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Musik-Rezension: Du bist Guantanamo

Militarismus, Polizeistaat, Überwachung: Der Rapper El-P entwirft mit seinem neuen Album "I'll sleep when you're dead" ein apokalyptisches Bild der Gesellschaft.

- Do you think that if you were falling in space that you'd slow down after a while or go faster and faster? - For a long time, you wouldn't feel anything. And you'd burst into fire, forever.

Das Twin-Peaks-Zitat am Beginn des ersten Songs ist eine Warnung. Wer sich auf dieses Album einlässt, der wird verschluckt, wird hinabgerissen in einen dunklen Schlund. Im freien Fall rauschen Szenen urbaner Gewalt vorbei, Szenen aus Guantanamo, marschierende Soldaten, Maschinen: ein Bilderreigen endzeitlicher Düsternis. Hier gibt es keinen Boden der Tatsachen, auf dem man landen könnte. Musik ohne Fallschirm, aber mit der Option, wieder und wieder zu springen.

El-P, der MC, Produzent und Label-Chef aus New York, hat mit seinem neuen Album "I'll sleep when you're dead" eine weitere Großtat vollbracht. Schon als Mitglied von "Company Flow" war El Producto zuständig für majestätisch rumpelnde, beinharte Beats und bedrohlich aufgetürmte Samples - und klang damit anders als alles, was man zuvor aus dem Hip-Hop kannte. Nach Auflösung des Trios legte er mit "Fantastic Damage" ein Album hin, dessen Titel den Inhalt ganz gut beschreibt. "I'll sleep ..." setzt den Weg der Zerstörung von Gewissheiten fort und entwickelt, weit jenseits plumper Bekenntnislyrik und banalen Bush-Bashings, eine enorme politische Aussagekraft.

"Ich bin kein politisch aktiver Mensch", sagt El-P über sich selbst, und das ist gar nicht mal kokett gemeint. Er stellt keine Forderungen, seine Reime sind assoziativ, ein Stream of Consciousness, der sich um das Gefühl rankt, dass irgend etwas verdammt falsch läuft dieser Tage. Für El-P gibt es keine Trennung von innerem und äußerem Leben, von Gewalt in Guantanamo und Gewalt, die er auf den Straßen Brooklyns erfährt - beides ist Symptom einer Entfremdung, die unser ganzes Leben bedroht.

if the pavement comes alive on flatbush ave with toothy smile/ comprised of traffic cones and manholes become eyes/ and birds burst into flames while singing satans praises and fold into the sky and rain down ashy danger

Warum immer so düster, El-P? Gibt es in der Welt denn nichts Positives, über das zu rappen es sich lohnen würde, relaxt und mit Humor? Tatsächlich geht El-P zum Lachen nicht in den Keller, er wohnt schon dort. Beim Konzert im Berliner Club 103 kommt er im Guantanamo-Overall auf die Bühne, das Gesicht voller Kunstblut, aber mit einem sardonischen Grinsen: "You folks like happy music? Well, sorry, there won't be any." Guantanamo ist auch die Kulisse für sein neues Video zu "Smithereens": El-P rappt unverdrossen, während er an den Füßen durch Gänge geschleift, geschlagen und gewürgt wird. Sogar beim berüchtigten "waterboarding" rappt er, den Kopf unter Wasser, immer weiter ...

Fell asleep late, neon buzz/ PTS stress, we do drugs/ City air strange, sticky lungs/ Mayor Doomburg gives no funds/ And I'm crying ...

Die Themen Militarismus, Polizeistaat, Überwachung und Gehirnwäsche ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. In "Habeas Corpses", einem der besten Tracks des Albums, verliebt sich der Wärter eines Gefängnisschiffs in eine Gefangene - selbstverständlich ohne Happy End. "Flyentology", das wohl eingängigste Stück, handelt vordergründig von El-P's Flugangst, ist aber auch eine Parabel auf die Seelenfängertätigkeit von Psycho-Sekten.

Für "Flyentology" tat sich El-P mit "Nine Inch Nails"-Sänger Trent Reznor zusammen, und auch die meisten anderen Stücke sind Kooperationen. Für das Aufmacher-Stück holte er die Post-Rocker "The Mars Volta" ins Boot - beide verbindet die Nähe zum Free Jazz. "Cat Power"-Sängerin Chan Marshall darf auf dem Schlussstück ein paar Zeilen besteuern. Dennoch trägt das Album ganz dick den Stempel von Mastermind El-P, nicht zuletzt wegen seines unwiderstehlichen Flows. Bei aller Hässlichkeit, Kälte und Gewalt strahlt "I'll sleep ..." in dunkler Schönheit - und gehört schon jetzt zu den wichtigsten Hip-Hop-Alben des Jahres.

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