zum Hauptinhalt
Whitney Houston

© Promo

Whitney Houston: Vom Tropf auf die Füße gestellt

Sie war eine Soul-Diva, dann ruinierte sie sich selbst: Whitney Houston behauptet bei ihrem Comeback ihre Klassizität. Eine Diva steht auf und klopft sich die Asche von den Schultern.

Das Bild des fallenden Engels gehört fest zum Repertoire der Pop-Mythen. Britney Spears, Mariah Carey, Amy Winehouse – manche kommen wieder, andere nicht. Whitney Houstons Absturz aber sprengte die Norm. Nicht nur, weil sie die größte Fallhöhe hatte und am tiefsten sank. Es war der Absturz einer schwarzen Sängerin, die sich in das Herz des weißen Amerika gesungen hatte.

Als Produzenten-Legende Clive Davis 1983 die 20-Jährige erstmals hörte, erkannte er sofort ihr Potenzial: eine große, damals schon divenhafte Soul-Stimme, die zu einer jungen und schönen Person gehört. Davis erfand das perfekte Gesamtpaket: Er ließ Whitney kraftvoll singen wie im Soul oder Gospel, gab ihr aber Lieder so flach und euphorisch wie weißer Hitparaden-Pop. Sie wurde anschlussfähig für ein junges Publikum – die erste schwarze Künstlerin auf den Titelseiten der Mädchenmagazine. Es folgte eine beispiellose Reihe an Nr.1-Platzierungen.

Anders als ihre Vorgängerinnen der Disko-Zeit gab Whitney sich nicht selbstbewusst und sexy, sondern rein und unschuldig. Ihre Stimme wurde zum Nationalheiligtum der Reagan/Bush-Ära. Höhepunkt der Vereinnahmung war ihr Auftritt beim Superbowl 1991, als sie im Sportanzug die Nationalhymne sang. Whitney Houston ging noch weiter als Michael Jackson: Nie zuvor gab es derart weißen Pop von einer schwarzen Sängerin. Als „Oreo“ wurde sie boshaft bezeichnet, ein schwarzer Keks mit weißer Füllung. In „Bodyguard“, ihrem größten Filmerfolg, konnte sie deshalb mit Kevin Costner ein Paar bilden – ein seltenes Bild im Hollywood-Kino. Aber auch ein wegweisendes, denn in den Armen ihres Bodyguards war Whitney Houston zur Schutzbefohlenen geworden.

Dann kam Bobby Brown. 1992 heiratete Whitney einen Rüpel mit Bad-Boy-Allüren, hielt auch dann noch zu ihm, als er sie schlug und betrog. Brown riss Whitney aus dem Olymp – und es war, als hätte das Ghetto sie zu sich geholt. Whitney ließ sich gehen. Bei Auftritten bot sie ein erschütterndes Bild: dürr, schweißgebadet, ein Skelett im Abendkleid. Und es war nicht irgendeine Droge, der sie schließlich verfiel, sondern die GhettoDroge Crack. Als sie 2002 für einen ersten Comeback-Versuch ihr berüchtigtes TV-Interview gab, stritt sie den Drogenkonsum, eine „schlechte Angewohnheit“, auch gar nicht ab, sondern sagte nur: „Ich verdiene zu viel Geld, um Crack zu rauchen. Crack ist billig.“ Die Doku-Soap „Being Bobby Brown“ zeigte 2005 zwei Menschen, die sich gegenseitig in die Selbstzerstörung trieben.

2006 tauchten Bilder auf, angeblich aus ihrem Badezimmer: ein schmutziger Waschtisch, übersät mit Crack-Pfeifen und aufgerissenen Tablettenschachteln. Ein Jahr später war Whitney so pleite, dass sie die Rechnung für ein angemietetes Lagerhaus nicht begleichen konnte. Vor aller Augen wurden Designerfummel, getragene Samthöschen, Bustiers und Fußspray feilgeboten. Vielleicht die größte Demütigung von allen.

Das US-Publikum liebt zwar ein gutes Comeback. Aber heute werden Diven kaum noch hofiert. Für Mariah Carey machte EMI 2001 28 Mio Dollar locker – um sie loszuwerden. Junge Musiker bringen höhere Gewinnmargen als kostspielige, überlebensgroße Altstars. Noch dazu, da das Alleinstellungsmerkmal der Gesangsdiven einer massiven Entwertung ausgesetzt ist. Whitney und Mariah sind selbst schuld: sie entkoppelten das Melisma des Soul zunehmend von seiner Funktion als Ausdrucksmittel und verwandelten es in ein Zeichen von Virtuosität. Ehemals wie ein Gottesgeschenk bewundert, gilt Stimmgewalt nun als Technik, die erlernt werden kann, wenn man fleißig ist. Videoportale und Castingshows sind voll von jungen Menschen, die sich gegenseitig überbieten mit knödelnder Stimmbandgymnastik.

Die Lage ist also schwierig. Clive Davis, inzwischen 77 Jahre alt, nahm sich daher selbst der Sache an. Heute, da R ’n’ B maßgeblich von Hip-Hop beeinflusst ist, würde man modernisieren müssen – und gleichzeitig Houstons Stil eine gewisse Klassizität verleihen. Das gelang. Die Eröffnung des Albums ist ein Ausrufezeichen: ein funkiger Bass direkt aus den Siebzigern, ein Sample des Disco-Hits „We‘re Getting Stronger“ von Loleatta Holloway. Klassischer als „Million Dollar Bill“, geschrieben und produziert von Alicia Keys, kann Soul-Pop nicht klingen. Es gibt keine Experimente auf diesem Album, aber behutsame Anklänge an die sirrenden Synthesizer von Timbaland und an den Plastiksoul von R. Kelly, der zwei Stücke für das Album schrieb. Leon Russels „A Song For You“, unzählige Male gecovert, verwandelt Houston frech in einen radiotauglichen Club-Track.

Sie tritt mit ganz anderer Geste auf als 2002. Ihre Single „Whatchulookinat“, eine Abrechnung mit allem und jedem, klang damals bitter und paranoid. Heute singt sie „I‘ve got nothing but love … even for those who tried to take me down“ und weiter: „I could hold on to pain, but that‘s not what my life‘s about. I ain‘t blaimin nobody if I ain‘t got my stuff worked out.“ Whitneys Stimme segelt nicht mehr ganz so singvogelhaft durch die Oktaven, sie ist fest, klar, manchmal ein bisschen rau. Wehmütig denkt man an „Memories“ zurück, jene allererste, unbekannte Solo-Aufnahme, noch bevor Clive Davis sie entdeckte. Es ist Houstons schönstes Stück.

Diese Höhe erreicht das neue Album in keiner Weise. Aber ein derart schlüssiges, edles Comeback hat es selten gegeben für eine Gefallene. „It’s time to stop this roller coaster and start moving mountains“ singt sie in „Salute“, ein Abschiedslied an Bobby Brown, von dem sie sich 2006 scheiden ließ. Eine Diva steht auf und klopft sich die Asche von den Schultern.

Whitney Houston, „I look to you“ erscheint am Freitag bei Sony.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false