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Popmusik: Wir Bilderbuchmonster

Sie waren Freaks und sind nun Stars, die massenkompatiblen Dancerock machen: Gossip und ihr fünftes Album „A Joyful Noise“.

Das Partygirl geht auf die 30 zu und tanzt noch immer die Nächte durch. Sie hat geerbt, das Leben genossen und nie gearbeitet. Doch damit soll jetzt langsam mal Schluss sein, heißt es im Song „Get A Job“. Die Sängerin fordert, dass die Frau Arbeit suchen und sich richtig reinhängen soll: „You gotta try, try, try!“ Diese erstaunlich spießige und völlig unironische Ansage, die Beth Ditto mit ihrem wuchtigen Soul-Organ herausschleudert, ist eine der wenigen echten Überraschungen auf dem am Freitag erscheinenden Gossip-Album „A Joyful Noise“. Denn eigentlich hätte man von dem Trio mit den punkigen Wurzeln eine gewisse Sympathie für selbstzerstörerischen Hedonismus erwartet und keine tanzflächenkompatible Aufforderung zur Anpassung.

Beim ausverkauften Konzert im Berliner Berghain, wo die Band aus Portland ihre neue Platte vier Tage vor Veröffentlichung in Deutschland vorstellt, spielt sie den Song nach etwas über einer halben Stunde. Bald springt das Publikum, angetrieben vom Bassisten, begeistert auf und ab und singt sogar die letzten Worte der Zeile „I’d love to stay and party but I gotta go to work, work, work“ mit, was in in diesem Tempel der Tag-und- Nacht-Gleichheit doch milde absurd wirkt. Wer denkt im Berghain schon an Arbeit? Egal, jetzt wird erst mal getanzt mit der diskokugelrunden Beth Ditto im goldenen Paillettenkleid. Zum Auftakt spielt die Band zwei Stücke vom letzten Album „Music For Men“, diesem perfekten Dance- rock-Werk, das sie in eine andere Liga katapultierte. Der Überhit „Heavy Cross“ verkaufte sich allein in Deutschland eine halbe Million Mal und stand fast hundert Wochen in den Single-Charts. Im Sommer 2009 lief er in jeder Bar und jedem Klub. Und auch Beth Ditto war plötzlich überall: In der ersten Reihe von Karl-Lagerfeld-Modenschauen, auf Magazin-Covern und in TV- Shows. Sie bekam eine eigene Kleiderkollektion und brachte Make-up heraus.

Auf der kleinen Berghain-Bühne redet die 31-jährige Sängerin zwischen den Liedern etwas zu viel, mitunter auch auf Deutsch. Geschmackloserweis hängt eine Deutschlandflagge am Instrumententisch des Keyboarders. Das alles ist aber sofort vergessen, wenn sich die Band wieder mit ungeheurer Energie in Songs wie „Standing In The Way Of Control“ wirft oder bei der aktuellen Single „Picture Perfect World“ die Basssynkopen hüpfen lässt. Sechs ihrer neuen Stücke mischen Gossip in das 80-minütige Programm, was besonders in der zweiten Hälfte gut funktioniert.

Jedenfalls wird deutlich, dass Gossip mit „A Joyful Noise“ versuchen, ihren durch das Vorgängeralbum etablierten Status als Mainstreamband zu festigen, wobei sie ihre Rock-Soul-Disko-Mischung noch stärker in Richtung Dancefloor verschieben. Von „Noise“ kann hier wahrlich nicht die Rede sein, die E-Gitarren haben fast nur noch dekorative Funktion. Dafür treten Synthesizer und Drummachines in den Vordergrund.

Fast alle elf Songs sind nach demselben Leise-Laut-Schema gebaut, was auf die Dauer ermüdend wirkt. Stets wird die ganze Kraft auf den Refrain fokussiert, in dem Dittos Stimme absolut dominant ist. Fraglos geht von ihr immer noch eine große Faszination aus, doch etwas mehr Abwechslung bei der Phrasierung und den ewigen „Ohohos“ und „Uhuhus“ würde die Sache deutlich beleben.

Produziert hat die Platte der Brite Brian Higgins, dessen bekannteste Kunden Cher, Kylie Minogue und die Pet Shop Boys sind. Seinem Einfluss kann der glatte, einheitliche Sound zugeschrieben werden, sowie diverse nicht weiter ins Gewicht fallende Flitter-Effekte. Higgins hält sich auch sonst geschickt zurück. Einzig der uninspirierte Stampfer „Move In The Right Direction“ klingt ein bisschen, als sei er eigentlich für Kylie Minogue gedacht.

Nächstes Jahr heiratet Beth Ditto ihre Freundin - ganz in Weiß

Als Album ist „A Joyful Noise“ zwar nicht so aufregend wie „Music For Men“, einige strahlende Momente enthält es aber dennoch. So gelingt der Band etwa in „Casualties Of War“ eine wunderschöne Mischung aus Stevie-Nicks-Gesangsmelodie und Mirwais-Sound. Schön auch, wie sie im Opener „Melody Emergency“ die Spannung aufbauen und alle ihre Markenzeichen mit leichter Hand einstreuen.

Gossip klingen in ihrem fünften Werk zugänglicher denn je. Doch so verstörend wie das Coverfoto, das Beth Ditto als grünäugiges Krallenmonster zeigt, wirkt die Musik an keiner Stelle. Das Bild beschwört die eigene Freakhaftigkeit: Seht her, hier singt wieder die „fette, feministische Lesbe“ (Ditto-Selbstbeschreibung). Ganz schön gruselig, oder? Eben nicht. Und das ist ein Problem, das die 1999 gegründete Gruppe noch nicht richtig erfasst hat. Sie zelebriert noch immer einen Außenseiterstatus, den sie auf ihrem Weg heraus aus einem religiös geprägten Kaff in Arkansas schon lange verloren hat. Wer sich wie Beth Ditto bei „Wetten dass ...?“ auf Hansi Hinterseer setzt und Interviews in der „Bild“-Zeitung gibt, ist ein bestens integrierter Teil der Unterhaltungsmaschinerie. Das bisschen Queersein und Fettsein wird da einfach mitvereinnahmt. Es ist sogar von Vorteil, weil es sie aus der Masse heraushebt.

Natürlich ist es begrüßenswert, dass sich homosexuelle Popstars heute nicht mehr verstecken müssen. Und wie offen lesbisch sich Ditto und Schlagzeugerin Hannah Blilie inszenieren, ist toll. Aber daraus eine große Devianz-Nummer zu machen und zu behaupten „Wir sind immer noch die Weirdos, die Outcasts, die Freaks!“, wie Gossip es tun, erscheint doch etwas übertrieben. Mittlerweile sind sie vor allem gut situierte und berühmte Musikerinnen und Musiker. Sie sind angekommen. Im westlich geprägten Teil der Pop-Welt werden Gossip in den nächsten Jahren eine feste Größe bleiben.

Und so kann Beth Ditto nun in Ruhe ihre Hochzeit im kommenden Jahr vorbereiten. Sie plant ein großes Fest in Hawaii, der Heimat ihrer Freundin, mit der sie ganz in Weiß den Bund fürs Leben schließen will. Das klingt nicht freakig, sondern eher bürgerlich. Vielleicht sollten Gossip darüber mal ein Lied schreiben: „The Gay White Wedding“.

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