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Konzertkritik: Station 17: Einer muss den Abwasch machen

In der Volksbühne begeistern Station 17 mit manisch groovendem Krautrock und Rampensau-Qualitäten. Der Film "Station 17: neu" erklärt vorab den Neustart dieses immer noch innovativen Bandprojekts aus behinderten und nichtbehinderten Musikern.

2006 stand Station 17 nach fast 20 Jahren turbulenter Bandgeschichte kurz vor dem Aus. Das einzigartige Hamburger Projekt aus geistig behinderten und nichtbehinderten Musikern hatte sich an der eigenen Intensität verzehrt. Hohe Mitgliederfluktuation und der kraftraubende, zumeist auf kollektiver Improvisation beruhende Arbeitsprozess war auf Dauer allen Beteiligten zu anstrengend.

Doch die Idee lebt weiter: In der leider nur mäßig besuchten Volksbühne wird vor dem eigentlichen Auftritt Eike Swobodas schöner Film „Station 17: neu“ gezeigt, der die Entstehung des jüngsten Albums „Goldstein Variationen“ dokumentiert, bei dem eine personell runderneuerte Crew mit prominenten Gästen wie Fettes Brot, Robocop Kraus, Guildo Horn, Barbara Morgenstern oder Ted Gaier in jeweils auf zwei Tage konzentrierten Studiosessions Stücke erarbeitet und eingespielt hat.

Doch das eigentliche Biotop der bunten Truppe ist die Konzertbühne. Das Publikum lümmelt zunächst noch träge auf den provisorischen Sitzsäcken rum, wird aber bald von Sänger Philip Riedel energisch zu einer aktiveren Beteiligung aufgefordert. Die von rührender Schüchternheit bis zu exaltierten Rampensauqualitäten reichenden Temperamente der sechs gehandicapten Akteure verleihen den Songs ihren individuellen Flair: So ist Andy Lehrkes „Geister“-Beschwörung ein zwischen kreatürlichem Grusel und „Hui Buh“-Späßen mäanderndes Juwel, das schmissige „Ohne Regen kein Regenbogen“ dagegen ein pumpender Discofox-Kracher.

Vielleicht füllen die vier nichtbehinderten Musiker ihre Leitungsfunktion etwas zu perfekt aus: Die makellos groovenden, in einem Spannungsfeld zwischen Krautrock und Cosmic Funk operierenden Instrumentals lassen zwar Raum für die launischen Improvisationen ihrer Kollegen. Womöglich könnte man aber die minimalistischen Gitarren-Licks von Felix „Ernesto“ Schnettler oder das intuitive Georgel von Sebastian Stuber nicht nur zum Ornament, sondern zur schräg tickenden Grundlage der Musik machen.

Andererseits würde man dann vermutlich Ohrwürmer wie „Lass das mal den Felix machen“ verpassen, bei dem Schnettler lustvoll gegen lästige Abwaschpflichten der Heimordnung ansingt: ein todsicherer Hit, der auch ins Repertoire von Fehlfarben oder Die Türen passen würde. Den stürmischen Beifall jedenfalls nehmen die Station-17-Performer mit der Grazie alter Hasen entgegen. Gut, dass jemand die Fackel weiterträgt.

Jörg W, er

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