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Zeul

© Heerde

Musik: Schwäbischer Hall

Singen, würgen, kotzen: Ein langer Abend mit der Liedermacherin Johanna Zeul.

Erst steht sie noch ganz ruhig auf der Bühne im Kreuzberger Privatclub, mit dunkelblauer Jeans und roter Bluse, grinst keck ins Publikum und stöpselt ihre elektroakustische Gitarre ein. Dann kommt der erste Akkord, und – zong – Johanna Zeul legt los. Schrammelt wild über die Gitarrensaiten, stampft mit den Füßen und verdreht die Augen. Ihre braunen Locken fliegen, wenn sie auf und ab springt, sich nach vorne beugt und den Kopf vor- und zurückschleudert. Mal flüstert sie, mal schreit sie, mal rülpst sie ins Mikrofon. Einmal trinkt sie in einem Zug einen Liter Wasser und kotzt mitten im Lied einen Schwall davon auf die Bühne, gefolgt von einem zuckersüßen „Entschuldigung“. Unermüdlich tobt sie fast zwei Stunden lang, spielt sich selbst in einen Rausch – und in die totale Erschöpfung. Bis weit nach Mitternacht.

Stunden zuvor, an einem Sonntagnachmittag im März: Gerade ist Johanna Zeul mit dem Taxi von ihrer Wohnung aus Neukölln in die Kreuzberger Pücklerstraße gekommen. Aus dem Mercedes steigt eine junge, zierliche Frau, eine beigefarbene Fellmütze über die wirren Locken gestülpt, ungeschminkt, in Turnschuhen und mit dunklem Jackett. Über ihrer Schulter hängt eine gepolsterte Gitarrentasche. 2006 zog die Musikerin nach Berlin, weil hier „die ganze Szene hockt“, wie sie sagt. Knapp zwei Jahre später ist sie im Kreis der jungen Liedermacher wie Kat Frankie oder Martingo angekommen.

Im Weltrestaurant bestellt sie Käsespätzle. „Da kannsch its falsch mache“, sagt sie in breitem Schwäbisch, grinst und wechselt dann schnell ins Hochdeutsche.

Johanna Zeul ist Rio-Reiser-Songpreisträgerin 2006, Tochter des schwäbischen Liedermachers Thomas Felder und ein „Geheimtipp“ in Sachen neuer deutscher Musik. Ihre Lieder und Texte schreibt die 26-Jährige selbst. Sie handeln von Liebe und Sex, vom Alleinsein oder auch von ganz alltäglichen Situationen: dem Einkauf am Wühltisch, dem Besuch beim Zahnarzt. Ihre Musik ist, tja ... Ist es Pop? Vielleicht. Eher jedoch eine schwungvolle deutsche Neuauflage des Antifolk im Stil von Ani DiFranco oder der Ex-Moldy-Peaches-Sängerin Kimya Dawson. Der „Rolling Stone“ verglich sie kürzlich mit der exaltierten amerikanischen Sängerin Regina Spektor.

Johanna Zeul selbst sagt, dass sie von England und Amerika beeinflusste deutsche Musik mache. Ihre Vorbilder sind, abgesehen von Amy Winehouse, allesamt Männer. In John Lennon war sie mit zwölf verknallt. Heimlich hat sie damals Fotos von ihm geküsst. Ein paar Jahre später schwärmte sie für Kurt Cobain. Die Beatles und Nirvana – Bands die nicht nur rein alphabetisch weit auseinanderliegen, denkt man. Johanna Zeul sieht das anders: „Beide Bands haben einfach gute Songs geschrieben, die im Ohr bleiben.“ Das will sie auch.

Ihre Texte reimen sich häufig, sind poetisch. Wenn sie in „Zimmer Nummer 4“ sehnsüchtig von flüchtigen Begegnungen für eine Nacht erzählt und traurig ins Mikro wispert: „Warum ist das so schwer, ich will nur ’nen Kuss, nicht mehr. / Ich weiß, wir kennen uns nicht, ich mag aber dein Gesicht.“ Oder wenn sie, vielleicht auch ein bisschen selbstironisch, über Wochenend-Shoppingtrips singt: „Gib mir Klamotten, gib mir Ryanair, ich geh gern shoppen, ich flieg gern ans Meer.“ Manchmal stoppt sie mitten im Lied, klopft mit der Faust rhythmisch auf ihre Gitarre und rezitiert atemlos, fängt dann wieder an zu singen. Rhythmus, das ist ihr Ding. „Keinen Hall auf der Gitarre“, erklärt sie dem Techniker beim Soundcheck, woran er sich zu halten habe. Ihre Musik soll zackig klingen, „trocken und nah“.

Dass sie auf Deutsch textet und singt ist für Johanna inzwischen selbstverständlich. Als sie damals, 1996, anfing, in kleinen Kneipen und Clubs rund um ihre Heimatstadt Gönningen bei Reutlingen aufzutreten, da sang sie noch auf Englisch. Doch irgendwann fühlte sie sich wie ein „Verräter vor mir selbst“. Den Mut zur deutschen Sprache fasste sie auf der Schauspielschule in Mainz, die sie von 2002 bis 2003 besuchte, bevor sie für ein Bachelorstudium nach Mannheim auf die Popakademie wechselte. Schauspiel, das war es dann doch nicht für Johanna Zeul. „Ich wollte nicht nur ausführend sein, sondern wollte, dass etwas aus mir selbst herauskommt“, erklärt sie und zerkaut ihre Käsespätzle. Vor Publikum zu stehen und Musik zu machen, sei einfach super. „Das ist alles so sinnvoll, gebündelte Realität, komprimiertes Leben“, sagt sie. „Verstehst du, was ich meine?“

Von ihrem Vater bekam sie vor Jahren einen Rat: „Höre auf dein Bauchgefühl.“ Die Seele sei wichtiger als der Hype im Musikgeschäft, sagte er. Und seine Tochter glaubt daran. Während Studienkollege Konstantin Gropper mit Get Well Soon zum Newcomer des Jahres avanciert, aber ihr erster eigener Plattendeal mit einer großen Firma, die ihr denselben Weg zu weisen schien, geplatzt ist, nimmt sie die Dinge nun selbst in die Hand, organisiert eine Deutschlandtour und gründet bald ein eigenes Label. Johanna Zeul hat die Nase voll von den wichtigtuerischen „Fritzen“ im Musikgeschäft. Sie verdreht die Augen und winkt ab. Lieber ist sie jetzt erst mal für alles alleine verantwortlich: „Dann weiß ich wenigstens, was passiert.“ Und wenn man richtig hart an etwas arbeitet, dann funktioniert es auch, glaubt die Musikerin. Ihr erstes Album erscheint im Juni.

Und wie heißt es in ihrem Lied? „Du wirst mich nicht vergessen, ich spuk in deinem Köpfchen.“ Für einen Geist ist Johanna Zeul allerdings viel zu real.

Am 10. April spielt Johanna Zeul im BKA-Theater bei den Stage-Diven (Mehringdamm 34). Am 16. April tritt sie im Intersoup, Schliemannstraße 31, auf. Mehr Informationen unter www.johannazeul.de.

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