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Porzellansammlung im Zwinger: Dresden leuchtet

Nach der Flut: Die sächsische Hauptstadt kehrt mit der Wiedereröffnung der Porzellansammlung im Zwinger zur Normalität zurück

Die Dresdner Altstadt ist fest in der Hand der Reisegruppen. Auf dem weiten Theaterplatz formen sie bunte, beständig wechselnde Muster. Beinahe seltsam wirken die Banner, die von den Fassaden von Semperoper und Gemäldegalerie flattern. „Wir spielen!“, verkündet das eine und zählt unter anderem die „Gläserne Manufaktur“ als Spielstätte auf, „Danke“ sagt das andere mit vergrößertem Raffael-Engel in drei Sprachen. Mit einem Mal entdeckt man allenthalben Schilder, die „Wir haben geöffnet!“ verkünden. Ohne diese Hinweise käme nicht die leiseste Ahnung auf, es könne in Dresden etwas nicht in Ordnung gewesen sein.

Acht Wochen erst liegt die Jahrhundertflut in Mitteldeutschland zurück. Die Natur hat sich am schnellsten erholt. Die Wiesen sind grün, die Blumen blühen, das bunte Herbstlaub funkelt in der Sonne. Und die Bauten? Auch sie zeigen keine Spuren. Allein die großen, gelben Abluftschläuche, die aus manchen Kellern ragen, deuten an, dass es im Untergrund noch Schäden zu beseitigen und Grundmauern zu trocknen gibt.

Pünktlich zum verlängerten Wochenende gab es eine (Wieder-)Eröffnung zu feiern: Die Porzellansammlung ist von Morgen an im Zwinger in neu gestalteten Räumen zu besichtigen. Ihre glanzvolle Vergangenheit als Residenzstadt der wettinischen Kurfürsten und zeitweiligen polnischen Könige ist das Pfund, mit dem Dresden wuchert, unbeschadet aller historischen Brüche und Zwischenzeiten. Elbflorenz ist heute schöner denn je seit der furchtbaren Bombennacht des 13. Februar 1945, und die drückenden Ängste, die die Fluten Mitte August weckten, sind im milden Herbstlicht verflogen.

Den lange geplanten Eröffnungstermin der Porzellansammlung wollte Martin Roth unbedingt halten. Der agile Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, zu dessen Reich von Albertinum bis Zwinger so ziemlich alles zählt, was Dresdens ererbte Glorie ausmacht, gab mitten in der Überschwemmung die Parole aus, an allen Zeitplänen festzuhalten. Der Erfolg gibt ihm Recht. Kultur, stimmt Wissenschafts- und Kunstminister Matthias Rößler in die Rothsche Tonlage ein, „ist der entscheidende Wirtschaftsfaktor nicht nur in Dresden, sondern in ganz Sachsen!“.

Wie sehr das kulturelle auch ein materielles Erbe darstellt, macht gerade die Porzellansammlung deutlich. August der Starke, unter dem Sachsen den Zenit seiner historischen Bedeutung erreichte, war ein begeisterter Sammler der fremdartigen Gegenstände. Bereits 1721 besaß er bereits 14500 Stücke, überwiegend aus China, woher die Holländer seit 1657 importierten, sowie aus Japan. Die maladie de porcelaine, über die nicht nur der Hofkämmerer stöhnte, verschlang Unsummen. Aber der Ehrgeiz führte auch zu einem großen Ziel: der Herstellung von Porzellan in Sachsen. 1707 gelang es Johann Friedrich Böttger, weißes Porzellan zu brennen. August der Starke begründete im Jahr darauf die Porzellanmanufaktur hoch droben auf der Albrechtsburg in Meißen, um sie vor Spionage zu schützen. Die gekreuzten Schwerter, ihr Erkennungsmerkmal, wurden zum ersten Markenzeichen der Welt.

Chinesisches und Meißner Porzellan bilden die beiden Hauptgruppen der Dresdner Sammlung. In Teilen der Bogengalerien sowie im Porzellanpavillon des 1728 von Matthäus Daniel Pöppelmann vollendeten Zwingers finden sie erst seit 1962 ihr Domizil. Der gekrönte Herrscher selbst hatte andere Pläne: Er wollte das Japanische Palais auf dem anderen Elbufer zu einem „Porzellanschloss“ ausstatten, wie es in der Welt einzigartig dagestanden hätte. Doch seine Visionen überstiegen die Möglichkeiten des Kurfürstentums bei weitem – und die Zeit, die die Meißner Manufaktur benötigte, um jene ebenso großen wie großartigen Stücke in Serie zu schaffen, nach denen der König begehrte. Er starb 1733; die Serie der meist lebensgroßen Tierfiguren, die mit dem n des bedeutendsten Porzellanmodelleurs, Johann Joachim Kaendler (1706-75), verbunden sind und die heute einen Erdgeschosssaal des Zwingers in eine zauberhafte Menagerie verwandeln, entstand erst zwischen 1731 und 1734. Und die bemalten Kleinfiguren und Tafelservices, deren industriell gefertigten Repliken einst alle Bürgerstuben schmückten, reichen weit ins späte 18. Jahrhundert. Es war jene Epoche einer zeitlosen Entrücktheit, da der Vedutenmaler Bernardo Bellotto um 1750 das Bild von Elbflorenz für immer prägte.

Notdepot mit Publikum

Im Zwinger haben die Schätze ihre kongeniale Heimat gefunden, in bis auf den Boden hinab befensterten, lichtdurchfluteten Galerien und Sälen, die den Porzellan-Prunk mit der Intimität einer Privatsammlung präsentieren, vielfach ohne den Schutz – und zugleich die Barriere – gläserner Vitrinen. 1200 Quadratmeter stehen nach dem 8,5 Millionen Euro teuren Umbau zur Verfügung.

Bellottos Dresdner Ansichten, 16 an der Zahl, zählen zu den klassischen Schätzen der Gemäldegalerie Alter Meister. Die Bilder von der Rettung ihrer fast 4000 im Kellerdepot gelagerten Gemälde vor der unaufhörlich ansteigenden Flut haben sich ins öffentliche Gedächtnis eingeprägt. Sieben Stunden lang waren Museumsleute und weitere Helfer damit beschäftigt, die Werke aus dem Keller nach oben zu tragen – nicht aus irgendwelchen Kellern allerdings, sondern aus dem bis zur Flut bestausgestatteten Museumsdepot ganz Deutschlands. Umgerechnet zwölf Millionen Euro wurden bei der Generalsanierung der maroden Gemäldegalerie Anfang der neunziger Jahre allein im Untergrund verbaut. Museumsarchitekt Gottfried Semper hingegen hatte im 19. Jahrhundert das Haus nur teilweise unterkellert – feuchtigkeitsempfindliche Gebäudetechnik gab es seinerzeit ebenso wenig wie bei der nebenan gelegenen Oper, dem anderen Hauptgeschädigten des Augusthochwassers.

Bis heute stehen die Gemälde dicht gereiht in den Ausstellungsetagen. Das Museum ist vorläufig geschlossen – doch „General“ Roth und sein Minister haben schon wieder einen Termin zur Hand. Der erst seit wenigen Monaten für Wissenschaft und Kunst, zuvor für Schule zuständige Matthias Rößler, der sich in den chaotischen Fluttagen als zupackender Helfer und Organisator bewährt hat, kündigt bei der Vorbesichtigung der Porzellansammlung vergangenen Freitag einen „Paukenschlag“ an: Am 9. November sollen Gemäldegalerie, Schauspielhaus und Semperoper wiedereröffnen. Just in diesem erhebenden Moment beginnt das Porzellanglockenspiel am Zwinger zu läuten, und die Sonne bricht durch die Wolken. Dresden leuchtet.

Im Albertinum, dem bis zur Fertigstellung neuer Räumlichkeiten im Schloss – vor allem für das „Grüne Gewölbe“ – wichtigsten Ausstellungsgebäude der Staatlichen Kunstsammlungen, verteilen sich die aus den Kellern geborgenen Skulpturen auf die Räume von Antikensammlung und Gemäldegalerie Neuer Meister – aber bei vollem Publikumsverkehr. Roth hat aus der Not eine Tugend gemacht, selbst die Gruppenführungen gehen bereitwillig auf das ungewöhnliche Durcheinander ein.

Doch alle Provisorien müssen ein Ende finden. Roth fordert ein Zentraldepot außerhalb der gefährdeten Altstadt – und ein Umdenken auch unter den eigenen Mitarbeitern, von denen nicht wenige stolz darauf waren, alle Schätze unter einem Dach zu wissen. Das amüsierte Lächeln, das Warnungen vor Hochwasser gegolten hatte, ist nach den bitteren Erfahrungen des August verflogen: Das Wasser kam nicht in erster Linie vom Fluss, sondern von unten, durch Keller und Kanalisation. Und kein noch so wasserdichter Keller kann längere Zeit trocken gehalten werden, wenn der Wasserdruck zu stark wird. Dann muss geflutet werden, oder die Mauern bersten.

Wie oft die – erstaunlich schnell dahinfließende – Elbe schon über ihre Ufer getreten ist, lässt sich draußen in Pillnitz studieren. Am Wasserpalais, dem flussseitigen Pavillon der in schönster China-Mode dekorierten Schlossanlage des 18. Jahrhunderts, sind die Pegelstände angezeigt. Bislang hält 1845 den Rekord – und wurde wohl auch im August 2002 um ein oder zwei Zentimeter verfehlt, wie André van der Goes berichtet. Als Niederländer ist der Direktor des Kunstgewerbemuseums auf Schloss Pillnitz mit Hochwasser vertraut – und ordnete die Räumung seiner Depots an, einen Tag, bevor das Wasser eindrang. Ihn als Kenner warnte der schnelle Anstieg des Pegels. Die letzten Möbel wuchteten seine Mitarbeiter nach oben, als sie bereits knietief im Wasser standen, das wenig später mühelos die historische 9-Meter-Marke nahm. Jetzt warten Stühle und Kommoden im gegenüberliegenden Bergpalais auf eine neue Dauerlösung – „aber wir haben Zeit“, so der gelassene van der Goes, „wir haben im Winter ohnehin geschlossen.“ Bis auf Schlieren an den wasserseitigen Souterrainfenstern gibt es auch in Pillnitz kaum Spuren der Flut zu entdecken. Doch, das weggespülte Pflaster am „Gondelhafen“ musste erneuert werden.

Martin Roth plant derweil die Offensive. Ausstellungen in Hamburg, Berlin und London sollen im Spätherbst Schätze aus den Dresdner Museen präsentieren – und gerade auch an die private Spendenbereitschaft appellieren. Die 100 Millionen Euro, die der scheidende Bundes-Kulturstaatsminister Nida-Rümelin aus seinem Etat zugesagt hat, sind für Bauwerke und technische Ausstattung bestimmt. Sachsen beziffert seine diesbezüglichen Schäden auf exakt 84 Millionen.

Dass damit freilich nicht alle Folgen der Jahrhundertflut abgedeckt sind, steht auf einem anderen Blatt. Die Restaurierung mobiler Kulturgüter, von Holzskulpturen in Kirchen bis zu den Büchern kommunaler Büchereien, wird sich über Monate und Jahre hinziehen. Die schnelle Hilfeleistung etwa der Bundeskulturstiftung wird dankbar registriert. Aber dass sich der Bund in dauerhafter Weise für die Not leidenden Institutionen im Osten Deutschlands engagieren müsse, klingt allerorten an. „Es gibt eine nationale Verantwortung für Kultur“, betont denn auch Minister Rößler und nennt das „Blaubuch“, das Nida-Rümelin über die national förderungswürdigen Kultureinrichtungen in den neuen Ländern erstellen ließ, „eine gute Grundlage“ für anstehende Verhandlungen. Dass CDU-Mann Rößler ausdrücklich den Weggang Nida-Rümelins bedauert – „er war ein fantastischer Partner für uns“ –, spricht für eine über die Fluten hinweg gefestigte Bund-Länder-Zusammenarbeit, deren Langzeitwirkung im föderalen Gefüge noch gar nicht abzuschätzen ist.

Der politische Stellenwert der Kultur in Sachsen ist augenscheinlich gestiegen. Dresden weiß, was es zu verlieren hat – und demonstriert seine Wiederkehr aus den trüben Fluten des August. Über die nächste Etappe am 9. November hinaus zeichnet sich bereits ein weiteres, ungleich größeres Fest ab: die Fertigstellung der Frauenkirche, deren Fassaden bis auf den steinernen Turmhelm bereits aller Gerüste ledig sind. Sie leuchten im goldenen Oktoberlicht, als habe Elbflorenz niemals gelitten.

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