicht mehr geben. Altmodisch, sexistisch, pathetisch sind sie, so sehr „Inbegriff einer mythischen Rock ’n’ Roll-Geschichte“, wie es heißt, dass es schon nicht mehr wahr ist. Aber so etwas wird oft von Pop-Phänomenen behauptet, die nicht aufzuhalten sind. Gerade erst haben die drei Brüder und ihr Cousin bei den Brit Awards abgeräumt, waren die größte Attraktion in Glastonbury, dem heiligen Gral britischer Festivals, und haben die Londoner O2-Arena für drei Konzerte hintereinander binnen Stunden ausverkauft. In England gelten sie als Anwärter auf den Titel „größte Band der Welt“. Seit den Strokes hat keine amerikanische Formation derart berechtigte Hoffnungen geweckt, das abgenutzte Rock-Klischee von der jungen, wilden Männerbande neu zu beleben.

Bevor sich das Quartett anschickt, mit einer großen US-Tour auch seine bislang skeptische Heimat zu knacken, traten sie am Montag in der Berliner Columbiahalle für eines von zwei Deutschlandkonzerten auf, ein furioses. Man ahnt, dass es vielleicht die letzte Gelegenheit war, diese Band in einem beinahe privaten Rahmen zu sehen. Vielleicht ahnt Sänger und Rhythmusgitarrist Caleb Followill es auch, als er zum Auftakt krächzt: „You better learn to crawl, before I walk away.“ Dazu knarzt es drohend aus übersteuerten Bassboxen, ein schleppender Beat zügelt den Furor, die Leadgitarre kreischt. Auf Niederwerfungsgesten verstehen sich die Söhne des Wanderpfarrers Leon Followill, nachdem sie ihre Band benannt haben. Als Kinder haben sie oft unter der Kirchenorgel gesessen und ihrem Vater von dem Großen und Mächtigen reden hören, das er, die Arme erhoben, auf sie niederkommen sah.

Im wuchtigen, elegant verschluderten Südstaatenklang der Kings of Leon hallt etwas von den frühen Erweckungserlebnissen der Pfingstgemeindezöglinge nach, die nie eine reguläre Schule besuchten, von der Mutter unterrichtet wurden und ihre Jugend fernab lüsterner Versprechen der Popkultur verbrachten. Allerdings schwingt auch das Gegenteil mit: der Schmerz des Verrats. Denn Vater Followill fiel wegen Alkoholproblemen und Scheidung nicht nur in der Kirche in Ungnade. „Ich habe an meinen Vater geglaubt“, sagt Caleb dem britischen „Independent“, „und ich wollte in seine Fußstapfen treten. Aber mit 15 begann ich zu begreifen, dass Prediger nur normale Männer sind. Es hat mir das Herz gebrochen.“

Mit seinem älteren Bruder Nathan, der heute als unumstößlicher Ruhepol am Schlagzeug sitzt, ging Caleb nach Nashville, Tennessee, in die, aus Sicht seiner puritanischen Familie, verbotene Stadt. Von Musik verstanden die beiden Landeier wenig, aber sie adaptierten alles, was sie zu fassen kriegten. Zur Band formte sich der Jungenehrgeiz mit der Ankunft des jüngsten Followill-Bruders Jared, heute am Bass. Der hatte seinen Cousin Matthew Followill im Schlepptau, der als Einziger eine reguläre Schule besucht und mitbekommen hatte, dass Rockmusik aus mehr als Led-Zeppelin-Riffs bestand. Das macht den 24-Jährigen zum einzigen virtuosen Musiker in der Band, auch wenn er sich meist konzentriert über sein Griffbrett beugt. In der Körpersprache dieses knuffigen Typen ist am ehesten die Kluft zur Stadionband erkennbar.

Songs wie das rumpelnde „My Party“ oder das noch ungehobeltere „Molly’s Chambers“, mit denen die Viererbande eine rüdere Gangart einlegen, gehören auch nicht in die großen Arenen. Sie bezeugen allerdings aufs Schönste den Modernismus der vermeintlichen Bible- Belt-Rocker. Da werden erdige Roots- Rhythmen in der Luft zerfetzt und das Gediedel vormaliger Southern-Rock-Götter wie Lynyrd Skynyrd in gestraffte Arrangements übersetzt.

U2 bewiesen ein feines Gespür für aufkommende Konkurrenz, als sie die Tennessee-Boys 2005 das Vorprogramm bestreiten ließen. Danach haben Caleb und seine Brüder begonnen, „Songs zu schreiben, die größer sind als wir, um zu diesem Publikum zurückzukehren“, wie sie gestehen. Die elegischen Früchte dieses immer breiteren, immer raumgreifenderen Hit- Programms haben auf „Because of the Times“ (2007) und zuletzt „Only by the Night“ ihren Niederschlag gefunden. Wehende Gitarrenschwaden, aus dem Handgelenk geschüttelte Off-Beats und der raue, unbarmherzige Gesang eines zutiefst verwundeten Menschen erleuchten denn auch das Konzert in der ausverkauften Columbiahalle. Mögen neuere Songs wie „Closer“ mit seinem minimalistischen Zweiton-Schema, wie „Use Somebody“, „Fans“ und „Sex On Fire“ über die sexuellen Vorzüge des Rockstar-Daseins oder wie das archaisch-triumphale „Knocked Up“ auch für Stadien geschrieben sein – es ist beinahe rührend, die Band an dem Glauben festhalten zu sehen, dass allein ihre Musik sie dorthin bringen wird.

Caleb ist 27, also im magischen Alter für Rockstars. Unerschöpflich in seiner Vitalität, die noch nicht in die vorgestanzten Posen des Ruhms gegossen ist. Aber dass seine Kraft nicht ewig währt, zeigt seine vom Stress angegriffene Stimme. Am Ende winkt er ab. Sie versagt.

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