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M.I.A.

© Liz Johnson

Porträt: Nachladen, entsichern

M.I.A. sampelt sich mit ihrem fulminanten zweiten Album "Kala" einmal um die Welt.

Die US-Einwanderungsbehörde ist eine mächtige Institution. Doch dass sie sogar Einfluss auf das Popgeschehen nimmt, ist neu. Die Beamten haben genau das jetzt geschafft: Der Sound des zweiten Albums von M.I.A. wäre ohne die Emigrationswächter so nicht entstanden. Weil sie der 30-jährigen Musikerin kein Visum gaben, wurde nichts aus ihren Plänen, mit Super-Produzent Timbaland zusammenzuarbeiten. Offenbar war der Einwanderungsbehörde suspekt, dass der Vater der in London geborenen und lebenden Maya Arulpragasam Mitbegründer einer militanten tamilischen Befreiungsgruppe ist. Die wird von den USA als terroristisch eingestuft. Nach dem Untergrundnamen ihres Vaters hatte M.I.A. ihre erste Platte „Arular“ genannt und darauf über Guerillas, Gewehre und Bomben gesungen. Das Booklet stellte eine einzige Panzer-Maschinengewehr-Molotowcocktail-Collage dar.

Da ihr der Zugang zu dem Beat-Tycoon in den USA verwehrt blieb, reiste M.I.A. – das Kürzel steht für Missing in Action – nach Jamaika, Trinidad, Afrika, Australien und Indien. Von dort brachte sie jede Menge Sounds und Samples mit, die sie auf ihrem morgen erscheinenden Album „Kala“ mit eigenen Beats und Gesängen zu einer modernen Form von Weltmusik vermischte. Der indische Einfluss sticht dabei am stärksten hervor. Wochenlang nahm M.I.A. in Madras lokale Percussionisten auf und arbeitete in Studios, wo sonst Filmmusik produziert wird. Dort entstand auch der Song „Birdflu“ dessen polyrhythmisches Perkussionsgewitter aus einem indischen Blockbuster-Soundtrack stammt. Durch M.I.A.s Sprechgesang im Dialog mit einer quäkigen Kinderstimme wird die sanfte Atmosphäre des Originals in eine elektrisierende Zappeligkeit übertragen.

Einfacher zugänglich ist „Jimmy“: Der Boney-M-hafte Discotrack geht auf einen Bollywood-Song zurück, zu dem M.I.A als Kind tanzte. In seiner schlichten Fröhlichkeit fällt er aus dem sonst sehr ernsthaften, mitunter aggressiven Sound von „Kala“ heraus. So geht es etwa in dem von dröhnenden Synthesizer-Fanfaren angetriebenen „Hussel“ um Einwanderersorgen. Als Gast tritt der nigerianische Rapper Afrikan Boy auf, der in gehetzten Reimen die Rastlosigkeit eines Illegalen beschreibt. Seine letzten Worte „deport them“ verhallen, als sitze er schon im Abschiebeflugzeug. Das Stück gehört zu den stärksten der Platte, auch weil es M.I.A gesanglich von einer neuen, klagenden Seite zeigt. Die dominiert auch „20 Dollar“, für das sie sich den Refrain des Pixies-Hits „Where is my mind“ ausgeliehen hat – eine genial-verstörende Adaption.

Nur „10 Dollar“ hatte M.I.A. noch bei ihrem Debütalbum „Arual“ im Jahr 2005 in der Tasche. Damals löste sie völlig zu Recht einen Medien-Hype aus, denn ihr Mix aus Elektropop, Dancehall, Grime und Baile-Funk war innovativ und groovte grandios. Viel Aufmerksamkeit galt auch der ungewöhnlichen Biografie der Musikerin, die als Baby mit ihren Eltern von England in deren Heimat Sri Lanka zog. Dort verließ der Vater die Familie, um tamilischer Kämpfer zu werden. Als der Bürgerkrieg auf der Insel eskalierte, schaffte es die Mutter mit Maya und ihren Schwestern nach England zu fliehen. So verbrachte M.I.A ihre Teenagerzeit in einem Sozialbauviertel südlich von London. Später schaffte sie es auf das renommierte St.Martins Art College und feierte Erfolge mit farbenprächtigen Bildern voller tamilischer Symbole. Ein Job als Tourfilmerin der Band Elastica führt zu ihrer musikalischen Initiation durch die Berliner Electropunk-Ikone Peaches: Die zeigte ihr nach einem Konzert, wie man eine Roland-505-Groovebox bedient. Und M.I.A. wurde Musikerin.

Mit „Kala“ nimmt M.I.A. nun viele Fäden ihres erfolgreichen Debüts wieder auf, doch sie spinnt sie in verwickelter Weise weiter. Man braucht deutlich länger, um sich in dieses Album einzuhören als bei „Arular“. Die Platte ist wesentlich disparater, zerklüfteter und auch wütender als ihr Vorgänger. Genau das ist das Spannende daran: M.I.A. scheint aus einer unversiegbaren Quelle von hypernervöser Energie zu schöpfen. Häufig klingen die Beats wie ein Sperrfeuer, einmal übernimmt tatsächlich ein Maschinengewehr den Takt, an anderer Stelle trennt das Nachlade-Klacken die Strophen. Diese starke Thematisierung von Gewalt setzt sich auch im Booklet fort, in dem es Maschinengewehre regnet.

Anders als im amerikanischen Mainstream-Hip-Hop dienen Waffen hier nicht der individuellen Prahlerei, sie stehen für die kollektive Erfahrung eines von anarchischen Verhältnissen zerrütteten Alltags in zahllosen Ländern der sogenannten Dritten Welt. Alles ist hier Kampf, ein Leben nichts wert. Man kann es beiläufig verlieren – wie in M.I.A.s Song „Paper Planes“, das auf einem Reggae-Rhythmus dahinschunkelnd einen bewaffneten Überfall mit Kinderchor inszeniert. Natürlich spielt M.I.A. mit der Provokation und setzt auf den Erfahrungsvorsprung, den sie als ehemaliges Bürgerkriegskind hat. Doch kann man ihr nicht absprechen, dass sie aus ihrer Ghettoperspektive tatsächlich die Aufmerksamkeit auf marginalisierte Ecken der Welt lenkt. Ein gutes Beispiel dafür ist der tolle Didgeridoo-Hip-Hop-Track „Mango Pickle Down River“, den sie mit einer Gruppe Aborigine-Jungs aufgenommen hat.

Timbaland hat M.I.A dann übrigens doch noch getroffen: Einen Song produzierte er für sie – es ist der langweiligste des Albums. Denn M.I.A. ist mit ihrem wilden Global-Beat-Sound längst in einer anderen Sphäre unterwegs.

„Kala“ von M.I.A. erscheint am Freitag bei XL Recordings (Indigo).

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