zum Hauptinhalt

Kultur: Potpourri der Pathetiker

Kraftakt der Berliner Festwochen: die Großausstellung „Berlin – Moskau 1950 – 2000“ im Martin-Gropius-Bau

Die schwarz gekleidete Reiterin hisst die weiße Fahne. Ihr Schimmel steht inmitten einer pastoralen Landschaft. Welchen Krieg, welchen Kampf gibt sie verloren?

Die Reiterin heißt Marina Abramovic, stammt aus Belgrad und ist mit ihren Performances zum internationalen Kunststar geworden. Nun ziert ihr Foto Plakat und Katalog der Ausstellung „Berlin – Moskau/Moskau – Berlin 1950-2000“ im Martin-Gropius-Bau, die heute Abend mit einem Festakt eröffnet wird.

Die Ausstellung bildet das Gravitationszentrum der Veranstaltungen zum Deutsch-Russischen Kulturjahr 2003 und zugleich der Berliner Festwochen; mit drei Millionen Euro aus Mitteln der Bundeskulturstiftung und zwei Millionen der Berliner Lottostiftung ist sie bestens dotiert. Im kommenden Jahr soll sie – in veränderter Form – in Moskau gastieren.

Weder stammt Marina Abramovic aus Moskau oder Berlin, noch spielt sie für die Kunstgeschichte der beiden Städte eine integrale Rolle. Gerade deshalb fiel die Wahl auf sie: als Beleg für die internationale, von den konkreten Orten Berlin und Moskau abgehobene Ausrichtung des Unternehmens.

Aber Künstler haben Wurzeln. Man denke nur an den Konzeptkünstler Ilya Kabakov, der in unermüdlichem Eifer Installationen in aller Welt ersinnt – und doch stets seine russische Vergangenheit bearbeitet, jenes absurde Dasein im erstarrten Realsozialismus der Breschnew-Ära. Kabakov ist im Gropius-Bau mit einer großen, skurrilen Arbeit vertreten, die die Wissenschaftsgläubigkeit des Sowjetreiches aufs Korn nimmt.

Die Ausstellung im Gropius-Bau folgt in gebührendem Abstand auf die Vorgängerausstellung von 1995, die die erste Jahrhunderthälfte untersuchte und ein grandioses Panorama der deutsch-russischen Beziehungen auffächerte. „Berlin – Moskau 1900-1950“ ging chronologisch vor, kulturgeschichtlich, bisweilen schulbuchartig. Aber gerade das war notwendig, um die so lange verschüttete Wechselbeziehung beider Länder im Spiegel ihrer Hauptstädte wieder ans Licht zu holen.

Schulbuchartig wollten die Macher der neuen Ausstellung, Pawel Choroschilow aus Moskau und Jürgen Harten aus Düsseldorf, nicht vorgehen. Die beiden Städte interessieren sie nur stellvertretend: als Platzhalter für Russland und Deutschland, für Ost und West, für die Kunst seit 1950 überhaupt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei Amerika entscheidend gewesen, so Harten. Auch die Russen seien „an Deutschland nicht interessiert gewesen, sondern nur an den USA“. Und um sich von jeder Pflicht zur historisch getreuen Rekonstruktion freizukaufen, hängten sie dem Ausstellungstitel flugs ein „von heute aus“ an. Das Faltblatt zur Ausstellung bringt es auf den Punkt: „Statt im Querschnitt der Künste eine lineare, nach Epochen gegliederte kulturgeschichtliche Erzählung vorzustellen“, zeige diese „in 40 Räumen beispielhafte thematische Konstellationen aus aktueller Sicht.“ Und: „Durch die Gegenüberstellung von Bildwerken entsteht ein dialogisches Prinzip, das die Arbeiten assoziativ auflädt.“

Da ist sie also, die sattsam bekannte Kuratorenherrlichkeit. Aber gälte es hier nicht zuallererst die wechselseitigen Wissenslücken zu füllen, überhaupt erst einmal die Basis dafür zu schaffen, dass intime Kenner der Szene wie die beiden alten, durch mancherlei Düsseldorfer Projekte verbundenen Freunde Chroschilow und Harten ihren Assoziationen freien Lauf lassen können? Was wissen wir von vier Jahrzehnten sowjetischer Nachkriegskunst, von dem „Kontext“, den Choroschilow für das Verständnis der russischen Kunst als unabdingbar beschwört? Harten verweist auf den 400-seitigen Zusatzband einer Chronik, die mit der Fülle ihrer Beiträge und zeitgenössischen Fotografien die nötigen Informationen verspricht. Unvorbereitet bleibt die Ausstellung eine Sturzflut verwirrender Eindrücke.

Nun denn – da sie „ohne vorgeschriebenen Parcours“ auskommt, tut der Besucher gut daran, die fortlaufende Nummerierung der 45 Säle und Stationen nur zur Groborientierung zu benutzen und sich ansonsten auf ein visuelles Abenteuer einzulassen.

Aber nicht, um sich blenden zu lassen – etwa von Gerhard Merz’ gewaltiger Leuchtstoffröhren-Architektur im Lichthof des Gropius-Baus. Im Obergeschoss hingegen zeigt die Ausstellung in zwei Räumen, was der Blick „von heute aus“ vermag, wenn er die richtigen Kunstwerke zusammenbringt. Barnett Newmans „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau“ aus der Neuen Nationalgalerie saugt den Besucher förmlich an. Das Werk steht für die „Rhetorik des Erhabenen“, die die Nachkriegszeit in beiden „Lagern“ bestimmt habe, formbetont im Westen, inhaltsschwer im Osten. Gegenüber nämlich hängt Fjodor Bogorodskis Großformat „Ruhm den gefallenen Helden“ von 1945, das die Ikonografie der Trauer Mariens um den toten Christus für die Rote Armee in Dienst nimmt. Dazu gibt es ironisch gebrochene Kommentare zu solchem Vertrauen ins Pathos der Kunst: Komar & Melamid stellen Stalin als „Ursprung des Sozialistischen Realismus“ dar, während Andreas Gursky die Wucht einer abstrakten Riesenleinwand Jackson Pollocks durch deren fotografische Wiedergabe aufhebt.

Einen Saal weiter haben die Kuratoren ein „Pandämonium Krieg“ versammelt, in dem jedoch allein Geli Korshews Anfang der Sechzigerjahre geschaffene Gemälde aus der Serie „Vom Krieg gezeichnet“ unmittelbar auf das Geschehen Bezug nehmen. Sie bieten ein vollständig anderes Bild von der Kunst in der Sowjetunion als die gemalten Heldenpostkarten der späten Stalin-Zeit. Wie lange das Trauma des Krieges und mit ihm des „Dritten Reiches“ im Westen verdrängt war, bezeugen die erst gegen 1980 entstandenen Arbeiten von Georg Baselitz und Anselm Kiefer. Baselitz lässt seine brachiale Holzskulptur den rechten Arm heben, Kiefer malt Innenräume einer ins Mystische verdüsterten Reichskanzlei. Konventionell wirkt demgegenüber das Pathos von Fritz Cremers bronzenem „Aufsteigenden (den um ihre Freiheit kämpfenden Völkern gewidmet)“ von 1967.

Damit rückt ein Problem in den Blick, das die Kuratoren nicht bewältigen konnten: die Teilung Deutschlands in zwei nicht bloß unterschiedliche, sondern lange Zeit gegensätzliche Kunstprovinzen. Nicht Russland und Deutschland stehen zum Vergleich, sondern der „Großen Bruder“ und sein Vasall DDR auf der einen und die amerikanisierte Bundesrepublik auf der anderen Seite. So gerät dann die Ausstellung streckenweise zur innerdeutschen Auseinandersetzung – und erinnert bisweilen an die „Deutschlandbilder“, die sich im Gropius-Bau vor einigen Jahren an das emotional so stark belastete Thema wagten.

Emotion, gar Empathie liegen den Kuratoren fern; sie blicken wahrlich „von heute aus“. Sie lieben das ironische Spiel mit sinnentleerten Bedeutungen, wie es die Protagonisten von „Soz-Art“ und Konzeptualismus vorführen. Reichlich vertreten sind denn auch Komar & Melamid (1977 ausgewandert), Erik Bulatov (1988), Kabakov (1987) oder Igor und Svetlana Kopystiansky (1988). Letztere geben übrigens als Teil-Berliner die besten Zeugen für die Konvergenz-These der Kuratoren, dass die künstlerischen Sprachen in Ost und West, einander immer schon ähnlich, mittlerweile zu einer einzigen verschmolzen seien.

Und was nicht zu dieser These passt? Das steht dann quer im Ausstellungsrundgang wie die Säle mit Düsseldorfer Kunst der sechziger bis achtziger Jahre, mit KPBrehmer, Konrad Lueg, mit Beuys, Imi Knoebel und den Bechers. Das sind, für sich genommen, wunderbare Kurz-Kunstgeschichten – die aber zugleich verdecken, dass es zur Vielfalt der westlichen Kunst innerhalb des Sowjetsystems eben keine Entsprechung gab.

Vieles bleibt offen, vieles wird angerissen, vieles geht im Wirbel der optischen Effekte zumal der zahlreichen Installationen unter. Verloren in einer Ecke hängt – man glaubt es kaum – Picassos ambitionierte, allerdings missglückte Goya-Paraphrase „Massaker in Korea“ (1951) – ungeheuer einflussreich auf die DDR-Kunst, wie die daneben gezeigte „Studie zu Lidice“ des späteren Staatsmalers Willi Sitte von 1957 belegt. Aber das ist eine andere, DDR-interne Geschichte.

„Wir haben die Ausstellung so gemacht, wie wir sie gerne machen wollten,“ so Pawel Choroschilow nonchalant. Herausgekommen ist eine opulente Inszenierung – und die halb genutzte, halb vertane Chance, Ost und West einander verständlich zu machen.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 5. Januar, täglich außer Di 10-20 Uhr. Katalog im Nicolai Verlag, 2 Bände, br. jeweils 16,80 €, zus. 30 €, im Buchhdl. geb. je 39,90 €. Weitere Infos unter www.berlin-moskau.net

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false