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© Getty Images/AFP

Konzertvorschau: Perlen in der Wuhlheide

Am Sonnabend spielen Pearl Jam, die Band um Sänger Eddie Vedder, in der ausverkauften Freilichtbühne.

Es wirkt wie abgesprochen. Eben erschien ein dickes Buch, dessen Titel lautstark verkündet: „Grunge is Dead“. In 130 Interviews vollzieht Musikjournalist Greg Prato die Geschichte dieser Musikszene nach, die um 1990 in Seattle einen Sturm aus dissonanten Gitarren und tragischen Wahrhaftigkeits-Gesten lostrat. Nun melden sich pünktlich Protagonisten von damals zurück, wie um zu beweisen, dass Grunge keineswegs tot ist. Er hat sich nur ein bisschen ausgeruht.

Am Sonnabend spielen Pearl Jam eines ihrer legendären Freiluftkonzerte in der ausverkauften Wuhlheide. Fans schwärmen noch heute vom einzigen Deutschlandkonzert 2006, das die Band hier gab. Im September erscheint das zehnte Studioalbum „Backspacer“. Letzten Freitag waren schon die Kollegen von Alice in Chains im Columbia Club, die sich nach dem Drogentod ihres Sängers Layne Staley neu zusammengetan haben und nun ihr erstes Studioalbum seit 14 Jahren veröffentlichen. Kürzlich hat auch Soundgarden-Gitarrist Kim Thayil eine Raritätenbox mit unveröffentlichtem Material angekündigt und von Reunion geredet. Fehlt nur noch, dass Kurt Cobain aus seiner Urne steigt und eine Nirvana-Tour ankündigt.

Pearl Jam waren ohnehin nie weg. Sie haben Cobains Selbstmord überlebt, die zähen Kämpfe mit der Musikindustrie und die Katastrophe von Roskilde, als im Juni 2000 im Gedränge vor der Bühne neun Menschen umkamen. Über 60 Millionen Alben hat die Band weltweit verkauft, mehr als jede andere Rockband der Neunziger. Das Debüt „Ten“ mit den unsterblichen Hymnen „Alive“ und „Black“ erreichte in den USA 13 Mal Platin.

Es passt, dass es mit Nirvana bald zu Ende war und Pearl Jam bis heute überdauern: Die Musik von Nirvana war selbstzerstörerisch, die von Pearl Jam bei aller Seelenschwere hoffnungsvoll und gemeinschaftsselig. Am Ende heißt es hier eben doch immer: „I’m still alive“.

Wer, außer Eddie Vedder, darf es sich erlauben, am Ende des Konzerts eine Hand dem Mond entgegenzustrecken und „Peace!“ zu hauchen, ohne dass man ihn für einen spiritistisch verblendeten Hippie hält? Gut, Eddie Vedder ist vielleicht solch ein verblendeter Hippie (dem 96er-Album „No Code“ sprach er zum Beispiel heilende Kräfte zu), aber bei einem Pearl-Jam-Konzert kann jeder einer werden: Gitarrenwände, hoch wie indianische Friedensfeuer, Schlagzeugrhythmen mit der Gravität durch den Mittleren Westen trampelnder Büffelherden und ein Klang, so warm und so satt wie langsam herabtropfendes Kerzenwachs, darüber der raue, näselnde Gesang von Eddie Vedder. Und im Publikum Söhne auf den Schultern ihrer Väter. Pearl Jam sind die Guten. Kaum eine andere Band transportiert derart starke Gefühle von Größe und Gemeinschaft.

Warf ihnen anfangs Kurt Cobain wegen ihrer poppigen Hooklines noch Verrat und Ausverkauf vor, stemmten sich Pearl Jam schnell gegen den Kommerz. Sie weigerten sich, Musikvideos zu drehen, veröffentlichten Mitschnitte ihrer Auftritte, um Fans den Kauf teurer Bootlegs zu ersparen, und boykottierten über Jahre den Kartenkonzern Ticketmaster, weil der die Eintrittspreise über 20 Dollar trieb. Lange her. So viel zahlt man heute schon für kleine Clubkonzerte. Und die Band vertreibt ihr neues Album in den USA exklusiv über eine Supermarktkette und veröffentlicht die Songs zur Vorbereitung als Handyklingeltöne. Vielleicht ist Grunge doch tot. Aber ein Pearl-Jam-Konzert lässt das für einen Abend vergessen.

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